One Battle After Another mit Leonardo DiCaprio ist der außergewöhnlichste Blockbuster seit Jahren

19.09.2025 - 16:35 UhrVor 2 Minuten aktualisiert
One Battle After Another
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Mit One Battle After Another stellt Paul Thomas Anderson das Blockbuster-Kino auf den Kopf und schenkt uns eine millionenschwere Paranoia-Action-Thriller-Komödie mit politischem Rückgrat.

Was kommt dabei heraus, wenn einer der gefeiertsten Regisseure unserer Zeit seinen ersten Blockbuster dreht? One Battle After Another, der neue Film von Paul Thomas Anderson, liefert die wohl verblüffendste Antwort auf diese Frage. Denn im Grunde haben wir es hier mit einer unerschrockenen Neudefinition zu tun, was der Blockbuster-Begriff in der aktuellen Filmlandschaft überhaupt bedeuten kann.

Mit dem Sprung in den neunstelligen Budgetbereich – One Battle After Another soll zwischen 130 und 175 Millionen US-Dollar verschlungen haben – verliert Anderson nichts von seiner unverkennbaren Filmsprache. Der kreative Kopf hinter Meisterwerken wie Magnolia, There Will Be Blood und Licorice Pizza macht genau dort weiter, wo er aufgehört hat. Nur eben diesmal mit beachtlichen Ressourcen im Rücken.

Paul Thomas Andersons wagt sich mit One Battle After Another ins Blockbuster-Territorium

Anderson wählt nicht den Weg ins Franchise-Kino, obwohl er mit einer solchen Summe problemlos auch einen Sternenkrieg hätte inszenieren können. Er wählt nicht einmal eine markante Genre-Rahmung, wie es sein ebenfalls aus dem Arthaus-Kino stammender Regiekollege James Gray vor ein paar Jahren mit dem atemberaubenden Sci-Fi-Film Ad Astra getan hat. Stattdessen bewegt er sich in seiner eigenen Welt.

Die Geschichte von One Battle After Another basiert lose auf dem 1990 erschienenen Roman Vineland von Thomas Pynchon. Bereits im Zuge von Inherent Vice hat Anderson den Schriftsteller adaptiert. Bei seinem neuen Film von einer Literaturverfilmung zu sprechen, wäre jedoch gewagt, da sich im Drehbuch nur einzelne Elemente aus der Buchvorlage wiederfinden, etwa die zentrale Vater-Tochter-Beziehung.

Zuerst aber müssen wir einen Schritt zurücktreten. One Battle After Another beginnt im Licht der Dämmerung. Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor) beobachtet das Otay Mesa Detention Center, wo Einwander:innen ohne gültige Papiere von der US-Behörde ICE festgehalten werden. Sie gehört zur Widerstandsgruppe French 75 und will über 200 Inhaftierte mit allen notwendigen Mitteln aus dem Gefängnis befreien.

Ihr zur Seite steht der Sprengstoffexperte Bob Ferguson (Leonardo DiCaprio), der sich 16 Jahre später mit einer neuen Identität allein um die gemeinsame Tochter Willa (Chase Infiniti) kümmern muss. Denn Perfidia wird von dem diabolischen Col. Steven J. Lockjaw (Sean Penn) geschnappt, der am liebsten Teil des Christian Adventurer Club wäre, bei dem es sich um einen rassistischen Geheimbund aus weißen Männern handelt.

One Battle After Another ist sehr politisch und schwankt extrem zwischen Ernst und Humor

Anderson nutzt die wohl größte Carte blanche, die ein Filmemacher in jüngerer Vergangenheit von einem traditionellen Studio (keinem Streamer!) erhalten hat, um ein extrem düsteres Bild des gegenwärtigen Amerikas zu zeichnen. Mit seinem ersten Blockbuster hat er gleichzeitig seinen politischsten Film gedreht, der beeindruckend zwischen schockierenden Bildern und bewusster Übertreibung balanciert.

Drastische Aufnahmen von ICE-Razzien kontrastieren einen Bösewicht, der aus einer Comicverfilmung stammen könnte. Sean Penns Lockjaw stampft als Inbegriff toxischer Männlichkeit durch den Film, betont mit zu engen T-Shirts seine Muskeln und kriegt Panik, wenn jemand denkt, dass er schwul ist. An Lächerlichkeit ist dieser Widersacher kaum zu überbieten und dennoch sieht Anderson mehr in ihm als eine Karikatur.

