2007 erschien der erste Bericht über David Finchers geplanten Film Der Killer. 2007! Das iPhone wurde in diesem Jahr angekündigt. Amazon veröffentlichte den Kindle E-Reader. Und eine Firma namens Netflix erschien auf der Bildfläche. Knapp 16 Jahre später verschickt der Konzern keine DVDs mehr, sondern finanziert Filme. David Finchers Comic-Adaption gehört dazu.
In Venedig feierte die Auftragskiller-Story mit Michael Fassbender und Tilda Swinton Premiere. So viel sei vorweggenommen: Eine Sekunde von Der Killer fesselt mehr als alles, was The Gray Man, Red Notice und Co. zu bieten haben.
Michael Fassbenders Auftragskiller macht einen folgenreichen Fehler
Nach der enttäuschenden Hollywood-Story Mank meldet sich Fincher auf vertrautem Terrain zurück. Die Schwarz-Weiß-Bilder haben sich verabschiedet, zurück sind das fröstelnde Blau und das säuerliche Gelb, das man als Fincher-Fan ersehnt wie das Wohnzimmer an einem verregneten Novembermittwoch.
Der Killer (Fassbender) hält einen Auftaktmonolog wie der Protagonist aus Fight Club, er erklärt seine Philosophie, den Unterschied zwischen einem Morgen in Paris und einem in Berlin. Währenddessen vertreibt er die Langeweile und Hochspannung seines derzeitigen Auftrags. Dieser geht aber schief. Der Killer schießt daneben und löst mit seiner unbefriedigenden Arbeit eine Kettenreaktion aus. Erst trifft sie Menschen, die ihm nahe stehen, daraufhin sucht er die Verantwortlichen.
Es ist eigentlich ein Wunder, dass Auftragsmorde im neuen Film von David Fincher noch nicht per App gebucht und mit Sternen bewertet werden. Fassbenders Assassine stellt sich als John Wick der Gig Economy vor. Er mietet für seinen Auftrag einen Coworking-Space. Vom Tatort flüchtet er mit einem Rideshare-Moped und elektronische Schlösser knackt der Namenlose mithilfe von Online-Shop und Packstation.
Der Netflix-Film bietet entschlackte Thrills
Die Adaption eines französischen Comics von Matz und Luc Jacamon positioniert das Handwerk des Todes in der globalisierten Dienstleistungsgesellschaft. Der freischaffende Mörder von heute optimiert sich mit Yoga und Atem-Übungen, um seine Kunden zufriedenzustellen. Was in Der Killer ironiefrei inszeniert wird. Dem Thriller fehlt es nicht an Humor, aber wenn es um die Darstellung der Arbeit geht, tritt im Drehbuch von Andrew Kevin Walker (Sieben) die Fincher-typische Detailgenauigkeit zutage. Man wird sich nach dem Film unweigerlich fragen, ob der nächstbeste E-Scooter auch Zeuge einer Meuchelei war.
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Aus diesen Beobachtungen von (Tötungs)Prozessen entwickelt der Thriller eine nervenzehrende Atmosphäre. Fassbenders Figur organisiert die Arbeit so fein säuberlich, dass man nach einer Weile überall einen Querschläger erwartet, der für die befürchtete Unordnung sorgt. Seit Panic Room hat Fincher nicht mehr einen derart entschlackten Genrefilm gedreht.
Netflix-Großproduktionen wie The Gray Man schicken austauschbare Figuren an undefinierbare Orte, um sie durch stümperhafte Action-Szenen zu jagen. Der Killer wurzelt hingegen fest in unserer Gegenwart und ihren Metropolen, von einer herausragenden Kampfszene und minutiös dirigierten Morden und Einbrüchen ganz zu schweigen. Die Arbeit hat sich gelohnt.
Der Killer erscheint am 10. November 2023 im Katalog von Netflix.