Junge Erwachsene und erwachsene Jungen

14.02.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Die Berlinale erzählt vom Erwachsenwerden
Berlinale/moviepilot
Die Berlinale erzählt vom Erwachsenwerden
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Christian Bale hütet Kinder, Charlize Theron wird einfach nicht erwachsen und Kevin Bacon nimmt mit seinem Sohn LSD. Und all das geschah gestern auf der Berlinale. Was für ein Tag!

Vorgestern ging es noch um außergewöhnliche Frauen, gestern waren dann die Kinder dran. Auf die eine oder andere Art und Weise drehte sich alles ums Erwachsenwerden. Außerdem machte sich mein Schlafentzug durch Déjà-vus bemerkbar. Oder spielen wirklich überall dieselben Schauspieler mit?

Das Tatort-Phänomen
Meine Mutter ist der Meinung, dass im Tatort – unabhängig von der Region, in der er spielt – immer dieselben Schauspieler auftreten. Das sei, als gäbe es in Deutschland nur etwa fünf bis zehn talentierte Schauspieler, sagt sie. Wie ich heute erschreckt feststellte, leidet auch die Berlinale unter dem Tatort-Phänomen. Die gesamte Welt scheint nur fünf bis zehn talentierte Schauspieler zu haben, die einfach immer wieder verwertet werden. So sind Léa Seydoux, Gillian Anderson und Noémie Lvovsky jeweils gleich in zwei Wettbewerbsfilmen zu sehen. Im Fall von Léa Seydoux fällt dies besonders auf, da sie nicht nur in Leb wohl, meine Königin!, sondern auch in Winterdieb eine tragende Rollen übernimmt. Auch bei den Männern gibt es ein Star-Recycling: John Patrick Amedori ist sowohl in Electrick Children als auch in Jayne Mansfield’s Car zu sehen. Wenn das so weiter geht, werden in ein paar Jahren wahrscheinlich alle Rollen – egal ob männlich oder weiblich – von Michael Fassbender gespielt!

Erwachsene Kinder – kindische Erwachsene
Der Berlinale-Tag begann mit der Geschichte eines Kindes, das die Rolle eines Erwachsenen übernehmen muss. In Winterdieb verkauft Simon (Kacey Mottet Klein) geklaute Skier, um sich und seine ältere Schwester Louise (Léa Seydoux) zu ernähren. Die meiste Zeit ist der Zwölfjährige auf sich gestellt, so dass er zwangsläufig eine harte Schale entwickeln muss, durch die nur ganz selten die Sehnsucht nach mütterlicher Liebe durchschimmert. Der Film bekommt eine ganz neue Qualität, als sich das Geheimnis um den Verbleib von Simons Eltern lüftet. Regisseurin Ursula Meier gelingt es, unseren Blick auf ihre Figuren durch diese Enthüllung komplett zu verändern und das Schicksal von Louise und Simon darzustellen, ohne in eine Sozialstudie oder Überdramatisierung abzugleiten.

In Young Adult spielte sich das Gegenteil ab. Hier erleben wir Charlize Theron als die Enddreißigerin Mavis, die sich in ihre Jugend zurücksehnt. Das manifestiert sich vor allem in ihrer Überzeugung, ihre Highschool-Liebe sei für sie bestimmt. Ungünstig ist, dass diese, gespielt von Patrick Wilson, gerade Nachwuchs bekommen hat. Das kann Mavis aber nicht davon abhalten, in ihre Heimatstadt zurückzukehren und alles daran zu setzen, ihren geliebten Buddy zu erobern. Regisseur Jason Reitman inszeniert hier keine Slapstick-Komödie, in der wir uns über eine gescheiterte Promqueen lustig machen, sondern das Psychogramm einer Frau auf der Suche nach sich selbst. So gelingt es ihm, seiner Hauptfigur und dem gesamten Film eine beeindruckende Tiefe zu verleihen, die uns über den beträchtlichen Unterhaltungswert von Young Adult hinaus auch zum Nachdenken anregt.

Christian Bale wird Vater von Huren und Klosterschülerinnen
In The Flowers of War stellt Christian Bale zu Beginn einen größeren Unsympathen als in American Psycho dar (ja, das geht!). Durch eine charakterliche Wendung, die mir als Zuschauer vollkommen rätselhaft bleibt, entschließt er sich, in Priesterkluft chinesische Klosterschülerinnen und Prostituierte vor den japanischen Invasoren zu beschützen. Regisseur Yimou Zhang spielt gerne mit Farben und Zeitlupen, der Pathos liegt ihm am Herzen und ich bin mir sicher, die Gefechtsszenen dienen nur der Demonstration seines Talents, denn zur Story tragen sie nichts bei (außer vielleicht einer Portion mehr Pathos). Schauspielerisch kann ich in Flowers auf War keine Glanzleistung erkennen. Mir erscheinen die Figuren jedenfalls alle maßlos überzeichnet und jenseits von authentisch. Trotz allem hat mich The Flowers of War 2 ½ Stunden durchaus brauchbar unterhalten.

Ein Familientreffen der besonderen Art
In Jayne Mansfield’s Car ist es Robert Duvall, der als Familienoberhaupt das Sagen über Kinder und Kindeskinder hat. Durch einen Todesfall ist er gezwungen, sich mit der britischen Familie seiner geschiedenen Frau auseinanderzusetzen. Dabei hat er mit seinem drogenaffinen Hippie-Sohn Carrol (Kevin Bacon), dem labilen Skip (Billy Bob Thornton) und dem in seinen Augen verweichlichten Jimbo (Robert Patrick) schon genug Probleme. Durch das Eintreffen der Briten aber werden die lange verdrängten Konflikte an die Oberfläche befördert und es kommt zur längst überfälligen Eskalation. Billy Bob Thornton bringt als Regisseur des Films einen großartigen Cast zusammen und entwickelt seine Story geschickt aus den Charakteren. Leider wird ausgerechnet die entscheidende Veränderung nicht aus den Figuren generiert, sondern wirkt wie ein Deus ex machina. Vielleicht aber ist dieser Effekt auch beabsichtig und soll uns zur Reflektion über unsere eigene Familie anregen. In jedem Fall ist Jayne Mansfield’s Car eine sehr gelungene Tragikomödie.

Sophies Geheimtip: Young & Wild
An dieser Stelle möchte ich euch einmal mehr einen Film aus der Sektion Generation ans Herz legen. In Young & Wild ist die Hauptfigur Daniela (Alicia Rodríguez) hin- und hergerissen zwischen ihrer evangelikalen Familie und jugendlicher sexueller Experimentierfreude. Wie Danielas Innenleben ist auch der Film ein buntes Durcheinander, in dem sich die virtuelle Jugendkultur in Form von MSN, Facebook und Blogs auch auf der Darstellungsebene wiederfindet.

Meine ausführliche Meinung über die erwähnten Filme, findet ihr wie gewohnt auf meinem Blog. Die Meinungen anderer Berlinale-Journalisten könnt ihr bei film-zeit.de entdecken.

Einige der genannten Filme kommen mit Sicherheit in unsere Kinos. Welchen schaut ihr euch an?

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