Wenn wir den 1982 erschienenen Tron auf seine wegweisenden Effekte herunterbrechen, ist es verwunderlich, dass der Sci-Fi-Film aus dem Hause Disney keinen vergleichbaren Hype wie Star Wars ausgelöst hat, der sich fünf Jahre zuvor in den ultimativen Blockbuster verwandelt hatte. Doch Tron entführt nicht einfach in eine weit entfernte Galaxis, sondern in eine viel eigenartigere Welt.
Wo George Lucas bahnbrechende Digitaltricks nutzte, um ein Weltraummärchen zum Leben zu erwecken, das tief in vertrauten Bildern des Erzählens verankert war, stellte sich Tron ein geheimes, abstraktes Universum vor, das letztlich nur aus Nullen und Einsen besteht. Die Effekte wurden nicht nur zum Werkzeug, sondern zur Geschichte selbst. Willkommen im digitalen Grenzland. Willkommen auf dem Grid.
Schluchten aus Neonlichtern, die von unheimlicher, bedrohlicher Dunkelheit umgeben sind: Unmöglich ist es, sich in diesem rätselhaften Nirgendwo zu orientieren. Ein glühender Fiebertraum, der 2010 – befeuert von Daft Punks pulsierendem Electro-Score und dem von Avatar – Aufbruch nach Pandora ausgelöstem 3D-Hype – mit Tron: Legacy zur (verkannten) Speerspitze des Digitalkinos avancierte.
Sogar digitale Verjüngungen von Schauspieler:innen, wie sie uns immer häufiger im Kino begegnen, spielte Tron: Legacy mit Jeff Bridges durch – in einer fürchterlichen Umsetzung. Dafür war die Geschichte über Zyklen und Nostalgie, über Zeit und das Altern im Angesicht des Digitalen aber alles andere als ein uninteressantes Unterfangen. Was hat der neue Kinofilm Tron: Ares dieser Sci-Fi-Saga hinzuzufügen?
In Tron: Ares kommen die Programme in die echte Welt – und eines davon ist Jared Leto
Verschwunden ist das stechend-kühle Blau, mit dem die Reihe zuletzt auf der Leinwand vertreten war. In Tron: Ares pulsieren rote Lichter durch mächtige Strukturen und zieren die Konturen von futuristischen Rüstungen und Helmen, hinter deren Visieren sich extrem fortschrittliche Computerprogramme verbergen. Das eindringliche Rot kommt nicht von ungefähr: Es ist ein unmissverständliches Warnsignal.
Waren es bisher Menschen, die sich ins Digitale vorwagten, kehrt der dritte Teil der Reihe die Prämisse um. Obwohl sich die Menschheit weiterhin in Kontrolle wähnt, hat die virtuelle Welt längst ein eigenes Unterbewusstsein entwickelt, das mehr über sich selbst und die Schranken um sich herum herausfinden will – konkret in Form von Ares (Jared Leto), der als KI-Supersoldat in unsere Realität befördert wird.
Der einflussreichen wie egomanische Tech-Gigant Julian Dillinger (Evan Peters) will mit seiner Firma Dillinger Systems den nächsten Coup landen und zaubert Ares für 29 Minuten ins irdische Hier und Jetzt, ehe er zu digitalem Staub zerfällt. Die KI entpuppt sich nicht als die erhoffte Überwaffe. Stattdessen weckt die Verwunderung über Regentropfen in ihm einen dringlichen Durst nach Gefühl und Wirklichkeit an.
An diesem Punkt kommt Heldin Eve Kim (Greta Lee) ins Spiel, die den konkurrierenden Konzern ENCOM anführt und somit das Vermächtnis von Tron-Schöpfer Kevin Flynn (Jeff Bridges) weiterträgt. Eve, die selbst von einer Verlusterfahrung gezeichnet ist, findet einen Weg, um jene 29 Minuten digitale Sterblichkeit in eine Unendlichkeit auszudehnen, wodurch Bewohner:innen des Grid für immer unter den Menschen weilen könnten.
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Nach 15 Jahren des Wartens holt Tron: Ares aus seinen Ideen leider viel zu wenig heraus
Die Story klingt, als bewegt sich Tron: Ares am Puls der Zeit. Auch wenn die Sehnsucht nach Gefühl und Wirklichkeit im KI-Kontext schon durch Sci-Fi-Meisterwerke wie Blade Runner (1982), A.I. – Künstliche Intelligenz (2001) und Her (2013) strömte, hat KI in den vergangenen Jahren eine völlig neue Bedeutung in unserer Welt erhalten. Eigentlich die ideale Steilvorlage für ein unerschrockenes Pionier-Franchise wie Tron.