Auf beiden Seiten des Gefechts werden Machtpositionen neu ausgelotet und verhandelt, während Andersons Inszenierung virtuos zwischen ernsten und humorvollen Perspektiven auf die Geschehnisse wechselt. Anderson interessieren vor allem Momente des Kontrollverlusts, die er dann mit spielerischer Leichtigkeit in Szene setzt. Etwa, wenn Bob Ferguson das Losungswort für einen Telefonanruf beim Widerstand vergisst.

Bewaffnete Polizist:innen umstellen das Haus, während Leonardo DiCaprios Vaterfigur mit aufrichtiger Sorge äußerst unbeholfen nach einer Steckdose sucht, um sein Uralt-Handy aufzuladen. Hat er endlich genügend Strom im Akku, scheitert er jedes Mal an derselben Sicherheitsfrage. Warum auch sollte er nach über einer Dekade Funkstille jedes einzelne Wort aus dem Revolutionshandbuch vor Augen haben?

One Battle After Another mündet trotz allem Wahnsinn in unerwarteter Zärtlichkeit

Anderson wechselt meisterhaft den Tonfall des Films, weil er genau weiß, wohin er will. One Battle After Another besitzt eine unglaubliche Durchschlagskraft und Härte, verliert sich aber genauso gerne im Grotesken, ehe sich die Mischung aus Thriller und Komödie mit einer ordentlichen Portion Paranoia in pures Stress-Kino verwandelt und auf ein Action-Finale mit einer grandiosen Autoverfolgungsjagd zusteuert.

Erwartet keine Explosionen und waghalsigen Stunts. Das Spektakel zieht Anderson aus einer hügelförmigen Straße, über die er im Hitzeflimmern mit einem Teleobjektiv brettert. Mehrmals verschwinden die Autos aus dem Blickfeld, ehe sie verschwommen am Horizont wieder auftauchen, was dem Finale etwas Ungeheures verleiht: die mächtige Natur, die winzigen Menschen und dazwischen pure Rastlosigkeit.

Angestoßen wird dieses wilde Treiben von einer mehrmals angespielten Klaviertaste, die bereits mit der Einblendung des Warner Bros.-Logos zu Beginn des Films erklingt. Erneut hat sich Anderson mit Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood zusammengetan, um seine mächtigen 35-mm-Bilder (dieses Mal sogar im VistaVision-Format wie Alfred Hitchcocks Vertigo gedreht) auf musikalischer Ebene zu erweitern.

Greenwood versteht die brennende Nervosität, die dem Film zugrunde liegt. Die Unruhe der Revolution mit all ihren schwammigen Ausformulierungen. Das ständig Fliehen und Verfolgen. Das Chaos, das Überhand gewinnt. Noch mehr aber – und das ist auch Andersons größtes Anliegen – will er den Wahnsinn bündeln, um im entscheidenden Moment eine unerwartete Zärtlichkeit inmitten der Extreme offenzulegen.

Paul Thomas Anderson hat mit One Battle After Another einen einmaligen Blockbuster geschaffen

Abscheulich ist das Amerika, das sich hier 162 Minuten lang entfaltet – voller Irrwege und unheimlicher Gassen, in die man gar nicht zu tief eintauchen will. Kein Wunder, dass in Andersons Film Fassungslosigkeit und Wut brodeln, sodass oft nur die Flucht in die Absurdität des Geschehens bleibt, um überhaupt mit der Welt klarzukommen. Ein lautes Lachen aus Verzweiflung. Dahinter steckt allerdings mehr.

One Battle After Another beherbergt genügend grausame Figuren und Ereignisse, um ins Zynische abzudriften. Trotzdem wendet Anderson alle Blockbuster-Ressourcen auf, die ihm zur Verfügung stehen, um einen Film über Verletzlichkeit zu drehen. Ein geradezu intimes, aufrichtiges Epos, das sich völlig erschöpft durch das Elend wühlt und jeden Anstieg auf der Hügelpiste in Kauf nimmt, um am Ende oben anzukommen.

Das Blockbuster-Kino unserer Zeit fokussiert sich sehr stark auf Marken und Franchises und wagt nur wenige Schritte Richtung Erneuerung. Dass so ein eigenwilliger Film in diesem Ausmaß existieren kann, ist daher wahrlich bemerkenswert. Anderson zeigt uns, wie eng Hollywood den Blockbuster-Begriff geschnürt hat. Zusammen mit Blood & Sinners ist One Battle After Another der aufregendste Blockbuster des Jahres.

One Battle After Another startet am 25. September 2025 in den deutschen Kinos.

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