The Dirt bei Netflix - Das Mötley Crüe-Biopic ist eine pure Enttäuschung

27.03.2019 - 10:40 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
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Mit The Dirt verfilmt Netflix die Geschichte der Band Mötley Crüe. Im direkten Vergleich zum Queen-Film Bohemian Rhapsody fallen einzelne Stärken auf. Schlussendlich ist The Dirt aber um einiges schwächer.

Es ist unfassbar, was für ein Riesenerfolg Bohemian Rhapsody wurde. Der Queen-Film brach sämtliche Rekorde von Musik-Biopics und bescherte seinem Hauptdarsteller Rami Malek einen Oscar. Dass das Genre des Musik-Biopics wieder im Kommen ist, beweist auch das demnächst startende Elton John-Biopic Rocketman.

Netflix hätte da ebenso ein Wörtchen mitzureden: The Dirt: Sie wollten Sex, Drugs & Rock'n'Roll heißt der furchtbare deutsche Titel des Biopics über die Hair Metal-Band Mötley Crüe. Im direkten Vergleich zu Bohemian Rhapsody macht der Film auf den ersten Blick einiges besser. Aber das täuscht.

The Dirts größter Vorteil ist die Altersbeschränkung

Nach der gleichnamigen Autobiografie der Band erzählt The Dirt die Geschichte von Mötley Crüe, die in den 80ern zu Stars wurden. Vor allem bekannt war die Band aber für ihre Exzesse. Hier liegt direkt die größte Stärke von The Dirt: Der Film wird auf Netflix erst für Zuschauer über 18 Jahre empfohlen und hebt sich damit deutlich von Bohemian Rhapsody ab, der jeglicher Ecken und Kanten entbehrt.

The Dirt

Während Freddy Mercurys wilde Partys möglichst schnell als Montage des Bösen verarbeitet werden, beginnt The Dirt direkt mit einer expliziten Plansequenz auf einer von Mötley Crües berühmt-berüchtigten Feiern.

Frontmann Vince Neil (Daniel Webber) hat Sex auf dem Klo, Drummer Tommy Lee (Machine Gun Kelly) zieht ein paar Linien Koks, Gitarrist Mick Mars (Iwan Rheon) säuft flaschenweise Wodka und Bassist Nikki Sixx (Douglas Booth) bringt einen Groupie oral zum Orgasmus.

The Dirt zeigt viel mehr als Bohemian Rhapsody, aber immer noch zu wenig

Wenn eine Sache in The Dirt passt, dann sind das die Partys - zumindest auf den ersten Blick. Die Oberfläche von The Dirt ist wild, frech und provokant. Das macht tatsächlich Spaß. Dahinter ist es jedoch sehr problematisch, wenn Frauen wirklich gar nichts zu sagen haben und außer Sex keinem anderen Zweck dienen.

Außerdem ist es noch viel zu wenig, was der Film zeigt. Denn über zahllose Brüste, Koks und Heroin hinweg traut sich der Film nicht wirklich in die ekligsten Absturz-Ecken des Rockstar-Daseins.

The Dirt

Selbst wenn Feiern im Queen-Film nur kurz und als wenig versaute Angelegenheit gezeigt wurden, verzerrt The Dirt die Realität noch weiter. Die Bandmitglieder erzählen ihre Story selbst und brechen öfter die vierte Wand. So wird das erste Treffen mit Bandmanager Mike Wagner (David Costabile) zur fiktiven Beinahe-Prügelei abgeändert.

In The Dirt wird die Geschichte von Mötley Crüe verharmlost

Auch bei Bohemian Rhapsody lassen sich einige Ungereimtheiten finden. Bei The Dirt fällt das allerdings eine ganze Spur unangenehmer auf. Das Problem: Der Netflix-Film lässt es so wirken, als würde er wirklich die schlimmsten Seiten der Band zeigen. Das stimmt jedoch noch lange nicht. So werden die Ausschweifungen und vor allem der Sexismus an allen Ecken und Enden komplett verharmlost.

Der Tod eines Freundes der Band, der mit dem betrunkenen Vince Neil am Steuer in einen Autounfall kommt, ist das beste Beispiel. In Wirklichkeit war Neil deutlich zu schnell gefahren. Im Film ist es ein Allerwelts-Unfall, bei dem der Sänger höchstens leicht betrunken war.

