Godards Muse Anna Karina hat Geburtstag

22.09.2010 - 08:50 Uhr
Anna Karina in Die Geschichte Der Nana S.
Panthéon Distribution
Anna Karina in Die Geschichte Der Nana S.
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Sie galt als weiblicher Inbegriff der Nouvelle Vague, war die Muse von Jean-Luc Godard, Model von Cardin und gewann einen Bären auf der Berlinale – Anna Karina wird heute 70 Jahre alt.

Hanne Karin Blarke Bayer kennt der Cineast als Anna Karina aus zahlreichen Godard-Filmen. Heute wird die schöne Wahlfranzösin 70 Jahre alt, weshalb wir die Gelegenheit beim Schopfe packen möchte, euch die undurchsichtige Schöne vorzustellen, die eigentlich per Zufall die Muse von Jean-Luc Godard und Ikone der Nouvelle Vague wurde. Denn selbstverständlich war dies nicht bei dem dänischen Mädchen, das mit 16 Jahren von zuhause abhaute und nach Paris flüchtete. Familiäre Probleme waren es, welche sie forttrieben aus der Heimat, die nie mehr ihr Wohnort sein sollte. Und auch wenn dies jetzt ein wenig makaber klingt, aber wir finden: Gut so! Denn ohne dass sie nach Paris gegangen wäre, hätte sie nie Jean-Luc Godard kennengelernt und der Filmwelt wären wohl einige Meisterwerke verwehrt geblieben…

Vom Straßenmädchen zur Schauspielerin
Abgemagert und hungrig sei sie gewesen, erinnert sich die heute Siebzigjährige in einem Interview mit einem britischen Journalisten. Sie habe betteln müssen und sich ein wenig Geld durch Zeichnungen verdient, ein Priester auf den Champs-Elysée suchte ihr ein Zimmer. Das Glück der Dunkelhaarigen war, dass sie den Pariser In-Bezirk St-Germain-des-Prés entdeckte, wo die gut Betuchten und Künstler herumhingen. Es war das Jahr 1956 – Frauen entdeckten in Frankreich gerade die Reize ihres Körpers, den sie nicht mehr in hochgeschlossene Kostüme stecken mussten. Anna Karina zeichnete auf der Straße – und wurde von einem “Modelscout” entdeckt.

Sie sprach beim Magazin Elle vor – und geriet an Coco Chanel, die sie fragte, ob sie Schauspielerin werden wolle und wie sie heiße. “Oui, Madame, Anna Karine, Madame” lautete die Antwort des eingeschüchterten Mädchens. Coco Chanel war es, die ihr riet, den Namen in “Anna Karina” zu ändern. So begann im Grunde genommen die Erfolgsstory des Mädchens, die wir aus Alphaville – Lemmy Caution gegen Alpha 60 kennen, aus Die Geschichte der Nana S., aus Eine Frau ist eine Frau oder Made in USA. Jean-Luc Godard sah das Mädchen, so erzählt Anna Karina, in einer Werbung für Seife – und war sofort angetan. Er lud sie ein und bot ihr eine Rolle in Außer Atem an. Was die 17jährige dafür tun solle? Sich ausziehen. Das käme nicht in Frage, lautete ihre Antwort.

Turbulente Jahre mit Godard
Doch Jean-Luc Godard blieb hartnäckig. Beim nächsten Treffen bot er ihr eine Rolle in einem “politischen Film” an. Sie verstehe doch gar nichts von Politik, antwortete Anna Karina. “Das ist egal – tu einfach, was ich dir sage!” Und so erhielt die junge Dänin ihre erste Kinorolle in Der kleine Soldat, einem Antikriegsdrama. Etliche Filme mit Godard folgten, die beide zogen zusammen und verbrachten viel Zeit damit, nachts ins Kino zu gehen und mit Freunden zu feiern.

Als ihr französisch immer besser wurde, wurde Anna Karina auch von anderen Filmemachern entdeckt – man sagt, Jean-Luc Godard sei extrem eifersüchtig gewesen, als sie unter der Regie von Michel Deville Ce Soir ou jamais drehte. Um sie zurückzugewinnen, bot er ihr schließlich die Hauptrolle in Eine Frau ist eine Frau an, dem bis dato innovativsten, kreativsten Film von Godard. Anna Karina spielt darin eine Stripperin, die sich alle Männer zunutze macht. Von den Kritikern gerühmt und auf der Berlinale gefeiert, bedeutete der Film den Durchbruch für die junge Schauspielerin. Nicht jedoch für Godard: Die Stimmung geriet immer feindlicher gegen die Nouvelle Vague, sein Film floppte.

