Zombies in Cannes: Train to Busan & The Handmaiden

15.05.2016 - 17:30 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Mit dem Zombie-Film Train to Busan und dem erotischen Historien-Thriller The Handmaiden von Park Chan-wook gab es ein koreanisches Doppel in Cannes, während sich Andrea Arnold in American Honey einer Reise quer durch die Top 40-Charts annimmt.

"Commence le film! Commence le film!", brabbelt es neben mir. Kurz vor zehn Uhr abends, eine kühle Brise zieht vom Meer herüber zur Schlange vor dem Salle de Soixentieme, einem besseren Zirkuszelt, in dem die Wiederholungen der offiziellen Auswahl des Festivals in Cannes laufen. Vielleicht noch etwas überhitzt von Andrea Arnolds gerade zu Ende gegangenem flirrendem American Honey, reibt der Fremde neben mir nervös die behelfsmäßige Plastikabsperrung. Ein weiteres in den Kragen gemurmeltes "Commence le film!", der Handrücken reibt über die schweißbenetzte Stirn, während die Augen in Richtung der piependen Scanner beim Einlass zucken. Sollte die Zombie-Apokalypse beim Filmfestival in Cannes ihren Ausgang nehmen, würde mich das wenig verblüffen. Schließlich wird man morgens als menschliche Presswurst zusammen mit Tausenden anderen von der Sonne angegrillt und in den neuen Spielberg geschoben, um sich den Rest des Tages mit einer toxischen Mischung aus Kapsel-Espresso und geschmacksneutralisierten weißen Teigmassen (Kennzeichnung: "Baguette") im Bauch von einem Screening ins nächste zu schleppen. Welche Badge-Farbe wohl die höchsten Überlebenschancen hätte? Solche und andere Fragen gehen mir durch den Kopf, als ich endlich das aufgeheizte Zelt betrete, um passenderweise den Zombiefilm Train to Busan zu sehen.

Aus Südkorea haben es dieses Jahr drei Filme in die offizielle Auswahl von Cannes geschafft, zwei davon liefen am ersten Festival-Samstag. Park Chan-wook, ausgemachter Liebling des Festivals, gewann 2004 den Grand Prix für Oldboy, 2009 folgte der Jury-Preis für Durst. Bei der 69. Ausgabe präsentierte Park seinen lauwarmen Erotikthriller The Handmaiden im Wettbewerb, eine Adaption des Romans Fingersmith von Sarah Waters, dessen Plot aus dem Viktorianischen Zeitalter ins Korea der japanischen Besatzung transplantiert wird. Lauwarm nicht, weil es in dem Thriller an lesbischen Sexszenen mangelt, sondern weil diese allzu stilvoll in Szene gesetzt werden. Hideko (Min-hee Kim) lebt mit dem Onkel (Cho Jin-woong) in einer halb-japanischen, halb-englischen Villa. Der schwarzzüngige Bond-Bösewicht mit geheimen Folterkeller will sein Mündel heiraten, um dessen Erbe anzutreten. Auftritt Sook-hee (Kim Tae-ri), die von einer Diebesbande als Hausmädchen eingeschleust wird, um eine Hochzeit mit dem falschen Grafen Fujiwara (Ha Jung-woo) einzufädeln. Was alle Seiten bei dem Intrigenspiel in drei Akten nicht berücksichtigt haben: die aufblühende Liebe zwischen der latent nervenkranken Hideko und der Betrügerin mit Schürze.

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Blutrot ist die wärmste Farbe im neuen Film von Park Chan-wook, der das Korsett des Historienfilms mit einer Éducation amoureuse aufzulockern versucht, die die Sehgewohnheiten im koreanischen Mainstreamkino herausfordert. Während der Annäherung von Hideko und Sook-hee dank der Darstellerinnen eine sinnliche Sogkraft zugrundeliegt (schärfer wurde noch nie ein Zahn abgerundet), kommt das Liebesspiel der beiden einem Diavortrag in einem Altherrenclub gleich. Man mag sich dazudenken, wie der Pfeifenrauch die Posen umhüllt, die jede Lebhaftigkeit ersticken. Historische Erotikzeichnungen dienen als Vorbild und spielen in The Handmaiden eine größere Rolle im Plot. Der Onkel verbirgt im Keller sogar einen riesigen Oktopus, bestens geeignet für Tentakel-Erotik  aus dem 19. Jahrhundert. Nur leider wagt sich das Drehbuch von Park Chan-wook und Syd Lim selbst nicht so recht in den tabuisierten Unterleib der riesigen Villa und versteckt sich lieber züchtig hinter dem Plot. Geschmackvoll geht in The Handmaiden die Lust zu Grunde.

Gelb! Die Akkreditierten mit den besten Überlebenschancen bei der drohenden Zombie-Apokalypse sind eindeutig die gelben Badges. Die Crème de la Crème, Weiß und Pink mit Punkt, fällt als erstes, schließlich haben sie den Kampf um Sitzplätze völlig verlernt. Ähnlich verhält es sich mit den Pinken (dieses Jahr moi!) und Blauen. Letztere, obschon trainiert, haben ihre Ellbogen in Sichtweite der elitären Farben lange nicht mehr genutzt. Die Gelben aber führen ein hartes Leben in den benachteiligten Schlangen von Cannes, das Ausdauer, Belastbarkeit sowie exzellente Planungsfähigkeiten erfordert, damit trotz aller Widrigkeiten Kritiken zu den Wettbewerbsfilmen herausgehauen werden können. Im Zombiethriller Train to Busan denkt Autor-Regisseur Sang-ho Yeon die "schichtenweise" Reaktion auf den drohen Untergang der Zivilisation allerdings etwas anders.