The Dirt

Schnell wird klar: Wir sollen Mötley Crüe als versoffene, kaputte, aber trotzdem geile Rockband sehen. Sie sind am Ende diejenigen, die wie Phönix aus der Asche steigen. In Wahrheit brachte die Band nach dem Album Dr. Feelgood von 1989 nichts Erfolgreiches mehr zustande.

Ein großes Problem haben The Dirt und Bohemian Rhapsody gemeinsam

Sein größtes Problem teilt The Dirt mit Bohemian Rhapsody. Beide Filme sind eine bloße Abhandlung von Plot-Punkten. Die Karrieren der jeweiligen Bands werden wie eine Checkliste abgehakt. Der Queen-Film hatte immerhin die tollen Musik-Montagen und das fantastische Live Aid-Konzert. In The Dirt kommen gefühlt sechs Mötley Crüe-Songs überhaupt vor.

Die Entstehung der Songs nimmt in The Dirt dazu maximal eine Minute ein. In Bohemian Rhapsody war dieser Prozess dagegen ein Highlight. Vielleicht war Mötley Crües Musik einfach nicht gut oder nicht komplex genug, um die Kunstfertigkeit dahinter aufzuschlüsseln. Es steht einzig der Exzess im Mittelpunkt.

The Dirt

Nur zwei Mal wächst Netflix' The Dirt über sich hinaus

So richtig überzeugt The Dirt nur in zwei Szenen.

  • Zum einen hat der Lord of Darkness, Ozzy Osbourne (Tony Cavalero), einen kurzen Auftritt. Hier wird es mit Ameisen und dem Auflecken von Urin eines der wenigen Male wirklich eklig.
  • Dann gibt es einen Zusammenschnitt, in dem wir einen Tag aus der Ego-Perspektive von Drummer Tommy Lee erleben. Das ist wirklich kreativ und hätte als Blaupause für den Rest des Films dienen sollen.

Abseits davon sind in Bohemian Rhapsody die Schauspieler und ihre Verwandlungen um einiges glaubwürdiger. In The Dirt überzeugen nur der Game of Thrones-Bösewicht Iwan Rheon mit seinem trockenen Humor sowie der überraschend sympathische Machine Gun Kelly.

The Dirt vermittelt ein Frauenbild der übelsten Sorte

Was am Ende von The Dirt bleibt, ist ein durchschnittlicher Zusammenschnitt aus Partys, Drogen und Sex. Das kann durchaus Spaß machen. Spannend oder besonders überraschend ist der Film dagegen nicht.

Emotionale Szenen bleiben komplett ohne Wirkung, Biopic-Klischees gibt es zuhauf. Dabei bietet die Vorlage eigentlich mit dem tödlichen Autounfall, Kindstod, Überdosen und klinischen Tode genug Stoff für ein aufwühlendes Drama.

The Dirt

Der Einfallsreichtum, daraus etwas zu machen, fehlt leider. Am Ende bleibt hauptsächlich ein fehlgeleitetes Werbevideo dafür, wie "crazy" die Band damals doch war. Dabei waren sie eigentlich vor allem zweierlei: dumm und von Grund auf sexistisch.

Die Frauen im Film haben zu 90 Prozent nur halb bekleidet, sind selbst als Ehefrauen maximal Stichwortgeber oder sitzen gleich für Blowjobs unterm Tisch, werden auch mal bekotzt und geschlagen. Klar, die wilden Partys mögen teilweise so abgelaufen sein. Im Film fehlen jedoch komplett jegliche Frauenfiguren, die wirklich zu Wort kommen, und der Wille, das Gezeigte entsprechend einzuordnen und zu reflektieren.

Wenn sich Mötley Crüe so darstellen will, sollen sie es ruhig tun. Bei diesem Frauenbild hätten sie es aber auch sein lassen können. Und nein, da genügt kein "so war das eben damals". Vielleicht macht das eines der kommenden Musiker-Biopics besser.

Wie fandet ihr das Mötley Crüe-Biopic The Dirt?

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