Nach 15 Jahren Wartezeit fühlt sich das schlussendlich von Jesse Wigutow (Daredevil: Born Again) zu Papier gebrachte Drehbuch allerdings mehr wie eine Ansammlung loser Ideen als eine packende Geschichte an. Tron: Ares stellt spannende Gedanken zur Verschmelzung von Realität und Digitalität vor, ohne jemals zu einer tieferen Ebene vorzudringen, weder auf dem Grid noch in den Straßen von Los Angeles.
Selbst die poetisch angehauchte Begegnung eines makellosen KI-Wesens, das erstmals mit rauem, nassem Asphalt konfrontiert wird, bleibt ein dahingeworfener Moment, der weder auf dramaturgischer noch auf filmischer Ebene ausgeschöpft wird. Ein kurzer Anflug von Genialität, aber dann verschwindet er binnen weniger Sekunden in einem Sci-Fi-Film, der sich kaum auf seinen existenziellen Grenzgang einlassen kann.
Tron: Legacy hatte dieses Mäandern in den Untiefen der Entfremdung dank einer famosen Symbiose aus Bildgestalt und Sounddesign perfektioniert. Eine niemals endende Odyssee durch endzeitliche Raster auf der Suche nach Wahrhaftigkeit: An diese atmosphärische Dichte kommt die von Joachim Rønning (Die junge Frau und das Meer) inszenierte Fortsetzung selten ran. Wenn sie es tut, dann aber richtig.
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Die Sci-Fi-Fortsetzung Tron: Ares überzeugt mehr auf dem Grid als in der echten Welt
Bei den hyperstylishen Action-Intermezzi auf dem Grid trumpft Tron: Ares mit der geballten Blockbuster-Wucht, die fraglos in ihm schlummert. Lichter und Bewegungen in einem Rausch, dem man sich schwer entziehen kann. Besonders, wenn Nine Inch Nails, der einzig würdige Daft Punk-Ersatz, für das völlig entfesselte Dröhnen auf der Tonspur verantwortlich sind und uns durch ein glänzendes Digitallabyrinth jagen.
In der audiovisuellen Disziplin hatten die Tron-Filme allerdings noch nie ein Problem. Enttäuschender ist, dass Tron: Ares eine entscheidende Säule der Marke verkennt: das Bahnbrechende und Stilbildende. Nichts an dieser Fortsetzung ist ein Sprung nach vorne oder gar ein Wagnis im Umgang mit den digitalen Möglichkeiten. Nicht einmal einen 3D-Zweikampf mit Avatar: Fire and Ash strebt Rønnings braves Sequel an.
Gerade bei einem Franchise, dessen Faszination sich nie ganz greifen lässt und das dennoch wie ein anziehender Geist im Kino wiederkehrt, ist es schade, dass kein mutigerer, experimentellerer Film herausgekommen ist. Tron: Ares versucht sehr verbissen, vage formulierte Erwartungen zu erfüllen, anstelle einfach auszurasten. Dieser Film müsste ohne Rücksicht auf Verluste tosen wie Mad Max: Fury Road.
Am Ende erweist sich Rønning als der falsche Regisseur dafür. Trotz seiner Erfahrungen mit CGI-lastigen Blockbustern wie Pirates of the Caribbean: Salazars Rache und Maleficent: Mächte der Finsternis ist er kein George Miller, der Mad Max einfach durch Furiosa austauschen kann, und kein Joseph Kosinski, der mit seinem Gespür für Design und Geschwindigkeit Tron: Legacy als hypnotisierende Neon-Ekstase erzählt.
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Was Rønning abliefert, ist ein kurzweiliger Sci-Fi-Action-Kracher, der nicht wehtut und mit Greta Lee eine richtig tolle Hauptdarstellerin gefunden hat. Mühelos hätte sie diesen Film auch allein auf ihren Schultern tragen können. Wenn wir allerdings bedenken, dass das jetzt unser Tron-Film für die nächsten Dekaden war, breitet sich Enttäuschung aus. Tron: Ares ist viel zu gewöhnlich für dieses Bizarro-Franchise.
Tron: Ares startet am 7. Oktober 2025 in den deutschen Kinos.