Community

Ang Lee - Der globale Geschichtenerzähler wird 64

23.10.2018 - 00:20 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Ang Lee bei den Dreharbeiten zu "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger"
Twentieth Century Fox of Germany GmbH
Ang Lee bei den Dreharbeiten zu "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger"
7
15
Ang Lee, ein Regisseur, der in der ganzen Welt verstanden wird, feiert heute seinen 64. Geburtstag. Seine Filmografie ist so vielseitig und facettenreich. Und doch kann man stets das universell Menschliche in ihnen entdecken. Feiert mit uns den globalen Geschichtenerzähler.

Am 23. Oktober 1954 wurde in der Kleinstadt Chaozhou im taiwanesischen Landkreis Pingtung ein Junge namens Ang Lee ( 李安 ) geboren. Heute, 64 Jahre später, ist dieser Name überall auf der Welt bei Filmfreunden bekannt. Lee drehte Filme in Taiwan, den USA, Großbritannien oder China. Die kulturellen Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen behinderten ihn jedoch kaum in seinem globalen Erfolg, was wohl zum Teil an der emotional geprägten Herangehensweise des Filmemachers liegen dürfte. Ob innerfamiliäre Konflikte, Spannungen zwischen Tradition und Moderne oder der Kampf für eine bessere Welt, Lees Filme werden überall verstanden obwohl seine Geschichten von so unterschiedlichen Charakteren wie Familienvätern, Söhnen, Töchtern, fliegenden Schwertkämpfern, Südstaaten-Guerrillakämpfern, grünen Superwesen, homosexuellen Cowboys, indischen Jungen mit Tiger, US-Soldaten auf Publicity-Tour, chinesischen Widerstandskämpfern während der japanischen Okkupation oder englischen Adelstöchtern erzählen. Auch schließlich Lees Präferenz für das neben dem emotional zudem visuell Eindrucksvolle wird eine große Rolle bei seinem Erfolg spielen.

Ang Lee gewann nicht nur die Herzen der Zuschauer. Er kann bereits zwei Oscars für Beste Regie ("Brokeback Mountain" und "Life of Pi") sein Eigen nennen, womit er der erste nicht-weiße Preisträger überhaupt in dieser Kategorie wurde. Außerdem gewann Lee mit "Tiger & Dragon" einen Academy Award für den besten fremdsprachigen Film. Zusätzlich konnte er Golden Globes, BAFTA-Awards, Goldene Bären, Goldene Löwen und viele weitere Preise einstreichen. Ang Lee wurde darüberhinaus von seinem Heimatland Taiwan der Order of Brilliant Star verliehen.

Einige Community-Mitglieder haben sich im Rahmen der Aktion Textgeschenke zum Geburtstag mit den Werken Lees befasst und kleine Texte dazu geschrieben, die wir euch hier nun gesammelt und in chronologischer Reihenfolge präsentieren möchten. Eine Autorin hat diesmal sogar zwei Beiträge für den Artikel beigesteuert. Feiert mit uns das heutige Geburtstagskind, dem globalen Geschichtenerzähler. Alles Gute, Ang.

Stefan Ishii über "Eat Drink Man Woman" (1994)

Töchter zu erziehen ist wie eine Mahlzeit zu kochen. Du verlierst deinen Appetit bis du fertig bist.

"Eat Drink Man Woman"

Wenn man dem Essen zugetan ist und einem insbesondere die asiatische Küche beim bloßen Gedanken das Wasser im Munde zusammen laufen läßt, dann kann "Eat Drink Man Woman" von Ang Lee phasenweise fast eine buchstäbliche Tortur sein. Was da an Köstlichkeiten gezaubert wird, sieht so appetitlich aus, dass das Verlangen danach ungeahnte Ausmaße annimmt. Ein Verlangen, das zumindest während des Schauens des Filmes nicht befriedigt werden kann. Aber natürlich geht es in dem taiwanesischen Drama nicht vordergründig ums Essen oder Trinken; im Titel stehen neben diesen Wörtern noch die Begriffe Mann und Frau. Der Protagonist des Filmes sagt an einer Stelle: "Essen, Trinken, Mann, Frau. Grundlegende menschliche Wünsche. Man kann sie nicht vermeiden. Mein ganzes Leben lang war das alles, was ich je getan habe. Es kotzt mich an. Ist das alles um was es geht im Leben?" Eine einfühlsame Sozialstudie also, die Ang Lee hier erschaffen hat.