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Als Snowpiercer mit Zombies wird Yeons außer Konkurrenz laufender Thriller vielerorts bezeichnet, was allzu hohe Erwartungen an den ersten Realfilm des Regisseurs von The King of Pigs stellt. Tatsächlich folgt Train to Busan dem Schema des Genres mit äußerster Loyalität, was die Überraschungseffekte dann doch in Grenzen hält. Die Hauptfigur, der Fond-Manager Seok-wu (Yoo Gong), findet keine Zeit für die Tochter (Kim Su-an), also braucht es ein Leck in einer Chemiefabrik und eine landesweite Notstandssituation, um sie zusammenzuschweißen. Die beiden wollen die getrennt lebende Mutter in Busan besuchen und wählen dafür einen Hochgeschwindigkeitszug, der wohl ohne Perpetuum mobile angetrieben wird. Unterdessen rennen immer mehr Leute wie wahnsinnig durch die Straßen und fallen ihre Mitmenschen an. Eine einzelne Infizierte klettert in den Zug und Abteil für Abteil verlieren Seok-wu und die anderen Boden an die äußerst agilen Zombies.

Wie für das Genre üblich, finden sich Vertreter aller Schichten unter dem Grüppchen Überlebender, vom CEO bis zum Bettler. Letzterer bildet dann auch die Verbindung zur Vorgeschichte, die Yeon im Animationsfilm Seoul Station schildert, welcher allerdings erst nach Train to Busan ins Kino kommt. Eine Sozialkritik südkoreanischer Prägung setzt sich aus den verschiedenen Stationen von Train to Busan zusammen. Der Held Seok-wu ist ein Egoist, der den Wert gegenseitiger Hilfe erst noch erkennen muss, was als erweiterter Hieb gegen seinen Berufsstand gelesen werden kann. Die Ellbogenmentalität aus den Finanzdistrikten wird in die Zugabteile übertragen, ebenso die Ausgrenzung von Bedürftigen, die in ein anderes Abteil und damit aus der Sicht verbannt werden. Per Social Media klinken sich weiters Nachrichten ein, in denen die Zombie-Massen als Krawalle kleingeredet werden; ein halbes Jahr, nachdem Tausende Südkoreaner auf die Straße gingen , weil sie die Demokratie unter Präsidentin Park Geun-hye in Gefahr sehen. Natürlich stellt sich der CEO als charakterliches Monster heraus, das viel gruseliger ist als die Infizierten.

Mit ihren verzerrten Gesichtern sind diese Zombies enternte Verwandte der Jugendlichen aus dem düsteren Highschool-Drama The King of Pigs. Dessen teils surreale Bildsprache tauscht Yeon Sang-ho in Train to Busan gegen eine primär effektive Inszenierung des wachsenden Terrors auf engstem Raum. In den rasenden weißen Augen der Zombies zeigt sich indessen das Destillat einer blinden Wut, wie sie die Jungs und Männer in The King of Pigs entmenschlicht. Von ihren Schulkameraden gedemütigt und von einem rigiden Schichtensystem in die Peripherie gedrängt, antworten die Kinder in dem Animationsfilm mit Gewalt.

Was die Strategie des Überlebens in Cannes angeht, sollte man die Zombies wohl einfach abends vors Palais locken. Die Untoten in Train to Busan rennen nämlich in der Dunkelheit jedem Geräusch hinterher. Vor den Premieren lotst der dröhnende Konserven-Pop die schwarzen Limousinen zum roten Teppich. Eine etwas trashige Untermalung eines Ereignisses, bei dem jeder Bruch mit dem strengen Dresscode geahndet wird, als hänge der Ruf von Programmdirektor Thierry Frémaux persönlich davon ab. In ihrem Wettbewerbsbeitrag American Honey gelingt der Britin Andrea Arnold nun das Kunststück, eben diesen Autotune-Sound zur Stimme ihrer Hauptfiguren zu stilisieren. Wie schon bei Fish Tank umgibt Arnolds Roadmovie eine Aura gefundener Authentizität. Ein sparsamer Plot verfolgt die 18-Jährige Star (Sasha Lane), die von Jake (Shia LaBeouf) angeworben wird, sich einer Gruppe von kindlichen Handelsreisenden anzuschließen. Letztendlich sind die Kids, die mit einem Van durch das Land ziehen, nämlich genau das, wenn sie Klinken putzen, um Magazin-Abos zu verscherbeln. Nur eben mit mehr Pot im Kofferraum. Star, die vorher aus Mülltonnen Essensreste heraussuchen musste, findet unter den Gleichaltrigen Gelegenheit, in den Weiten von Kansas und Texas ihre Jugend nachzuleben.

Hier zeigt sich Andrea Arnolds Trumpf in dem Quasi-Musical, denn niemand vermag es, jugendlichen Überschwang so ungestellt und unvermittelt einzufangen wie sie. Jake und Star bleiben die einzigen ausgereiften Charaktere und die Stereotype, die in den reichen Vorstädten aufgefahren werden, halten mit dem zwischen Doku und Instagram-Schnappschuss variierenden Stil nicht immer mit. Wie jedoch die jugendlichen Ausreißer und Zurückgelassenen jeden Quadratmeter in der Einöde von Tankstellen und Parkplätzen in einen - ihren eigenen - Raum der Ekstase verwandeln, das reißt mit und lässt nicht mehr los.

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