The Neon Demon - Ein Interview-Versuch mit Nicolas Winding Refn

26.06.2016 - 10:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Kein Foto unseres Interviews: The Neon DemonKoch Media
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Nicolas Winding Refn war vor einer Weile in Berlin, um für The Neon Demon zu werben, und ich habe ihn zum Interview getroffen.

Achtung, der folgende Artikel enthält einen Spoiler für The Neon Demon:

Wer Nicolas Winding Refn so richtig langweilen will, sollte ihn über die Digitalisierung des Kinos ausfragen. "Get over it. Move on", hält er mir an einem späten Nachmittag in Berlin entgegen, als ich über die verlustig gehenden Qualitäten des 35-Millimeter-Materials trauere. Im Nachhinein fasst sein Kommentar die Erfahrung eines Interviews mit NWR (nicht zu verwechseln mit YSL ) hervorragend zusammen. Oder beschränken wir das lieber auf: die Erfahrung meines Interviews mit NWR. The Neon Demon, sein zweifellos bester Film seit Walhalla Rising und womöglich sein bester überhaupt, bündelt (Winding) Refns künstlerische Instinkte durch die klinisch reine Linse der Mode-Welt. Das geschieht so unverstellt und unernst, dass ich in Cannes meine Augen nicht von dem Treiben abwenden konnte. Wenn auch die biestigen Models und eleganten Bergkatzen mich nicht zum Refn-Fan konvertieren konnten, so weckten sie doch genug Neugierde, um sich durch zig Video- und Print-Interviews zu wühlen, Only God Forgives nochmal eine Chance zu geben, Drive ebenso und sich schließlich an jenem Donnerstag in eine angemessen stylishe Berliner Hotelsuite zu begeben, um mit Refn zu reden. Oder es zumindest zu versuchen.

Denn eines sei vorweggenommen: Das hier ist keine Abrechnung mit der Wirklichkeit aus der Festung Internet heraus. Die 18 Minuten Zweisamkeit mit einem Mikrofon und einer sorglos daneben geworfenen Packung Gummitiere (dazu gleich mehr) gehören zu den unangenehmeren Erfahrungen meiner professionellen Laufbahn. Dafür mache ich primär die Länge (oder Kürze) besagter Laufbahn und erst dezimär den dänischen Regisseur selbst verantwortlich. Für jemanden wie mich, die sich ins Medium Film nicht unbedingt wegen dessen Potenzial zu sozialer Interaktion verliebt hat, sind Interviews professionelle Extremsituationen. Auf 18 Minuten Kampf um jeden einzelnen vollendeten Satz des Gesprächspartners folgen in diesem Fall Stunden, in denen die 1080 Sekunden im Kopf durchgespult und neurotisch reflektiert werden. Wenig macht es da aus, ob der Interview-Partner eine "schwierige" Reputation mitbringt oder sein Gebaren Hinweise darauf gibt, dass er einfach keinen Bock hat an diesem Tag. Oder auf diese speziellen 18 Minuten seines Lebens in diesem Raum mit dieser Fremden, die die ganze Zeit gierig auf die Gummi-Himbeeren, -Bananen und -Palmen (warum eigentlich Palmen?) auf der Tischplatte starrt. Weder der therapeutische noch der pädagogische Effekt dieser Grübeleien will sich bislang mit beruhigender Klarheit einstellen. Daher sei die hier stattfindende, sehr öffentliche und durch und durch narzisstische ("Lag es an meinen Fragen? Meinem Bob's Burgers-T-Shirt?") Aufarbeitung verziehen. Betrachtet es als mein Only God Forgives.

Was also hatte Nicolas Winding Refn zu sagen, wenn er meinen Fragen nicht gerade mit einem "Mh, yeah", "Weiß ich nicht", "Yeah" und "Mh" begegnete? Es gab unter anderem Lob für den US-Verleih Amazon Studios, der Filmemachern wir ihm "interessante Angebote" mache und gleichzeitig das Beharren darauf, das Kino werde trotz des Streamings nicht untergehen:

Ich denke, es geht weniger darum, was man sieht, als um das, was man erlebt. Leute gehen ins Kino, um eine bestimmte Erfahrung zu machen. Wenn man einen Film gucken will, dann macht man den Fernseher an. Kinos müssen sich selbst neu erfinden. Es geht nicht mehr um die Projektion und darum, dass man da sitzt. Es geht um das Event. Leute erwarten viel mehr Qualität. Sie erwarten mehr Kreativität. Aber Kinos wird es immer geben. Es wird immer den Wunsch geben, rauszugehen und gleichzeitig wird es immer die Möglichkeit geben, es zu Hause zu sehen.

Anbieter wie Amazon sind insofern nur eine weitere Etappe der digitalen Revolution. Refn steht zwar nicht auf den Barrikaden, den Bemühungen von J.J. Abrams oder Christopher Nolan, analoges Filmmaterial zu retten, bringt er jedoch keinerlei Enthusiasmus entgegen. Sein letzter 35-Millimeter-Film war Bronson 2009 und er blickt nicht zurück:

Ich hab damit kein Problem. Ich bin nicht nostalgisch über die Vergangenheit auf diese Art. Die Zukunft ist viel interessanter.

The Neon Demon wird von einem Widerspruch getragen. Auf der einen Seite steht die (in Refns Vision) um sterile Perfektion bemühte Mode-Industrie, die von den polierten Digital-Aufnahmen von Natasha Braier komplementiert wird. Auf der anderen die vielen Makel, die Jesses (Elle Fanning) Präsenz wie ein Märchen-Spiegel zutage fördert: Fett, Alter, das fehlende "Etwas". In einer Welt, die nach Vollendung strebt, ohne diese zu erreichen, muss das Perfekte als Anomalie gelten. Was in The Neon Demon geradewegs ins Grab bzw. einen leeren Swimmingpool führt:

NWR: Mit der digitalen Revolution gibt es so viel mehr, was man manipulieren kann. Aber ich denke, das war sowieso immer das Ziel. Nur hielt die Technologie nicht mit. Aber wir müssen uns daran erinnern, dass die digitale Revolution im Wesentlichen eine tote Illusion ist. Es ist ja nie real.
M: Warum ist es eine tote Illusion?
NWR: Weil jede Reflexion der Realität bereits tot ist.
M: Muss Jena Malone also Elle Fannings Figur töten?
NWR: Ja, das ist unvermeidlich, um die Obsession zu zerstören, die sie zerreißt.

Indem ein Interview über ein bewusst an der Oberfläche arbeitendes Werk wie The Neon Demon mich in die Abgründe des Selbstzweifels zieht, wird das Erlebnis dann doch mit einer gewissen Ironie abgerundet. Oder wie meinte Refn in der 18. Minute so treffend:

M: Sie als Regisseur sind ja im Grunde auch ein Darsteller [in der Öffentlichkeit]. Finden sie das angenehm?
NWR: 100 Prozent. Eitelkeit ist eine wunderbare Sache.

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