Tatsächlich ist "Yin shi nan nu" der einzige Film von Ang Lee, der in seiner gebürtigen Heimat Taiwan angesiedelt ist. "Schiebende Hände" (1992) oder "Das Hochzeitsbankett" (1993) spielen bereits in New York, auch wenn die Mehrzahl der Figuren chinesischer Abstammung ist. Was diese drei Filme jedoch vereint, ist das Thema gesellschaftlicher Zwänge. Unglückliche Figuren, gefangen in sozialen Systemen, welche Individualität und natürliche Wünsche nicht zuzulassen scheinen. Im ersten Film ist es ein ehemaliger Tai-Chi-Meister, der ein neues Leben bei seiner Familie in Amerika beginnen möchte. Sein Sohn Alex versucht die Familie zusammenzuhalten angesichts innerer Konflikte zwischen kultureller Tradition und modernem, amerikanischem Lebenstil. In "Das Hochzeitsbankett" wird wiederum von einer gespielten Ehe zwischen einem Homosexuellen und einer Bekannten erzählt. Die Hauptfigur Wei-Tung täuscht hier aufgrund seiner drängenden Eltern etwas vor, das er nicht selbst ist.

"Eat Drink Man Woman" berichtet nun vom alten, verwitweten Koch Chu, der mit seinen drei erwachsenen, aber unverheirateten Töchtern in Taipeh zusammenlebt. (Für Freunde der Filme von Yasujiro Ozu klingt das doch sicherlich sehr ansprechend.) Die älteste Jia-Jen ist eine Chemielehrerin, die zum Christentum konvertiert. Jia-Chien arbeitet bei einer Fluggesellschaft. Und die Jüngste, die Studentin Jia-Ning, jobbt nebenbei in einem Fast-Food-Restaurant. Im Fokus des gemeinsamen Lebens im Hause Chus stehts das Ritual eines regelmäßigen und ausgiebigen Abendessens. Durch leidenschaftliche Kochkünste versucht Chu seine Gefühle zu seinen Kindern auszudrücken, doch für die Töchter stellt dieses Ritual inzwischen wohl mehr Pflicht als Vergnügen dar. Für sie sind Privat- und Liebesleben viel wichtiger. Jede Tochter findet auf ihre Art eine Form der Rebellion.

Der Film beginnt mit dem Vorstellen der vier Protagonisten. Während die Töchter in ihren Lebenssituationen beobachtet werden, bereitet der alte Chu ein unglaubliches Essen zu. Er filetiert, fritiert, kocht und dämpft. Es gibt Fisch, Schinken, Schweinebauch, Rippchen, Ente und Huhn. Die goldbraune Färbung des Fleisches und brodelnden Dämpfe aus dem Wok lassen die Gerüche fast spürbar werden. Dazu selbstbereitete Nudeln, Wan-Tan-Taschen gedämpftes Gemüse und Reis. Schließlich die typische Hot-Pot-Suppe. Wer jetzt nicht Appetit bekommen hat, sollte dann doch lieber bei Jia-Nings Fast-Food-Kette zu Abend essen...

Überhaupt ist "Eat Drink Man Woman" von einer starken Visualität geprägt, die sich nicht nur auf die Kochkünste bezieht. Die sinnlichen Erfahrungen sind es aber vielleicht, die am nachhaltigsten in Erinnerung bleiben. Ang Lee zauberte einen angenehm leichten, aber durchaus vielschichtigen Film, der sich wahlweise mit Schärfe oder Humor mit den Problemen der Figuren auseinandersetzt. Probleme und Bedürfnisse, die sicherlich jeder so oder zumindest so ähnlich selbst kennen dürfte.

Genuss und Emotionalität. Danke, Herr Lee. Und alles Gute!

Den Kommentar zum Film findet ihr auch hier.


ElsaWaltz über "Sinn und Sinnlichkeit" (1995)

Zu Lieben heißt brennen, in Flammen zu stehen.

"Sinn und Sinnlichkeit"

"Sinn und Sinnlichkeit" war erst der vierte und der erste Film in englischer Sprache, den unser heutiges Geburtstagskind Ang Lee gedreht hat. Nach seiner „Father-Knows-Best-Trilogie“ sollte es also ein Kostümfilm werden, der Ang Lee einem breiten Publikum bekannt und ihm damit die Tore Hollywoods öffnen sollte.

