Von schwulen Problemen und lustigen Tunten

13.09.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Auch Parada präsentiert Homosexualität auf lustige Art und Weise
Neue Visionen
Auch Parada präsentiert Homosexualität auf lustige Art und Weise
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Warum sind schwule Männer im Kino immer ein Problem oder ein Grund zum Lachen? Anlässlich des Kinostarts von Parada will ich mich heute mit der Darstellung von Homosexualität im Kino beschäftigen und eine Antwort auf diese Frage suchen.

Obwohl in unserer Gesellschaft Homosexualität immer stärker akzeptiert wird, spiegelt sich der vorurteilsfreie Umgang mit gleichgeschlechtlicher Liebe selten auf der Leinwand wider. Und dreht sich ein Film doch mal um schwule Männer oder lesbische Frauen, dann bildet ihre sexuelle Orientierung oft das Kernproblem der Handlung oder fungiert als primärer Motor des Humors. Den Vorwurf, das Thema zu „verlachen“, kann auch dem serbischen Regisseur Srdjan Dragojevic gemacht werden. Andererseits hilft gerade sein mehrfach ausgezeichneter Film Die Parade dabei, diesen filmischen Umgang mit dem Thema Homosexualität besser zu verstehen.

Das schwule Problem und die lächerliche Tunte
Es lässt sich wahrlich nicht behaupten, das Kino würde sich weigern, Homosexualität darzustellen. Wenn wir es ganz genau nehmen, dann gab es schon in den Kindertagen des bewegten Bildes „schwule“ Inhalte. So zum Beispiel in einem frühen Experiment Thomas Edisons, in dem zwei Männer miteinander tanzten, während ein dritter fröhlich mit der Fidel aufspielte. Ein vollständiger historischer Abriss der Darstellung von Homosexualität im Kino sprengt jedoch absolut den Rahmen dieser Kolumne, weshalb ich das Thema an dieser Stelle leider nur anreißen kann. Deshalb machen wir einen großen Sprung von Thomas Edison zu den affektierten Sissy-Charakteren, die Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem dazu dienten, als Kontrastbeispiel das Selbstbewusstsein männlicher Kinozuschauer zu stärken. Aber auch hier können wir uns leider nicht lange aufhalten und machen deshalb einen weiteren großen Sprung in die jüngere Vergangenheit.

Philadelphia, das Drama über einen schwulen Aidspatienten (Tom Hanks), der um seine Rechte kämpft, bot keine komödiantische Angriffsfläche. Regisseur Jonathan Demme präsentierte eine ernstzunehmende filmische Auseinandersetzung mit dem Thema, ohne sein Publikum jedoch durch eine zu explizite Darstellung der schwulen Beziehung zu überfordern. Die sexuelle Orientierung der Hauptfigur bildet hier aber keine beliebige Charaktereigenschaft, wie sie dies im Falle eines heterosexuellen Charakters tun würde, sondern fungiert als problematische Triebfeder der Handlung. In diesem Dilemma befanden und befinden sich noch immer viele Filme. Statt Homosexualität als Teil der Alltagsnormalität einfach als gegeben hinzunehmen, wird sie problematisiert. Schwule und lesbische Leinwandfiguren sehen sich mit der Ablehnung ihrer Mitmenschen und Alltagshürden konfrontiert. Selbstverständlich ist es wichtig und auch lobenswert, Missstände dieser Art im Kino darzustellen. Beschränkt sich jedoch die Darstellung Homosexueller auf diese Rolle, stellt sich die Frage, ob es sich hier nicht um eine Form positiver Diskriminierung handelt.

Aber es geht ja auch anders. Neben dem armen, benachteiligten Schwulen gibt es ja auch noch den fröhlichen, überdrehten Schwulen, gerne in der Rolle des Best Buddies einer weiblichen Hauptfigur, wie z.B. in Die Hochzeit meines besten Freundes oder Sex and the City. Dazu kommen die unzähligen Komödien, mal flach, mal mit Substanz, in denen die klischeebehaftete Homosexualität der Figuren vor allem der Unterhaltung des Publikums dient. Hierfür sind als Beispiele The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel sowie In & Out zu nennen. Leider droht auch die deutsche Komödie, Männer zum Knutschen, die seit letzter Woche in unseren Kinos läuft, in diese Falle zu tappen. Obwohl die Homosexualität der Charaktere hier nicht problematisiert wird, fordern die überzeichneten, stereotypen Figuren vom Publikum zu wenig Respekt für ihre ernstgemeinte Liebesgeschichte ein.

Schwule und Lesben haben auch andere Probleme
In den letzten Jahren hat auch das Kino erkannt, dass Homosexualität zum einen nicht immer ein Problem und zum anderen nicht immer ein Grund zum Lachen sein muss. Immer mehr Filme arbeiten mit homosexuellen Charakteren, die sich im Laufe der Handlung mit Problemen jenseits ihrer Sexualität auseinandersetzen müssen. Brokeback Mountain von Ang Lee kann hier vielleicht als Übergang in eine neue Ära gesehen werden. Denn obwohl auch hier die männlichen Hauptfiguren auf Grund ihrer gegenseitigen Zuneigung in eine Identitätskrise geraten, ist Brokeback Mountain kein Film über Schwule, sondern über die Liebe an sich. Die körperliche Nähe der Hauptdarsteller Heath Ledger und Jake Gyllenhaal stellte darüber hinaus einen Tabubruch dar und ebnete den Weg für eine mutigere Darstellung homosexueller Liebe im Hollywoodkino.

