Horror-Meister dreht lieber nur noch verstörende Schocker über unsere Welt: Sein neuer Film Eddington ist so echt, dass es weh tut

21.11.2025 - 09:00 UhrVor 10 Stunden aktualisiert
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Hereditary-Regisseur Ari Aster meldet sich mit einem neuen Film im Kino zurück. Eddington beweist endgültig, dass der Amerikaner keine Lust mehr auf Genre-Grenzen hat und lieber unberechenbar herumtobt.

Wenn Martin Scorsese einen aufstrebenden Regisseur als eine der außergewöhnlichsten neuen Stimmen des Kinos  feiert, ist der Hype real. Genau dieses Lob wurde Ari Aster zuteil, der einem größeren Publikum erstmals mit seinem Horrorfilm Hereditary - Das Vermächtnis von 2018 bekannt wurde, welcher hohe Wellen schlug. Seitdem hat sich Aster, der schon Hereditary aus seiner reinen Genre-Einordnung herauslösen wollte, fast vollständig vom reinen Horrorfilm abgewendet.

Mit Eddington startet jetzt ein neuer Film des Regisseurs mit Stars wie Joaquin Phoenix (Joker) und Pedro Pascal (The Last of Us) im Kino, der sich kaum noch greifen lässt. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren schon abgezeichnet und ist im Schaffen von Aster konsequent.

Ari Aster rüttelte die Horror-Filmlandschaft mit Hereditary und Midsommar auf

Hereditary hat nicht nur als Mix aus schockierendem Familiendrama und heftigem Horror eingeschlagen, sondern gilt längst als Vorreiter der sogenannten Elevated Horror-Filmwelle. Die Werke aus diesem modernen Subgenre mischen klassische Grusel- und Schock-Elemente mit tiefgründigen Drama-Momenten. Dabei steht der eigentliche Horror meistens für tieferliegende Traumata oder Themen wie Einsamkeit, Verlust oder Trauer.

Aster selbst hat bereits damals darüber gesprochen , dass er für Hereditary viel stärker von Melodramen oder Ingmar Bergman-Filmen  beeinflusst wurde statt vom Horror-Genre. Diese Verweigerung, klassische Genre-Werke zu drehen und die Filme dann doch mit garstigen Horror-Spitzen zu garnieren, ist typisch für die ersten beiden Spielfilme des Regisseurs.

Schaut hier noch einen deutschen Hereditary-Trailer:

Hereditary - Trailer 3 (Deutsch) HD
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Hereditary lässt sich zwischen bedrückendem Familiendrama, desorientierenden Traumsequenzen, unvergesslich grausamen Schockmomenten, dämonisch eskalierendem Terror und grotesker Komik kaum beschreiben. Die pure, eindringliche Wirkung von Asters Langfilmdebüt hat sofort ihre Spuren hinterlassen und den Regisseur als ebenso seltsames wie beeindruckendes neues Talent etabliert.

In eine ähnliche Richtung ging danach auch Asters zweiter Spielfilm Midsommar. Der Film über ein junges Pärchen, das mit Freunden in einer schwedischen Dorfgemeinde (aka ritueller Kult) landet, verwandelte Folk-Horror-Klassiker wie The Wicker Man in ein nicht enden wollendes Delirium. Wieder vermischte der Regisseur reine Genre-Elemente mit der Betrachtung der dysfunktionalen, toxischen Beziehung der Hauptfiguren.

Noch stärker als Hereditary kommt Midsommar jedoch oft als Komödie daher, indem Aster viele beunruhigende oder schockierende Szenen mit albernen Comedy-Einlagen auflockert. 2019 sprach der Regisseur schon davon , am liebsten Filme aus anderen Genres wie Komödien, Musicals oder Western drehen zu wollen. In Midsommar ist dieses Greifen nach anderen Genres außerhalb der Komfortzone schon sichtbar, doch erst Asters nachfolgender Spielfilm sollte diese Grenzen wirklich sprengen.