"Sinn und Sinnlichkeit" ist mehr als ein einfacher Kostümfilm. Ang Lee hat mit der Hilfe eines hervorragenden Casts - bestehend aus welchen der besten britischen Darsteller - ein kleines Juwel geschaffen. Emma Thompson, die auch gleichzeitig das Drehbuch schrieb, spielt den Part der Elinor Dashwood, an ihrer Seite kann man die dann noch unbekannten Kate Winslet in der Rolle der „feurigen“ Marianne Dashwood bewundern. Abgerundet wird das Liebes-Quartett durch den wunderbaren Alan Rickman und Hugh Grant. In Nebenrollen brillieren Harriet Walter, Hugh Laurie, Imelda Staunton und Robert Hardy.

Ang Lee schafft ein kleines Wunder mit dieser Regiearbeit:
Keiner der Schauspieler überscheint die anderen, alle spielen sie auf einer solch hohen Ebene. In jeder Szene erkennt man den Respekt der Schauspieler den anderen gegenüber, ein vollkommen harmonisches Bild entsteht. Lee hat den gesamten Film herausragend inszeniert. Man kann gar nicht anders, als mit den Dashwood-Schwestern um die Liebe bangen. Mit ihnen leiden, lachen und letztendlich feiern.

Dank Ang Lee wurde ein Klassiker von Jane Austen einem breiten Filmpublikum bekannt. Und der Film unseres Geburtstagskindes durfte sich über viele verdiente Preise freuen. Auf der Berlinale gewann er den „Goldenen Bären“, den Hauptpreis den Festivals. Auch in Hollywood sorgte der Film während der Award-Season für Aufmerksamkeit: Sieben Oscarnominierungen (ein Sieg), drei BAFTAs (darunter „Bester Film“) und zwei Golden Globes.

Marianne Dashwood hat recht: „Zu Lieben heißt brennen, in Flammen zu stehen“. Diesen Film kann man nur lieben. "Sinn und Sinnlichkeit" ist so sinnlich, wie es wenige Liebesfilme sind.

Vielen Dank für diesen wunderschönen Film, der einer meiner Lieblingsfilme ist.
Alles Gute zum 64. Geburtstag, lieber Ang Lee!

Den Kommentar zum Film findet ihr auch hier.


ElsaWaltz über "Tiger & Dragon" (2000)

Meine Liebe zu dir wird nicht zulassen, dass ich ein einsamer Geist werde.

"Tiger & Dragon"

Tauche ein in die Welt des Wuxia-Films. Ist es eine Welt? Oder eine Kunst? Oder beides?

Dass "Crouching Tiger, Hidden Dragon - Tiger & Dragon" ein Kunstwerk von einem Film ist, wird einem schon in den ersten Minuten offenbart. "Tiger & Dragon" ist ein Epos, dessen Geschichte alles beinhaltet, was eine Legende ausmacht: Es geht um Ehre, Kraft, Leidenschaft, Verantwortung und letztendlich Liebe.

All diese Eigenschaften der Geschichte tragen herausragende Schauspieler. In den fünf Hauptrollen sind Chow Yun-Fat, Michelle Yeoh, Zhang Ziyi, Chang Chen und Cheng Pei-pei zu bewundern.

Vor allem Michelle Yeoh als Yu Xiu Lian brilliert in jeder Szene. Selten hat man auf der Leinwand ein solch ehrenvolles Paar wie Li Mu Bai und Yu Xiu Lian gesehen.

Mit der Inszenierung seines siebten Films hat sich Ang Lee ein Denkmal gesetzt:
Traumhafte, gar elegante Bilder machen die Poesie dieses Films aus. Dazu kommen Kämpfe, die einem den Atem rauben. Man mag als Zuschauer gar nicht glauben, dass sie Sequenzen nicht am Computer entstanden sind. Durch die Geschichte und die Musik von Tan Dun entsteht eine märchenhafte und berauschende Atmosphäre. Schon fast wirkt der Film philosophisch, jede Szene besitzt eine zeitlose Schönheit, eine Anmut wie sie auch die Darsteller in ihren Kämpfen besitzen.

Ang Lee hat mit diesem Film ein Meisterwerk erschaffen und zu Recht fast jeden möglichen Preis gewonnen. Er hat Kinomagie vollbracht wie man sie lange nicht mehr gesehen hat. Er hat einen Actionfilm geschaffen, der gleichzeitig so sinnlich, wie er ehrlich ist. Denn es ist noch vor der Ehre und der Pflicht vor allem die Liebe für die wir kämpfen.

