Ken Loach zieht die Kritiker zur Rechenschaft

21.08.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Jimmy's Hall
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Jimmy's Hall, der neue Film von Ken Loach, läuft momentan in den deutschen Kinos. In Cannes äußerte sich der Regisseur zum Thema Filmkritiker und machte ein paar faszinierende Aussagen.

Die Beziehung zwischen Kunstschaffenden und Kritikern ist in der Regel immer schwierig und ständig angespannt. Die Kritiker teilen Lob und Tadel aus, während die Regisseure ihre Meinungen stumm hinnehmen sollen. Allerdings gibt es immer wieder Filmemacher, die dieses allgemeine Schweigen brechen und zurückschlagen. Dabei sorgen sie fast immer für Diskussionsstoff.

Einige Regisseure nehmen schlechte Kritiken gelassen auf und reagieren mit Humor. Seth MacFarlane zum Beispiel kam den Journalisten zuvor und schrieb die negativen Schlagzeilen  über A Million Ways to Die in the West einfach selbst. Andere Kommentare wirken oft eher verbittert und frustriert. Kevin Smith läutet seit dem Scheitern von Cop Out - Geladen und entsichert an den Kinokassen zur Vendetta gegen die Kritiker, die sich seine Filme umsonst ansehen dürfen. Auch Johnny Depp und Produzent Jerry Bruckheimer sahen die Schuld an den enttäuschenden Einspielergebnissen von Lone Ranger bei den Kritikern. "Ich denke, sie haben das Budget diskutiert, nicht den Film. Dem Publikum ist das Budget egal", so Bruckheimer letztes Jahr gegenüber der Variety . Das Budget mag dem Publikum nicht wichtig sein, doch die Kritiken sind ebenso irrelevant. Als Beweis braucht ihr nur einen Blick auf die Urteile zum über-erfolgreichen Transformers-Franchise zu werfen. 

Ein besonders extremer Fall ereignete sich diese Woche in Großbritannien, als der Telegraph-Kritiker Robbie Collin die folgenden Worte über den argentinischen Animationsfilm Foosball (ET: The Unbeatables) twitterte: "Even in a memorably bad summer for children, The Unbeatables is about as wretched as it gets." Daraufhin meldete sich Richard O Smith, der für die englischsprachigen Dialoge des Films verantwortlich war, mit folgender "cleverer" Replik: "Even in a memorably bad summer for humanity (Israel/Palestine, Isis, Ebola), Robbie Collin is about as wretched as it gets." Diesem Kommentar ist nichts hinzuzufügen.

Der Fall Ken Loach

Im Mai stellte der legendäre britische Regisseur Ken Loach seinen neuen Film Jimmy's Hall in Cannes vor. In diesem Kontext gab er ein faszinierendes Interview gegenüber dem Guardian , in dem er folgendes über die Kritiker zu sagen hat: 

"Sie sind Menschen, die in dunklen Räumen leben - sie treffen keine Leute, die Kampagnen zur Rettung von Krankenhäusern oder Gemeindezentren leiten, und engagieren sich nicht politisch in der wirklichen Welt oder organisieren Gewerkschaftsaktivitäten. Wenn sie Menschen treffen würden, die, dank ihrer Erfahrungen, ihre Ideen oder eine Strategie für eine bestimmte Kampagne, klar ausdrücken können; würden sie Menschen kennen lernen, deren Sprachgebrauch sehr lebendig ist. Sie begegnen diesen Menschen eher nicht, also ist es für sie wie eine Fantasie."

