Das Leben nach der Todeszelle - Rectify

09.05.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Rectify
Sundance Channel
Rectify
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Sechs Folgen, keine Stars, keine Welt umstürzenden Twists, keine zu enträtselnde Mythologie, keine Drachen, kein Meth. Das ist die Serie Rectify vom Sundance Channel, einer der besten Neustarts des vergangenen Jahres.

19 Jahre lang erwachte Daniel Holden (Aden Young) jeden Tag in der Erwartung, dessen Ende nicht mehr zu erleben. Rechtskräftig verurteilt für die Vergewaltigung und Ermordung seiner damaligen 16-jährigen Freundin Hanna, saß Daniel in der Todeszelle. 24 Stunden, sieben Tage die Woche umgeben von den weißen Backsteinen. Der einzige Kontakt: zwei Mithäftlinge in den Nachbarzellen, einer der zum Freund wird und den Glauben an das Gute in Daniel beschwört. Der andere ein Psycho, der das Leben seiner Nachbarn zur Hölle machen will, ein Teufel, der ihnen Hass ins Ohr flüstert. Und dann kommt Daniel wegen neuer DNA-Analysen frei. Die belegen allerdings nicht seine Unschuld.

Hat Daniel Hanna ermordet? Diese Frage schwirrt nicht nur in den Köpfen von Familie, Freunden und Nachbarn in der Serie Rectify herum. Autor und Regisseur Ray McKinnon, der kränkelnde Prediger aus Deadwood, lässt diese Formalität zunächst außen vor. So kehrt Daniel zurück in seine Heimatstadt, während Senator Foulkes (Michael O’Neill) alle Hebel in Bewegung setzt, um ihm die frisch gewonnene Freiheit wieder zu entziehen. Viele Gefängisdramen, ob Die Verurteilten oder Oz – Hölle hinter Gittern, erörtern den Bruch, den die Freiheitsberaubung darstellt und der vor Bekenntnissen der Schuld oder Unschuld keinen Halt macht. Rectify stellt diesen Ansatz auf den Kopf. Über die Jahre hat Daniel die weißen Backsteine als Normalität hingenommen. Das Warten auf den Tod ist ihm zum Alltag geworden. Die plötzlich unbegrenzten, überwältigenden Möglichkeiten scheinen schwerer zu penetrieren als jede Gefängnismauer.

Von Aden Young wird Daniel mit einem hypnotisierenden Blick gespielt, dabei meistert er den Balanceakt, den Zuschauer mit seiner latenten Undurchsichtigkeit nicht zu entfremden. Seelisch zusammengestutzt durch all die Jahre in den weißen Wänden, streckt der zum Tode Verurteilte im Sonnenlicht zaghaft die Fühler aus. Alltägliche Kleinigkeiten fordern seinen Entdeckergeist, etwa wenn er mit seinem neuen Halbbruder zum ersten Mal einen DVD-Player benutzt und Confusion – Sommer der Ausgeflippten schaut. In seinem neuen Leben wartet auf Daniel nicht nur der von allen Seiten suggerierte Verdacht, er habe seine Freundin brutal ermordet und sei unrechtmäßig der Giftspritze entkommen. Als Teenie der 80er sind ihm zwei Jahrzehnte technischen und kulturellen Wandels entgangen und das gibt in Rectify zwar manches Mal Anlass zu feinen Pointen, verweist aber auch auf die Fremdheit, die Daniel bei jedem Gang durch die Stadt erwartet. Da kann der Walkman auf dem Dachboden zum alten Freund werden, der einen für ein paar Minuten nochmal unschuldiger Teenie sein lässt.

Dicht erzählt in sechs Folgen, welche die Woche nach Daniels Entlassung umfassen, entdecken wir mit ihm seine neue alte Familie. Darunter sind die Schwester (Abigail Spencer), die für seine Unschuld kämpfte und der Stiefbruder (Clayne Crawford, ein junger Wiedergänger Ray Liottas), der Daniel ebenso seine Freiheit neidet wie sein Anrecht auf das Familiengeschäft. Zwischen diesen Charakterstudien lauert stets die Ermittlung des wahren Tathergangs und, eigentlich noch fesselnder, die Puzzleteile einer Psyche, die vielleicht des Mordes fähig war. Vielleicht auch nicht. Denn Rectify kommt ohne einen dieser todessehnsüchtigen Antihelden aus, die das moderne Quality-TV in der Nachfolge Tony Sopranos in Beschlag genommen haben. Ja, Daniel Holden könnte vor fast zwanzig Jahren ein Mädchen vergewaltigt und ermordet haben, doch im Mittelpunkt von Rectify steht eben nicht diese eine Schuld, wenn auch Schuld und Vergebung eine gewichtige Rolle in der Serie (und natürlich ihrem Titel) spielen. 19 Jahre mit dem Tod als einzige, geradezu beruhigende Sicherheit vor Augen, muss Daniel eine viel größere Aufgabe stemmen: das Leben.

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