Vielen Dank für diesen Rausch von einem Film.
Alles Gute zum 64. Geburtstag, lieber Ang Lee!

Den Kommentar zum Film findet ihr auch hier.


Adrian.Cinemacritics über "Brokeback Mountain" (2005)

Jack, I swear.

"Brokeback Mountain"

Es gibt einen guten Grund, warum so vielen Kinogängern zuerst "Brokeback Mountain" in den Kopf kommt, wenn sie an LGBT-Filme denken. Die Szene, wo sich Jake Gyllenhaal und Heath Ledger in den Bergen umarmen, hat sich so stark in die Köpfe der Menschen verankert, dass man es fast schon als das Erkennungsbild des LGBT-Kinos ansehen kann. Auch wenn es schon vorher Geschichten über homosexuelle Pärchen im Kino zu bewundern gab, haben wenige so ein Zeichen gesetzt wie Ang Lees Film aus dem Jahr 2005. Er war einer der vielen Auslöser für den Popularitätsanstieg von LGBT-Geschichten in unserer modernen Filmlandschaft. Und auch wenn sich über die Jahre vieles gebessert zu haben scheint, gibt es selbst heute Proteste gegen die Darstellung solcher Liebesgeschichten, weshalb es damals ziemlich mutig von Lee war, einen solchen Film gedreht zu haben.

Was diesen Film so besonders macht, ist dass er sich echt anfühlt. Statt irgendwelche an den Haaren herbeigezogenen Konflikte einzubauen, verlässt er sich auf einer naturalistischen Erzählung, die uns ein Gefühl dafür gibt, wie es ist, in der Haut dieser jungen Männer zu stecken. Es ist bemerkenswert, wie viel Zeit sich Ang Lee für den Aufbau ihrer Beziehung lässt. Fast 45 Minuten lang begleiten wir Jack Twist und Ennis Del Mar, wie sie auf die Schafe in "Brokeback Mountain" aufpassen und sich im Laufe der Zeit näher kommen. Sie erleben keine großen Abenteuer noch rennen sie in irgendwelche großen Gefahren rein (das Näheste, was einem Konflikt gleich kommt, ist dass Ennis vom Pferd fällt, nachdem es sich von einem Bären erschreckt hat) und doch kommt uns nie Langeweile auf. Die wunderschönen Bilder ergänzen sich hervorragend mit den Interaktionen unserer beiden Protagonisten. Jeder Dialogaustausch ist so spannend wie ein Ritt auf einem Ochsen und wir wünschten uns fast schon, dass die beiden für immer auf dem Berg bleiben und glücklich werden würden. Doch der Traum kann nicht ewig gelebt werden und unsere Hoffnungsblase zerplatzt, sobald sich ihre Wege trennen und sie zurück zu ihrem normalen Leben zurückkehren.

Was darauf folgt, ist der Grund, warum es so schwer ist, "Brokeback Mountain" anzuschauen. Auch wenn der Film uns hin und wieder ein paar glückliche Momente abliefert, ist der Rest des Films durchzogen von Melancholie. Wir trauern um das Leben, das Jack und Ennis hätten führen können. Auch wenn sie beide eine Frau heiraten und Kinder kriegen, spüren wir doch eine Leere in ihren Leben, wann auch immer sie voneinander getrennt sind. Beide Schauspieler kriegen es hervorragend hin, diese Gefühle mit ein paar Blicken und einigen gut eingesetzten Worten, rüberzubringen. Wir hoffen auf ein Happy End, wir betteln förmlich, dass Ennis einwilligt, ein neues Leben mit Jack zu starten. Wir wünschten, wir könnten die Zeit zurückdrehen, um Ennis davon zu überzeugen, in den Wagen mit Jack zu steigen. Auch wenn manche über einen fehlenden Plot meckern würden, tut "Brokeback Mountain" genau das, was Filme tun sollten: uns mitfühlen lassen. Bis zum Ende der Geschichte können wir unsere Augen nicht vom Bildschirm wegbewegen, so sehr es auch schmerzen mag. Dass uns das klassische Hollywoodende verwehrt wird, ist genau das, was diesen Film so einzigartig macht. So schön die Liebe auch sein mag, sie kann uns im echten Leben auch innerlich zerreißen, wenn sie kann.

