Die Diskussionen um Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht zu verfolgen, kann Spaß machen. Kaum eine Fantasy-Reihe inspiriert so viele kreative Fan-Theorien. Jede noch so kleine Referenz wird tausendfach gedeutet. Natürlich ist die Diskussion um Fantasy-Serien wie Die Ringe der Macht immer auch emotional geprägt, und damit meine ich ausdrücklich nicht die unverbesserlich rassistischen Trolle, die mit der diverser gestalteten Tolkien-Welt nichts anfangen können. Das ist einfach nur daneben.
Spannender ist da schon die Kontroverse um Galadriel (Morfydd Clark). Galadriel kennen die meisten Fans noch aus Herr der Ringe-Trilogie von Peter Jackson, wo sie die einzige weibliche Figur mit Redeanteil war, die nicht in Aragorn verliebt ist. Die Vorgeschichte Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht erhebt eine junge Version von ihr zum Hauptcharakter, was schon weit vor dem Start auf Gegenwind stieß.
Sie zu kritisieren ist okay und sogar notwendig, immerhin muss Galadriel mehrere Staffeln einer Blockbuster-Serie tragen, die Millionen Menschen viel bedeutet. Doch an der Figur werden Eigenschaften bemängelt, für die andere (oft männliche) Figuren gefeiert werden.
Was wird an Galadriel kritisiert?
Manche finden die Elben-Herrin zu aggressiv und abweisend . Andere sagen, sie ist unsympathisch und arrogant. Sie sei eine Mary Sue , eine abwertende Bezeichnung für angeblich "zu perfekte" Frauenfiguren. Galadriel lächele zu selten und nein, das ist kein Kommentar aus irgendeinem versifften Sub-Reddit, das schrieb tatsächlich ein Autor im ehrwürdigen Forbes Magazin . Interessanter als der Lächel-Vorwurf ist folgender Abschnitt aus dem Artikel, der mehr auf die Charakterzeichnung eingeht:
Galadriel als eigensinnigere ["headstrong"], jüngere, kriegerischere Elbin zu positionieren, hätte gut funktionieren können, wenn sie auch mehr von ihren liebenswerteren Qualitäten bekommen hätte, wie Weisheit, Anmut und die angeborene Macht, die ihre Nähe zu einer außerweltlichen Erfahrung werden lässt.
Dieser Absatz fasst einen Großteil der Galadriel-Kritikpunkte zusammen und ich will gleich auch darauf eingehen. Wichtig ist mir zunächst die Zuschreibung "headstrong ". Die fällt auffallend häufig im Galadriel-Zusammenhang und das ist interessant, denn den Begriff kann man mit "eigensinnig" und "stur" übersetzen, was eher negativ konnotiert ist. Er bedeutet aber auch "willensstark ", was ich in einem Vorstellungsgespräch ohne zu zögern als einen meiner Vorzüge aufzählen würde.
Auf genau dieser engen Sympathie-Schwelle bewegen wir uns bei Galadriel. Warum wird bei ihr aus Willensstärke Sturheit? Warum sind Herr der Ringe-Fans so streng mit der späteren Herrin von Lothlórien?
Warum die Kritik an Galadriel ins Leere läuft
Die Amazon-Serie begleitet Galadriel in der wahrscheinlich unruhigsten Phase ihres Lebens. Sie hat ihre wichtigste Bezugsperson (ihren Bruder) und ihre Heimat verloren. Sie widmet ihr Leben der Suche nach einem Feind, dessen Existenz alle anderen leugnen. Und weil sie ihren Vorgesetzten ständig damit in den spitzen Ohren liegt, laden die sie in der nachweltlichen Isolation von Valinor ab. Woraufhin Galadriel bei Null anfängt und sich neue Verbündete sucht. Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen, aber ohne ein gewisses Maß an Sturheit wäre die Organisation einer Allianz gegen Sauron wahrscheinlich schwierig.
Trailer: So geht es in Folge 5 von Ringe der Macht weiter
In den Herr der Ringe-Filmen ist Galadriel angekommen, in der Serie ist sie auf einer Reise. Es ist schräg, von einem derart rastlosen Charakter ein Übermaß an Weisheit, Anmut und Aura zu erwarten, nur weil man das aus Büchern und Filmen vielleicht so gewohnt ist. Weisheit entsteht erst durch Erfahrungen und Rückschläge – und Fehler, die der durch und durch arroganten Galadriel ständig passieren. Das nennt man Charakterentwicklung und die Herr der Ringe-Serie hat mehr als genug Zeit dafür. (5 Staffeln, um genau zu sein.) Natürlich ist Galadriel schon tausende Jahre alt. Aber ich sehe das so: Elben entwickeln sich anders. Zeit lässt zwar auch sie reifen, nur eben langsamer, weil sie ein anderes Verhältnis dazu haben.