Akzeptanz tritt meiner Meinung nach dann ein, wenn ein Umstand nicht mehr als solcher thematisiert wird. Sei es Geschlecht, Glaubenszugehörigkeit, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung – solange diese Dinge im Zentrum der Geschichte stehen, droht eine Form der positiven Diskriminierung. Erst wenn ein Film einen homosexuellen Charakter zeigt, der sich mit denselben Problemen wie seine heterosexuellen Kollegen auseinandersetzt, können wir von Akzeptanz sprechen. Solche Filme gibt es schon. So geht es in A Single Man nicht um die sexuelle Orientierung der Hauptfigur (Colin Firth), sondern um den Umgang mit dem Tod eines geliebten Menschen. Und in The Kids Are All Right wird eine lesbische Ehe nicht deshalb auf die Probe gestellt, weil sie außerhalb der „Norm“ stattfindet, sondern weil sich die Ehefrauen (Julianne Moore und Annette Bening) mit denselben zwischenmenschlichen Problemen konfrontiert sehen wie viele Hetero-Filmpaare.

Parada und der humoristische Schutzwall
Während wir uns also im westlichen Mainstreamkino schon an einem Punkt befinden, an dem homosexuelle Beziehungen nicht mehr zwangsläufig problematisch oder lächerlich dargestellt werden, lässt sich dies bei Weitem nicht über alle Länder dieser Welt sagen. In der Balkanregion herrscht beispielsweise eine starke Homophobie, die sich nicht auf Parolen beschränkt, sondern oft zu gewalttätigen Übergriffen führt. So ist es kein Wunder, dass Srdjan Dragojevic seinen Film Die Parade so heimlich wie möglich gedreht hat. Hier sind es nämlich ausgerechnet ehemalige Soldaten aus den verschiedenen Regionen des ehemaligen Jugoslawiens, die für die Sicherheit der ersten Pride Parade Belgrads verantwortlich sind. Auch wenn Dragojevic beteuert, all seine Charaktere dem wahren Leben entnommen zu haben, lässt sich nicht bestreiten, dass hier Stereotypen und Klischees eindeutig der Erzeugung von Humor dienen. Jetzt könnten wir natürlich den Regisseur einfach verurteilen, ihm Diskriminierung unterstellen oder ihn beschuldigen, seine schwulen Protagonisten der Lächerlichkeit preiszugeben.

Am Fall von Die Parade aber zeigt sich sehr gut, welche Funktion Humor in Bezug auf die filmische Darstellung umstrittener Themen einnimmt. Trotz der starken Homophobie haben über 500.000 Zuschauer der Balkanregion den Film gesehen und überwiegend positiv reagiert. Die humoristische Herangehensweise ermöglichte es Srdjan Dragojevic, sein Thema einem breiten Publikum zugänglich zu machen und somit erst einmal eine grundsätzliche Offenheit gegenüber Homosexualität zu erzeugen. Dabei hält er sich in Bezug auf die Darstellung gleichgeschlechtlicher Sexualität ebenso stark zurück wie einst Jonathan Demme. „Hätte ich einen Kuss gezeigt, hätte ich Tausende von potentiellen Zuschauern verprellt. Wir haben aber genug Vertrautheit und Zärtlichkeit zwischen den beiden im Film, um klar zu machen, dass sie ein echtes Liebespaar sind“, so Dragojevic in einem Interview mit SpiegelOnline. Der große Erfolg des Films, vor allem in seinem Heimatland, gibt dem Regisseur und seinem Konzept Recht und hilft uns zu verstehen, warum Homosexualität im Kino lange Zeit als Lachnummer fungierte.

Was uns fremd ist, was uns vielleicht Angst macht, können wir besser annehmen, wenn wir darüber lachen können. An einem bestimmten Punkt aber müssen wir damit beginnen, unser Lächeln gegen eine umfassende Akzeptanz einzutauschen. Ich denke, filmisch gesehen sind wir da auf einem guten Weg, auch wenn noch immer eine große Strecke vor uns liegt. Vielleicht kann Die Parade einen kleinen Teil dazu beitragen, dass Homosexualität auf der Leinwand zukünftig nicht problematischer oder lustiger ist als jede andere Form der Liebe.

Was denkt ihr: Woran liegt es, dass Homosexualität im Film so oft problematisch oder einfach nur zum Lachen, selten aber Teil der Normalität ist? Und welche Darstellungsform ist da die richtige?

Zum Weiterlesen:
Interview mit Srdjan Dragojevic bei SpiegelOnline
Homosexuality in Film
Meine Kritik zu Parada auf filmosophie.com

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