Hiermit wünsche ich noch dem großen Meister Ang Lee persönlich alles Gute und danke ihm dafür, dass er mir diese Erfahrung ermöglichen konnte.

Iamthesword über "Die irre Heldentour des Billy Lynn" (2016)

It's sort of weird, being honored for the worst day of your life.

"Billy Lynn’s Long Halftime Walk"

Time matters. Große Regisseure wissen das. Wie lange eine Einstellung dauert, wie viel Zeit ein Film sich nimmt, um seine Geschichte zu erzählen, ist nicht beliebig. Es ist abhängig von der Geschichte, die man erzählen möchte. Schnelligkeit kann uns Chaos, Überforderung, Gefahr vermitteln, Langsamkeit Ruhe, aber auch das Gefühl, in einer Welt oder Situation gefangen zu sein (hierzu gerne mal Béla Tarrs "Satanstango" sichten).

Time matters. Bereits der Titel deutet es an (also der Originaltitel, nicht dieser absurde deutsche Quatsch, dem ich gerne die Schuld daran gebe, dass der Film an den Kinokassen hierzulande abgesoffen ist): "Billy Lynn’s Long Halftime Walk". Dabei läuft Billy Lynn gar nicht lange. Der Veteran, der für seinen Mut im Irakkrieg ausgezeichnet wurde, soll mit seiner Einheit in der Halbzeitpause eines Footballspiels auftreten – zusammen mit Destiny’s Child (quasi als eine Art patriotischer Bühnenschmuck). Einmal eine Bühne hochlaufen, stehen, salutieren, abtreten, fertig. Vielleicht 10 Minuten. Doch Ang Lee spielt mit dem Titel und erweitert unseren Blick: Immer wieder zieht er an den Enden dieses ebenso kurzen wie absurden Ereignisses. Billy Lynns Weg wird unter seiner Regie länger und länger. Die Ankunft am Stadion. Die Einweisung durch die Organisatoren. Das Treffen mit dem Clubbesitzer. Und Warten, immer wieder Warten. Immer wieder fläzen die Helden gelangweilt auf Stadionsitzen oder stehen mehr oder weniger verloren in der Gegend herum. Heroismus hat man sich anders vorgestellt. Wie auch Clint Eastwood in "Flags of Our Fathers" zeigt Lee Soldaten als Werbeträger für einen Krieg, eine Nation, eine Identität, kleine Verschleißteile in einer großen patriotischen Werbeindustrie. Diese ist ihre neue Rolle, immer wieder werden sie auf ihren Einsatz, ihren Mut, ihren Heroismus angesprochen. Ihr Leben IST jetzt ein Halftime Walk. Aber anders als Eastwoods Iwo-Jima-Veteranen stellt Lee seine Soldaten nicht nur als traumatisierte Opfer da. Auch an Billy Lynn ist der Krieg keinesfalls spurlos vorbeigegangen, aber Lee zeigt ihn dennoch als handelndes Subjekt, sei es im ungelenken Flirt mit einer Cheerleaderin, im Disput mit den Clubverantwortlichen oder seiner finalen Entscheidung, in den Krieg zurückzukehren. Er ist hin- und hergeworfen zwischen der Loyalität zu seinen Kameraden, den Menschen daheim (neben der Cheerleaderin vor allem seine Schwester, die ihn zur Heimkehr bewegen will) und dem Gefühl, im großen, bunten, heroisch-dröhnenden Amerika nicht daheim zu sein. Ang Lee reduziert seinen Film nicht auf seine Kritik an der Patriotismusmaschinerie Amerikas, er verliert nie das Individuum aus den Augen (typisch Ang Lee, möchte man sagen). Der große Kampf Amerikas und der kleine Kampf Billy Lynns um eine Identität, sie kondensiert Ang Lee aus der Betrachtung eines sehr langen Halftime Walks.

Time matters. Große Regisseure wissen das.

* * *

Im Rahmen des Schreibzusammenschlusses "Textgeschenke zum Geburtstag" sind bereits einige tolle Artikel zusammengekommen. Eine Übersicht läßt sich in einer Liste finden. - Neue Autoren und Mitschreiber sind natürlich immer gerne willkommen. Kontaktiere einfach Amarawish oder Stefan Ishii! Oder schaue in unsere Planungsliste!

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News