Jean-Luc Godard und Anna Karina wurden als Paar in der französischen Presse der 1960er immer wieder besprochen. Ihre Hassliebe füllte ganze Klatschblätter. Befreundet waren sie jedoch eher mit anderen künstlerisch orientierten Filmemachern wie Agnès Varda und ihrem Mann Jacques Demy. Ruhiger wurde ihr Leben vor allem, als Anna Karina schwanger wurde. Die beiden heirateten 1961, doch sie erlitt eine Fehlgeburt. Anstatt sich um seine Frau zu kümmern, stürzte sich Godard in noch mehr Arbeit.

Die Streitereien führten schliesslich dazu, dass sich Anna Karina am Set von Le Soleil dans l’oeil in Jacques Perrin verliebte und sich von Godard trennte. Dieser drehte durch und zerstörte das gemeinsame Apartment – bis sich die beiden wieder versöhnten. Kurz danach drehten die beiden den Erfolgsfilm Die Geschichte der Nana S., der Godard als ernstzunehmenden Regisseur etablierte.

Trennung von Godard: Verbitterung und Hass
Getrennt war das Paar ohnehin oft. Godard lebte in Rom, sie in Paris – die Beziehung war von Eifersüchteleien überschattet. Jeder gemeinsame Film der beiden hatte entweder eine Trennung zur Folge oder wurde verwirklicht, um sie wieder zueinanderzuführen. Während der Dreharbeiten zu Die Außenseiterbande versuchte Anna Karina nicht zum ersten Mal Selbstmord zu begehen; Godard kam ins Krankenhaus und teilte ihr mit, sie solle in drei Tagen wieder am Set sein. Bei Alphaville – Lemmy Caution gegen Alpha 60 waren sie wieder getrennt – die Stimmung am Set soll mehr als eisig gewesen sein. Als sie schliesslich das Meisterwerk Elf Uhr nachts drehten, konnten sie überhaupt nicht mehr miteinander reden. Jean-Paul Belmondo erinnert sich, wie sich die beiden immerzu am Set anfauchten. Nach “Pierrot le Foux” war die Beziehung der beiden gänzlich beendet. Anna Karina wurde 1968 von Godard geschieden und heiratete noch im selben Jahr Pierre Fabre, ließ sich jedoch 1974 erneut scheiden. Dennoch kehrte Anna Karina ans Set von Godard zurück und verwirklichte mit ihm Made in USA.

Prostituierte und Nonne
Ihr nächster Film La Soldatesse wurde unter der Regie von Valerio Zurlini verwirklicht. Sie spielte darin eine Prostituierte, die zusammen mit weiteren Huren durch die Berge streift, um italienischen Soldaten in Bordellen zur Verfügung zu stehen. Ob Zufall oder Sarkasmus, man weiss es nicht: Im nächsten Film, diesmal von Jacques Rivette, spielte sie The Nun, die Hauptrolle eines bereits skandalösen Theaterstücks. Die Nonne wurde zensiert, was dann kurz vor Cannes zu einer nationalen Diskussion ausuferte, in die sich schließlich Kultusminister André Malraux einschalten musste, um die Zensur wiederaufzuheben.

Um die restliche Karriere von Anna Karina in Worte einzufangen, würden wir mehrere Seiten benötigen… Serge Gainsbourg schrieb ihr ein TV-Musical, Rainer Werner Fassbinder engagierte sie, Luchino Visconti wollte sie haben … von Set zu Set, von einem Land zum nächsten: Anna Karina war DER Star der 1960er und 1970er. Jahrzehnte später ist sie die weibliche Ikone der Nouvelle Vague geblieben.

Neben der Schauspielerei hat Anna Karina übrigens noch ein sehr erfolgreiches Album aufgenommen. Die Veröffentlichung von Une histoire d’amour wurde von einer ausverkauften Tournee begleitet. 2005 brachte sie dann die Kollektion Chansons de films heraus und schrieb anschliessend noch zwei Romane, beide in französischer Sprache erhältlich: Jusqu’au bout de hazard und Golden City.

Umtriebig wie eh und je: Heute gratulieren wir Anna Karina zum 70. Geburtstag!

Wir fragen dich: Welcher ist der beste Film mit Anna Karina?

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