Dann fügte er (mit einem Augenzwinkern) hinzu: "Feuert die Kritiker und bring gewöhnliche Menschen ins Kino". Diese harten Worte überraschten viele. Die Kritiken für Jimmy's Hall waren zwar nicht überragend, fielen doch allgemein positiv aus. Er hatte also keinen nahelegenden Grund, sich angegriffen zu fühlen. Außerdem spielten die Kritiker (nach dem eigenem Bekunden des Regisseurs) eine entscheidende Rolle im Laufe seiner Karriere. Kes wäre ohne positive Presse möglicherweise komplett in Vergessenheit geraten. Zwölf seiner Filme liefen in Cannes und wurden von zahlreichen Journalisten aus aller Welt gefeiert. Im Gegensatz zu den oben genannten Beispielen stempelt Loach die Filmkritker nicht einfach als inkompetent oder verständnislos ab. Er macht eine gezielte Aussage gegen die Art und Weise, wie viele Kritiker Filme betrachten, das er im Gespräch  mit (dem Kritiker) Mark Kermode weiter ausbaut:

Kritiker beschäftigen sich oft nicht mit den Themen, mit denen wir uns befassen. (...) Ihre Anhaltspunkte sind sehr oft andere Filme. In Hinsicht auf Jimmy's Hall zum Beispiel, sollen zwei Filme mich angeblich beeinflusst haben. Einen davon habe ich seit 20 Jahren nicht gesehen, den anderen überhaupt nicht. Mit unserem Film haben sie überhaupt nichts zu tun. Anstatt den Film, mit seinem Wissen über die Welt in Verbindung zu bringen, bleibt der Kritiker beim Kino. Wenn wir übers Kino nachdenken, wollen wir doch die Welt ins Kino bringen, nicht einen geschlossenen Raum schaffen.

Möglicherweise meint Loach damit Neil Young, der Jimmy's Hall im Hollywood Reporter  als eine merkwürdige, nur sporadische mitreißende Mischung aus Der Sieger und Footloose bezeichnete. Ganz Unrecht hat Loach mit seiner Analyse nicht, auch wenn sie extrem und generalisierend ist. Das Vergleichen von Filmen und das Bestimmen ihres relativen Wertes gehört zur Haupttätigkeit eines Filmkritiker. Die Anzahl an Sternen scheint oft wichtiger als eine schneidende Analyse der Themen. Außerdem liegt es in der Natur des Menschen, Neues mit Dingen zu vergleichen, die er kennt. Filmkritiker kennen sich am besten mit dem Kino aus, also beziehen sie sich häufig auf Filme. 

Es ist allerdings unfair zu behaupten, dass Kritiker komplett von der wirklichen Welt abgetrennt sind. Kritiker mit gewöhnlichen Menschen zu ersetzen, ist absurd, denn (die meisten) Kritiker sind genau das: gewöhnliche Menschen. Sie sind selten politische Aktivisten, doch sie sind sehr wohl in der Lage, sich für etwas anderes als Filme zu interessieren. 

Ein weiteres Problem mit den Aussagen von Loach ist, dass bei vielen Filmen eine Analyse im Kontext des Kinos notwendig ist, die ein gewisses Filmwissen voraussetzt. Eine Vertrautheit mit der Filmographie von Ken Loach, seinen Ideen, seinen Themen, seiner Ästhetik kommt jedem zugute, der Jimmy's Hall verstehen will. Ebenso hilft die Kenntnis von Filmen des gleichen Genres oder mit einer ähnlichen Thematik. Ein Vergleich mit Philomena zum Beispiel, der sich ebenfalls mit der Katholischen Kirche in Irland beschäftigt, könnte durchaus interessant sein.   

Ein normaler Mensch, oder ein politischer Aktivist, wie Loach es verlangt, würde viele Subtilitäten des Kinos nicht erkennen. Deshalb hat der Kritiker seine Position schließlich inne. Es ist andererseits auch wichtig, dass diese Kritiker nicht in der Filmwelt versinken und den Kontakt mit der Wirklichkeit verlieren. Besonders bei politischen Filmen, wie Jimmy's Hall, ist das unabdingbar. Ein guter Kritiker findet das richtige Gleichgewicht.

Wie wichtig ist die Verbindung zur Aktualität für einen Filmkritiker?

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