Forrest Gump - Die Schönheit der erzählerischen Einfachheit

20.02.2018 - 09:10 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Forrest Gump mit Tom Hanks
United International Pictures GmbH
Forrest Gump mit Tom Hanks
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Mein Herz für Klassiker schenke ich dem Film Forrest Gump von Robert Zemeckis, da er wieder und wieder beweist, dass weniger manchmal doch mehr sein kann.
Viele würden den Kopf schütteln, wenn sie hören, dass Forrest Gump 1995 den Oscar für den Besten Film gewann. Dieselben würden dann in Rage ausbrechen, wenn sie erfahren, wen Forrest Gump in dieser Kategorie damals schlug. Neben Die Verurteilten und Vier Hochzeiten und ein Todesfall war es nämlich Quentin Tarantinos Pulp Fiction, der sich Forrest Gump bei den Academy Awards beugen musste, ein Umstand, welcher aus damaliger wie heutiger Sicht einfach unverständlich erscheint. War es nicht Pulp Fiction, der die Erzählstruktur des modernen Films revolutionierte? War es nicht Pulp Fiction, der uns zeigte, dass ein Film nicht chronologisch sein muss? Und war es nicht Pulp Fiction, der als gelungenes kinematographisches Experiment die Regeln des Hollywood-Spiels komplett neu zusammenwürfelte? Ohne Zweifel. Im Gegensatz dazu ist Forrest Gump ein wirklich einfacher, sehr gewöhnlicher Film, welcher uns statt den lauten, unterhaltsamen Jules und Vincent einen Dorftölpel präsentiert, der durch die Geschichte Amerikas stolpert und uns dabei mitzieht. Ich werde hier jedoch nicht sagen, dass der Film zwar simpel erscheinen mag, eigentlich aber von unermesslichem, sozio-politischen und historischen Scharfsinn zeugt. Das tut er meiner Meinung nach nicht. Forrest Gump ist

ein simpler Film, so simpel wie es nur geht, doch macht ihn das in meinen Augen nicht nur zum rechtmäßigen Oscarpreisträger, sondern auch zu einem Film, der mindestens genauso wagemutig und experimentierfreudig ist wie Pulp Fiction.

Es ist die Einfachheit von Robert Zemeckis Film, die seinen Kultstatus ausmacht. Doch es ist auch diese Einfachheit, die man an ihm kritisieren kann. Forrest Gump scheint uns als Zuschauern auf rein struktureller Ebene nichts Neues zu bieten, er möchte uns nicht beeindrucken mit halsbrecherischen Abenteuern und ineinander verschlungenen Handlungen, welche am Ende dann in einem großen Finale aufgelöst werden. Im Gegenteil, anstatt mit seinem Film einen Schritt vorwärts zu wagen, so wie es Pulp Fiction zweifellos tat, scheint Zemeckis eher rückwärts zu gehen - weg von den filmischen Errungenschaften der modernen Erzählkunst. Während es den Anschein hat, dass viele Filme versuchen sich in ihrer Komplexität und Unberechenbarkeit gegenseitig zu übertrumpfen, schüttelt Forrest Gump diesen Zwang einfach ab und geht zeitlich zurück zu einfach verständlichen, linearen Dramen der frühen Filmgeschichte. Nur selten, sehr selten ist dieses Ignorieren jeglicher narrativer Neuheiten, wie es bei Forrest Gump der Fall ist, ein Rezept für einen guten Film. Doch wieso hat es dann gerade bei Forrest Gump geklappt? Die Antwort muss natürlich jeder für sich beantworten, aber für mich ist es gerade die Einfachheit und diese Verschließung gegenüber erzählerischen Kunstkniffen, welche den Film zu etwas Besonderem macht.

Eric Roths Screenplay für Forrest Gump ignoriert alle Konventionen des Filmemachens in dem Sinne, dass er vor allem auf die absolute Unkompliziertheit der Geschichte Wert legt. Er erzählt eine Story, die in einem Kinderbuch wohl besser aufgehoben scheint als in einem Film für Erwachsene. Die Geschichte ist sehr chronologisch aufgebaut, sie beginnt mit Forrests Schultagen und folgt ihm einfach durch sein Leben. Zugegebenermaßen ist das Leben der Titelfigur äußerst spannend, jedoch nur auf dem Papier. Der Film behält bis zu seinem Ende eine bemerkenswerte Neutralität: Wenn Forrest auf seinen Armeefreund Lieutenant Dan stößt, so freut er sich. Trifft Forrest Gump dann Präsident John F. Kennedy, freut er sich im gleichen Maße. Der Film unterlässt fast jegliche Bewertung der Ereignisse und stellt das eine nicht über das andere. Alle Dinge, die Forrest passieren, wie seltsam sie auch sein mögen, haben im Film dieselbe Gewichtung und werden uns auf dieselbe Manier erzählt. Und dies ist für einen Film höchst unkonventionell. Das Leben so darzustellen wie es ist (auch wenn Forrests Leben gespickt ist von kulturellen Meilensteinen), also ohne das Abwägen bestimmter Ereignisse getreu ihrer Wichtigkeit, ist für einen Film mindestens genauso unkonventionell wie eine anachronistische Erzählstruktur à la Pulp Fiction. In Forrest Gump gibt es keinen Höhepunkt, keine Zeitlupe, keine antizipierende Musik, es gibt nicht einmal einen Bösewicht.

Ein weiterer Faktor, der Forrest Gump zu einem echten Klassiker macht, ist sein Hauptcharakter. Tom Hanks gewann für seine Leistung den Oscar für den Besten Schauspieler, doch gab es einen Grund, weswegen seine schauspielerische Leistung überhaupt so glänzen konnte. Der Film verfolgt das Leben von Forrest auf Schritt und Tritt und gerade weil der Film bei seiner Erzählung keine Wertungen vornimmt und alle Ereignisse gleich behandelt, tritt vor allem der Hauptcharakter in den Vordergrund und nicht unbedingt, was ihm passiert. Das Besondere hierbei ist das unheimlich enge Zusammenspiel zwischen dem Erzählfluss des Films und seiner Hauptfigur. Immer wieder fällt auf, dass die Eigenschaften der Geschichte mit denen des Charakters übereinstimmen. Forrest Gump ist ein Mann mit einem IQ von 75; er sieht die Welt naiver, kindlicher und fröhlicher. Die filmische Form spiegelt in der Erzählstruktur diese Eigenschaften wieder. Der Film ist simpel, da Forrest die Welt so simpel sieht. Der Film ist chronologisch, da Forrest sein Leben so und nicht anders erlebt. Der Film ist optimistisch, da Forrest jegliche Kapazität fehlt, um Umstände zu hinterfragen oder komplett zu verstehen. Die Sprache des Films wird von Forrest gesprochen und dank Tom Hanks‘ Glanzleistung mündet dies in einem absolut grandiosen, ehrlichen Film, dem sein Hauptcharakter genügt. Er braucht keine Tricks, kein Suspence, keine verstrickten Handlungsstränge, da es seine Mission ist, das Leben eines liebenswürdigen, einzigartigen Charakters auf die Leinwand zu bringen.

Simpel und unkompliziert zu sein, kann also durchaus funktionieren, sobald man es auf narrativer Ebene so begründet wie Forrest Gump. Dass jedoch fast kein anderer Film dies schafft, sollte Grund genug sein, einzusehen, dass Forrest Gump ohne Frage ein zeitloser Klassiker ist und, dass es einen guten Grund gab, weswegen er 1995 den Oscar gewann. Er ist einfach, schön.

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