129-minütiges Netflix-Epos mit Bradley Cooper leidet unter fatalem Problem und ausgerechnet Steven Spielberg ist daran schuld

02.09.2023 - 19:00 UhrVor 8 Monaten aktualisiert
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Nach A Star is Born legt Bradley Cooper seinen neuen Film vor, der einer Musiklegende Tribut zollt. Das Netflix-Prestige-Projekt leidet unter seinem Star.

In den ersten 10 bis 15 Minuten von Maestro dachte ich, da kommt was Großes auf den Netflix-Katalog zu. Komponist und Dirigent Leonard Bernstein (Bradley Cooper) schnellt wegen eines Anrufs aus dem Schlaf, reißt die Vorhänge auf und der Film fliegt mit ihm durch Zimmer, Flure und direkt in die Carnegie Hall, wo er an diesem Abend kurzfristig einspringen muss. Es ist der womöglich wichtigste Auftritt in Bernsteins Karriere, sein Durchbruch. Hauptdarsteller, Regisseur und Co-Autor Cooper wirft die Energie, die ein lebensverändernder Moment entfaltet, in einer geballten Geste auf die Leinwand.

Das hat Cooper schon mal getan, in seinem Regie-Erstling A Star Is Born (2018), der ebenfalls beim Filmfestival Venedig Premiere feiern durfte. Da wurde Lady Gagas Sängerin auf die Bühne geholt und ein neuer Stern erschien am Firmament. Zwei Stunden später hinterließ Maestro hauptsächlich Enttäuschung.

Steven Spielberg ist (irgendwie) an allem Schuld

"Du führst bei Maestro Regie", soll Steven Spielberg zu Bradley Cooper gesagt haben , nachdem er den oben beschriebenen Moment aus A Star is Born gesehen hatte. Man kann dem Meisterregisseur (Spielberg ist in diesem Fall gemeint) nicht böse sein wegen dieser Entscheidung.

Maestro

Cooper, der mit Hangover berühmt wurde, verbirgt unter seinem Leading Man-Charme einen beträchtlichen Ehrgeiz. Für sein Regie-Debüt suchte er sich eine der ikonischen Hollywood-Storys aus. Er trat in die Fußstapfen von Größen wie George Cukor und William Wellman, die veritable Meisterwerke aus A Star is Born gezaubert hatten. Für seinen zweiten Film schnappte er sich die Biografie eines der bedeutendsten amerikanischen Musiker des 20. Jahrhunderts.

Leonard Bernstein, der gefeierte Dirigent, Komponist von West Side Story und TV-Musik-Pädagoge (u.a. von Lydia Tár) ergreift jene Chance beim Schopf, erlangt landesweite Bekanntheit und verliebt sich in die Schauspielerin Felicia Montealegre (Carey Mulligan). Bernstein pflegt während der Ehe weiter sexuelle Beziehungen zu Männern, während Felicia sich über die Jahre im Schatten ihres Mannes wiederfindet.

Carey Mulligan wird vom Maestro erdrückt

Die erste Verliebtheit produziert die berauschendsten Momente von Maestro. Cooper und sein Team verwandeln das Leben des Künstler-Paares in eine Bühne, auf der Dialoge in Musical-Tanznummern umschlagen und räumliche Grenzen aufgeweicht werden. Vom Wohnzimmer zum Broadway ist es nur ein Katzensprung und im Angesicht der enthusiastisch strahlenden Augen von Bradley Cooper mag man die Einladung dazu kaum ablehnen.

Maestro

Sobald die Ehe von Bernstein und Montealegre in die Krisenzeiten schlittert, erlahmt die visuelle Spielfreude von Cooper. Was mit dem Elan eines Babylon oder gar Hinter dem Rampenlicht beginnt, wird zum seriösen Künstler-Beziehungsdrama zurechtgerückt. Distanzierte Totalen und einengende Innenarchitektur stehen nun bereit, um die wachsenden Risse zwischen den beiden Liebenden zu visualisieren. Das wäre akzeptabel, überließe das Drehbuch der weiblichen Hauptfigur ein Bruchteil der Aufmerksamkeit, die dem Maestro geschenkt wird.

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Der Netflix-Film leidet unter Bradley Cooper

Carey Mulligan bekommt ein paar Oscar-Clip-reife Szenen, aber Maestro hat nur Augen für sein Genie, Regisseur und Autor Bradley Cooper hat nur Augen für Hauptdarsteller Bradley Cooper. So gut wie jeder Dialog kreist irgendwann zurück zum Titelhelden und die Kamera tut es dem Drehbuch gleich.

Einsichten ins Innenleben von Coopers Bernstein bleiben nichtsdestotrotz spärlich. Seine Beziehungen zu Männern oder eben diese Männer verharren in der Unschärfe formvollendeter Bilder. Die Musik drückt wenig mehr über ihn aus. Maestro begreift das Schaffen von Bernstein nicht als Arbeit, sondern als ungetrübten Fluss genialischer Energie.

Anders als im letztjährigen Meisterwerk Tár sieht man so gut wie gar nicht, wie das Genie seine Orchester zu ihren Höchstleistungen antreibt, wie Bernstein arbeitet, bevor er vor Publikum brilliert. Das ist kein Muss für ein Dirigenten-Biopic, aber eine weitere Sackgasse auf dem Weg zur Einsicht. Bradley Cooper und sein Co-Autor Josh Singer schreiben Bernstein wie einen Menschen, der fertig auf die Welt kam. Das ist respektvoll, aber auch furchtbar langweilig.

Maestro erscheint am 20. Dezember 2023 bei Netflix.

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