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Galadriel muss und will kein Fan-Liebling sein
Ja, Galadriel ist kühl und durchaus abweisend. Sie ähnelt in ihrer Anlage, um einen Game of Thrones-Vergleich zu bemühen, eher der verschlossenen und hochmütigen Sansa Stark als dem zugänglichen und coolen Fan-Liebling Arya Stark. Ein aktuelleres Beispiel wäre Rhaenyra aus House of the Dragon, die leichter zu lesen ist und mit der wir uns leichter identifizieren können als mit Galadriel, weil sie in der dialoglastigen Serie ihr Herz auf der Zunge trägt.
Podcast: Amazons Herr der Ringe-Serie kommt zur Halbzeit in Fahrt
Herr der Ringe-Figuren sind rätselhafter und introvertierter angelegt als GoT-Charaktere. Häufig halten Figuren in Der Ringe der Macht minutenlange Monologe, ohne dass ich danach zusammenfassen könnte, worum es eigentlich ging. Tolkien pflegte einen verschachtelten Stil, den die Ringe der Macht-Showrunner Patrick McKay und JD Payne adaptiert haben.
Das erfordert viel Lesarbeit und drückt sich besonders in der wichtigsten Figur der Serie
aus: Galadriel.
Die Darstellerin Morfydd Clark transportiert das alles mit einem vibrierenden, nervösen Spiel. Sie erweckt den Eindruck, jedes Gespräch mit ihrem Begleiter Halbrand könnte in einem Wutausbruch enden. Ihre Arroganz bringt sie in Númenor wiederholt in Schwierigkeiten. Das hat mit Cate Blanchetts Galadriel-Version wenig zu tun, aber die hatte den ganzen Stress auch schon hinter sich.
Ich habe Morfydd Clark in einem Interview nach den Unterschieden zwischen ihrer und Cate Blanchetts Galadriel gefragt. Sie sagte, sie hätte im Tolkien-Werk "nach Dingen gesucht, die im Gegensatz zu dem stehen, was wir über die Herrin von Lothlórien wissen."
Ich denke, einer der größten Unterschiede war ihre jugendliche Naivität, die sich in elbischer Arroganz ausdrückt. Sie musste noch lernen, von anderen lernen und ihre eigenen Grenzen erkennen.
Galadriel war auch in den Herr der Ringe-Filmen keine gute Fee
Natürlich steht es jedem Fan frei, Galadriel nicht zu mögen. Ich frage mich dennoch, warum ausgerechnet an ihr so eine Erbsenzählerei veranstaltet wird? Warum bei ihr Charakter-Lücken,
die offensichtlich noch im Laufe der Serie geschlossen werden, als Drehbuchschwächen wahrgenommen werden? Warum werden Herr der Ringe-Fans bei Galadriel so verdammt pingelig?
Das erste, was uns vor 21 Jahren mit der Herr der Ringe-Filmwelt verband, war Galadriels Stimme. Sie erzählt uns im Die Gefährten-Intro eindrücklich die Ring-Legende von Isildur. Was von Galadriel aus den Herr der Ringe-Filmen zurückbleibt, scheint ein mit Weichzeichner gemaltes, idealisiertes Bild zu sein, das die Showrunner für die Serie, wenn überhaupt, nur mit Samthandschuhen aus der Tolkien-Vitrine nehmen dürfen. Bloß keine Fingerabdrücke oder gar Kratzer!
Dabei war Galadriel nie die gute Fee, zu der sie heute gemacht wird, auch nicht in den Herr der Ringe-Filmen. Tatsächlich gehört der "eiskalten Bitch " eine der gruseligsten Szenen in Die Gefährten, als sie als machthungrige Dämonen-Version ihrer selbst auf den verschreckten Ring-Träger Frodo hinabstürzte. Die erleuchtete, weise, anmutige Galadriel, die sonst warme Stirnküsse an kleine Hobbits verteilt, vergisst sich hier.
Diese Galadriel sollten wir bei Die Ringe der Macht im Kopf haben: Gütig und edel, aber von innerer Unruhe und brodelndem Ehrgeiz aufgewühlt. Denn darauf bewegt sich die Serie zu.
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