In der Zukunft wird schönes Wetter abgeschafft

13.04.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Oblivion
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Von der tödlichen Eiswüste zum paradiesischen Grün, das Freiheit verspricht: Die Natur gehört zu den elementaren Bausteinen einer Dystopie und nimmt je nach Zukunftsvision andere Funktionen ein.

Was wäre Blade Runner für ein Filmerlebnis geworden, wenn Rick Deckard und Roy Batty ihren Kampf unterbrochen und gemeinsam wandern gegangen wären? Irgendwo im Wald, fernab von Los Angeles und Tyrell-Corporation hätten sie beim Picknick unter der Sommersonne das Vogelgezwitscher genossen, gedankenverloren ein Blümchen gepflückt und ihre Probleme begraben. Wie jeder weiß, der auch nur ein Bild aus Ridley Scotts Zukunftsvision gesehen hat, könnte diese Vorstellung unmöglicher nicht sein. Die Natur glänzt in Blade Runner vor allem durch Abwesenheit, denn wenn etwas in Dystopien unter Artenschutz stehen sollte, dann der freundliche Wald von nebenan.

Die überleben wollen
Die Verkommenheit von Gesellschaften gehört zum Kern pessimistischer Zukunftsvisionen, die sich, von Alphaville – Lemmy Caution gegen Alpha 60 bis Blade Runner, nicht zufällig oft der Ästhetik des Film noir bedienen. Der urbane Moloch, im Film noir mit Betrug, Korruption und Mord assoziiert, greift in Dystopien vielfach auf den Rest der Welt über. Megacities wie das Los Angeles anno 2019 (Blade Runner) und 2154 (Elysium), New York in Jahr 2022 – die überleben wollen (OT: Soylent Green) oder die Mega City One in Dredd dienen als urbane Sinnbilder einer außer Rand und Band geratenen Industrialisierung, wie sie im 19. Jahrhundert kaum grauenhafter hätte prognostiziert werden können. Das Umland, wenn es denn einer Einstellung gewürdigt wird, fällt wenig einladend aus. Verzehrt vom Raubbau ist die Natur vielfach nur in einer Narbe erahnbar, die der Mensch auf dem Planeten hinterlassen hat.

Obwohl schon in Metropolis die Stadt als deformierter Organismus und der Mensch als unterjochte Zelle begriffen wird, drängt sich die Umwelt-Thematik erst später in den Vordergrund des dystopischen Films. Dessen Boom in den 1970er Jahren fällt mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisenerscheinungen zusammen. Rezession, Ölkrisen (1973, 1979), die allgegenwärtige atomare Bedrohung, die Auseinandersetzung mit Fragen der Überbevölkerung (etwa in Die Grenzen des Wachstums) und die Entwicklung der modernen Umweltbewegung ließen dystopische Visionen plötzlich sehr gegenwärtig wirken. In Lautlos im Weltraum verzweifelt Bruce Derns Held am allgemeinen Desinteresse gegenüber der Bewahrung der Natur. Als seine auf einem Raumschiff gepflegten Gärten aus ökonomischen Gründen zerstört werden sollen, übt der Sci Fi-Treehugger Selbstjustiz. Soylent Green dagegen kreiert eine Welt, in der die Natur derart zerstört, die Industrialisierung derart entartet ist, dass der Mensch selbst zum Produkt verkommt.

Verlorenes Paradies
Die Natur und deren Zerstörung hält in Dystopien also häufig als Spiegel der gesellschaftlichen Zustände her. Entsprechend dient sie in ihrer unberührten Form als Rettung versprechende Alternative, als würde ein Schlummer auf einer grünen Wiese alles wieder gut machen. Es gibt im Genre kaum einen glücksverheißenderen Moment als den erstmaligen Anblick der Sonne, die in einem einschlägigen 1990er Jahre-Beitrag gar den Noir-Look selbst wegbläst. Eine angesichts der Industrialisierung verstärkte Rückbesinnung auf die eigenen Ursprünge, im 19. Jahrhundert von Autoren wie Henry David Thoreau (Walden) beschrieben, erfreut sich in Dystopien großer Popularität. Grüne Oasen als Rückzugsorte der Postapokalypse (Oblivion) suggerieren die Möglichkeit eines Neubeginns und die Wiederherstellung eines quasi-paradiesischen Urzustandes, in dem Mensch und Mensch miteinander in Eintracht leben, ihrer natürlichen Bestimmung folgend.

Kein Film hat die Motive der Öko-Dystopie bislang so offensichtlich mit denen der Tora beziehungsweise des Alten Testaments verzahnt wie Noah. In Darren Aronofskys Fantasyepos wird die industriell bedingte Zerstörung der Umwelt in eine Kette mit der Ermordung des Hirten Abel durch seinen Bruder und Bauern Kain gesetzt. In der Post-Postapokalypse erhalten Noah und die Menschheit eine zweite Chance. Die könnte, je nachdem, ob man den Film in der fiktiven Vergangenheit oder Zukunft ansiedelt, genutzt werden oder nicht.

Inseln der Verdammten
Natur oder das, was von ihr übrig geblieben ist, bringt in dystopischen Filmen aber nicht nur das Gute im Menschen hervor. In der postapokalyptischen Steppe oder Wüste (Apocalypse 2024, Mad Max, Six-String Samurai, Hell …) oder dem noch sehr lebendigen Dschungel (Prisoner of Death – Insel der Verdammten, Battle Royale) wird der Mensch in diesen Visionen auf seine niedersten Instinkte zurückgeworfen. In Apocalypse 2024 (OT: A Boy and his Dog) sind es Essen und Sex, in Battle Royale das eigene Überleben. Das verloren geglaubte Paradies des einen Films verwandelt sich im nächsten in einen durch den Zusammenbruch der Gesellschaft entstandenen, sozialdarwinistischen Alptraum.

Mit der Furcht vor diesem Rückfall arbeiten dystopische Klassensysteme, die durch die Unterscheidung zwischen Barbaren oder Aussätzigen und den hermetisch geschützten höheren Schichten aufrecht erhalten werden (Zardoz, Flucht ins 23. Jahrhundert, Code 46). Pervertiert wird das “Paradies” schließlich durch die Instrumentalisierung durch ein Regime, etwa als Mittel zur Disziplinierung und Einschüchterung (Snowpiercer, Strafpark). Denn so wie der Mensch in Öko- und anderen Dystopien mit Flora und Fauna umspringt, so verfährt er auch mit seinesgleichen.

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