Mit Beau is Afraid hat Ari Aster selbst seine Fans vor den Kopf gestoßen

Wer dachte, Asters Karriereverlauf nach Hereditary und Midsommar gut einschätzen zu können, wurde mit Beau is Afraid eines Besseren belehrt. Der Filmemacher selbst beschrieb die absurde Albtraum-Odyssee im Voraus als Nightmare Comedy, die vier Stunden lang werden sollte.  Am Ende sind es drei geworden, die für viele trotzdem zum Bizarrsten, Sperrigsten und Merkwürdigsten zählen dürften, was es in den letzten Jahren so im Kino zu sehen gab.

Hier könnt ihr noch einen Beau is Afraid-Trailer schauen:

Beau is Afraid - Trailer (Deutsch) HD
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Mit Beau is Afraid wollte Aster vor allem die Erfahrung vermitteln, wie es sich anfühlt, ein Loser zu sein. Dafür hat er Joaquin Phoenix als neurotischen Mittvierziger besetzt, der vom chaotischen Großstadtalltag wahnsinnig gemacht wird und auf der Reise zur Beerdigung seiner kürzlich verstorbenen Mutter einen Trip erlebt, der episodenhaft von einem unglaublichen Ereignis zum nächsten führt.

Szenen wie eine viel zu freundlich wirkende Familie, die Beau als Patienten/Geisel aufnimmt, oder eine Theateraufführung mitten im Wald, die Beau plötzlich in ein Stück im Film versetzt und sämtliche Realitätsgrenzen aufbricht, sind nur einige Passagen, die herausfordern, provozieren, ermüden oder irritieren. Vielleicht lässt sich Beau is Afraid wirklich am besten als ein einziger makaberer Witz auffassen, den Aster einem drei Stunden lang in die Ohren schreit.

Asters Entwicklung hin zu purer Gaga-Comedy lässt sich besser nachvollziehen, wenn man seine früheren Kurzfilme kennt. The Turtle's Head von 2014  handelt beispielsweise von einem Detective, der von seinem aktuellen Fall durch den nicht gerade angenehmen Umstand abgelenkt wird, dass sein Penis immer weiter schrumpft und sich in seinen Körper zurückzuziehen droht.

Eddington setzt Ari Asters verstörende Unberechenbarkeit fort

Während Beau is Afraid wie aus einem Paralleluniversum wirkt, bohrt sich Eddington als neuester Spielfilm des Regisseurs so tief wie möglich in unsere gegenwärtige Realität. Darin spielt erneut Joaquin Phoenix die Hauptrolle als labiler Kleinstadtsheriff Joe, der im Mai 2020 genauso wie der Rest der Welt von der kürzlich aufgekommenen Coronavirus-Welle überfordert wird.

Schaut hier noch einen deutschen Trailer zu Eddington:

Eddington - Trailer 2 (Deutsch) HD
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Aster zieht Eddington als extrem satirische Tragikomödie auf, die nicht nur ein Duell zwischen Joe und dem Saubermann-Bürgermeister Ted (Pedro Pascal) im Western-Style in Stellung bringt. Der neue Film des Regisseurs ist laut Moviepilot-Chefredakteurin Jenny Jecke vielmehr noch gruseliger als Hereditary, Midsommar oder Beau is Afraid:

Asters Drehbuch treibt die Konkurrenz von Joe und Ted so weit ins Absurde, bis die Ereignisse von der Weltsicht eines Verschwörungstheoretikers nicht mehr zu unterscheiden sind. [...] Eddington ist so absurd, dass er wieder echt wirkt und das macht Angst. [...]

Eddington entwirft mit überspitzt zusammengeschmissenen Themen wie der Corona-Pandemie, der Black Lives Matter-Bewegung, Social-Media-Dauerpräsenz, fragwürdigen Internet-Gurus und Big Data-Paranoia ein Bild vom Hier und Jetzt, in dem wir leben. Ari Aster will und muss keine Horrorfilme mehr drehen, denn unsere Wirklichkeit ist schon am schlimmsten.

Eddington läuft seit dem 20. November 2025 in den deutschen Kinos.

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