Dieser Artikel enthält Spoiler zu den vorgestellten Filmen & Serien.
True Crime ist in den USA aktuell ein sehr gefragtes Genre. Ob in der viel diskutierten Netflix-Serie Making a Murderer, der HBO-Serie Der Unglücksbringer: Das Leben und die Tode des Robert Durst, West of Memphis oder dem Podcast Serial - echte Mordfälle, echte Verbrechen, echte Polizeiarbeit, das interessiert viele US-Amerikaner. Wir haben uns die aktuellen True Crime-Hits in den USA vorgenommen und verschaffen euch hier einen kleinen Überblick.
Von Making a Murderer & begründetem Zweifel
Der Fall Steven Avery hat große Wellen geschlagen. Der US-Amerikaner wurde 1985 wegen Vergewaltigung verurteilt und war 18 Jahre unschuldig im Gefängnis. 2003 konnte seine Unschuld bewiesen werden, doch schon 2005 folgte eine Mordanklage: Avery soll Theresa Halbach getötet haben. Die junge Frau soll zuletzt auf seinem Grundstück gesehen worden sein. Nach einem haarsträubenden Prozess und mehr als fragwürdigen Ermittlungen landete Avery 2007 erneut im Gefängnis. Mit involviert ist sein Neffe Brandan Dassey, der in die Mordermittlung geriet und dessen Geständnis auf mehr als zweifelhaftem Wege zustande kam. Auch Dassey wurde 2006 wegen Mordes verurteilt. Viele Beobachter vermuten Steven Averys und Brandan Dasseys Unschuld, anderen geht es vor allem um die illegalen Methoden des zuständigen Sheriff's Department, das Avery bereits im ersten Prozess im Visier hatte und gegen ihn ermittelte.
Die Netflix-Serie Making a Murderer arbeitet zum Teil mit Archivaufnahmen und Fotos, der Großteil setzt sich aber zusammen aus dem Videomaterial, das die Dokumentarfilmerinnen Moira Demos und Laura Ricciardi seit Beginn der Ermittlungen im Herbst 2005 sammelten. Über 10 Jahre begleiteten sie den Fall Avery. Sie sprachen mit Averys Anwälten, seiner Familie, Bewohnern von Manitowoc County, Wisconsin und verarbeiteten die öffentlichen Bekanntmachungen der Anklage sowie die umfangreichen Aufnahmen des Gerichtsprozesses. Dazu kamen Videomitschnitte der Polizei von den Verhören von Avery und Dassey. Von Avery selbst sind nur Telefonat-Mitschnitte zu hören, da die Filmemacher Demos und Ricciardi Steven Avery nie persönlich im Gefängnis interviewen durften.
Von viraler Entrüstung & eigenen Ermittlungen
Nach dem Start von Making a Murderer wurde die True Crime-Dokumentation vor allem in den USA zu einem großen Hit mit einer mächtigen Stoßwirkung. Forbes beschreibt die Serie zum Beispiel als Netflix' bedeutsamstes Projekt. Making a Murderer erzeugte ein immenses Nachbeben in der viralen Welt und plötzlich schien das halbe Internet aus Polizisten, Anwälten und Richtern zu bestehen. Mir ging es da nicht anders: Nach dem Binge-watching in der Nachweihnachtszeit, das von lautstarker Entrüstung und ungläubigem Kopfschütteln meinerseits begleitet wurde, stand ich nach Folge 10 vor dem Nichts. "Keine neuen Folgen mehr? Aber es darf jetzt nicht aufhören, nicht so!" Ich wollte mehr sehen, mehr wissen. Im Internet ist das gar kein Problem, denn viele Foren oder Seiten wie reddit waren in den Wochen nach dem Netflix-Start wahre Sammelbecken von Entrüstung, Erklärungen und alternativen Theorien. Man kann sich z.B. im subreddit /makingamurderer die Gerichtsdokumente durchlesen, die Videoaufzeichnungen der Verhöre ansehen und munter die realistischste bis waghalsigste Theorie mit anderen Serien-Fans durchkauen. Auch Petitionen wurden für Steven Avery gestartet, die Hackergruppe Anonymous kündigte angeblich Enthüllungen an , auch eine Stellungnahme von US-Präsident Barack Obama wurde gefordert .
Auch Hollywood Stars meldeten sich zum Fall Avery zu Wort, zum Beispiel Alec Baldwin der sein Binge-watching per Twitter-Posts kommentierte: "Wenn du in [Manitowoc], Wisconcin lebst, solltest du Todesangst haben." [Ein Seitenhieb auf die Polizei in Manitowoc, Anm. d. Red.]. Der Exorzist-Regisseur William Friedkin postete über Twitter : "Das falsche Spiel mit Steven Avery ist so jämmerlich wie sein manipulierter Prozess. Ist das die Art von Gerichtsverfahren, das ihr für euren Sohn wollen würdet?" Viele weitere Stars kommentierten den Fall Steven Avery und geben ihre Meinung preis. Doch sie sind natürlich genauso wenig Experten wie du und ich, der normale Zuschauer eben, der den Fall von außen beobachtet und die Finessen des US-amerikanischen Justizsystems nicht studiert hat.
Von unschuldig Inhaftierten & dem ewigen Rätselraten
Ist Steven Avery schuldig oder nicht? Ist etwa erneut ein unschuldiger Mann im Gefängnis gelandet? Letzteres fragt sich auch Sarah Koenig in ihrem Podcast Serial , der ähnlich wie Making a Murderer für jede Menge Diskussionsstoff unter den Hobby-Ermittlern da draußen sorgte. In den insgesamt 12 Episoden der 1. Staffel führt uns Koenig durch den Kriminalfall um den Mord an der jungen US-Amerikanerin Hae Min Lee im Jahr 1999. Derzeit sitzt ihr Ex-Freund Adnan Syed wegen des Mordes an ihr im Gefängnis. Koenigs Darstellung des Falls wirft jedoch zumindest Zweifel an der Schuld des jungen Mannes auf. Koenig moderiert den Podcast, fasst die Ereignisse der Ermittlungen zusammen und erzählt den Zuhörern ihre Theorien. Sie spielt Interviews ein, die sie mit Betroffenen und Involvierten des Falls führt und unterlegt ihren Podcast zum Teil mit Musik, die zusammen mit ihrer Art zu erzählen eine dramatische Inszenierung entstehen lässt. Man kann den Podcast anschalten, es sich im Sessel gemütlich machen und sich dem wohligen Schauer der spannenden Aufarbeitung eines echten Mordfalls hingeben.
Nicht nur die Internet-Community verfolgte mit Spannung die Episoden - es gibt auch zwei Podcasts, die wiederum Serial zum Thema machen: Bei The A.V. Clubs Serial Serial tauschen sich Redakteure des Satiremagazins The Onion über die Theorien in Serial aus. In Slate's Serial Spoiler Specials werden zusätzlich Theorien zum Fall Hae Min Lee behandelt, die es nicht in Koenigs Podcast geschafft haben.
Schuldig, unschuldig, zu Recht oder Unrecht verurteilt? In der HBO-Serie Der Unglücksbringer: Das Leben und die Tode des Robert Durst nehmen die Fragen nach Schuld und Unschuld eine überraschende Wendung mit weitreichenden Folgen.