Taken - Unsere Faszination für das gebrochene Raubein im Actionfilm

27.01.2018 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Liam Neeson in 96 Hours - Taken 3Universum Film
Nach 96 Hours bzw. Taken spielte Liam Neeson erfolgreich in einigen Filmen den gebrochenen und ergrauten aber kampfstarken Recken. Was fasziniert uns so an diesem Typus des Actionhelden?
Ich weiß nicht, wer Sie sind. Ich weiß nicht, was Sie wollen. Falls Sie auf ein Lösegeld aus sind, kann ich Ihnen versichern, ich habe kein Geld. Aber was ich habe, sind ein paar ganz besondere Fähigkeiten, die ich mir im Laufe vieler Jahre angeeignet habe.

Ziemlich genau zehn Jahre ist es nun her, dass 96 Hours bzw. Taken seine Kinopremiere feierte. Der bis dato mehr als Charakterdarsteller bekannte Liam Neeson schlüpfte darin in die Rolle des geschiedenen und in Rente gegangenen Ex-Agenten Bryan Mills, der mit markigen Sprüchen wie dem obigen Zitat und einem brutal-tödlichen Skill-Set seine Tochter Kim (Maggie Grace) aus den Fängen eines albanischen Menschenhändlerrings befreit. Der Film wurde zum Überraschungserfolg und zog nicht nur zwei Fortsetzungen und eine Prequel-TV-Serie nach sich, sondern sorgte vielmehr sogar für eine grundlegende Veränderung im Action-Genre.

Der Typus des gealterten, knallharten Actionhelden mit tragischer Hintergrundgeschichte war plötzlich so en vogue, dass nicht nur Liam Neeson heute mehr für die Darstellung solcher Figuren bekannt ist (unter anderem in Run All Night oder Non-Stop) als für seine oscarnominierte Verkörperung Oskar Schindlers in Schindlers Liste oder seinen Auftritt als Jedi-Meister Qui-Gon Jinn in Star Wars: Episode I. Sogar Gentleman-Agent James Bond wurde in Skyfall und Spectre diesem Charaktertypen angepasst. Doch woher stammt diese Faszination, die gebrochene Raubeine auf uns ausstrahlen, und die uns immer wieder in die Kinosäle lockt?

Damals noch alles andere als ein Actionheld: Liam Neeson in Schindlers Liste

Reif, erfahren, antiquiert: Der moderne Actionheld

Neben den oben bereits erwähnten Liam Neeson-Filmen (mittlerweile fast ein eigenes Genre) und den neuesten Bond-Abenteuern gab es in den vergangenen Jahren etliche Beispiele für den beschrieben Helden-Typus: Denzel Washington in The Equalizer, Keanu Reeves in John Wick, Mel Gibson in Auftrag Rache, und sogar Til Schweigers Tatort-Ermittler Nick Tschiller sollte im Kinofilm Tschiller: Off Duty durch eine ähnliche Figurenzeichnung das Publikum begeistern. Sie alle sind trainierte Kämpfer, die ihre besten Jahre jedoch hinter sich haben. Sie alle bringen Lebenserfahrung mit, die man ihnen auch äußerlich ansieht, und die sie zum Erreichen ihrer Ziele auch gebrauchen. Und vor allem können sie alle ein bitteres Schicksal vorweisen: Sie haben geliebte Menschen oder ihre Arbeit verloren, frönen einer Sucht und stecken meist knietief in einem Sumpf aus Selbstmitleid und Selbstzerstörung. Zumindest so lange, bis eine Ungerechtigkeit geschieht und plötzlich Rache und/oder Selbstjustiz ganz oben im Terminkalender steht.

Profession: grimmig dreinblicken. Und töten.

Der Ursprung in den 1970er Jahren

Natürlich ist der beschriebene Typus nicht neu und alles andere als eine Erfindung der 2000er. Schon im Film noir der 1940er und 1950er war das Motiv des nicht taufrischen und gebrochenen Helden ein häufig gesehenes. Noch deutlicher wurde es dann aber in den 1970er Jahren, als viele Filme entstanden, die als Prototypen für das gesehen werden können, was heute von Liam Neeson verkörpert wird: Die (Anti-)Helden dieser Zeit waren häufig desillusioniert, geprägt vom Zeitgeist der Vietnam- und Watergate-Ära.

Ein gutes Beispiel dafür ist der von Clint Eastwood in fünf Filmen ab 1971 verkörperte Dirty Harry. Er ist eine ambivalente, zynische und knallharte Figur mit Hang zur Selbstjustiz, die den Verlust der geliebten Ehefrau verkraften musste. Ganz ähnlich sieht es im Rache-Klassiker Ein Mann sieht rot von 1974 aus: Architekt Paul Kersey (Charles Bronson) wird durch einen schweren Schicksalsschlag gebrochen, woraufhin er selbst zur Tat schreitet. Ein weiteres Beispiel ist Angst über der Stadt (1975) mit Jean-Paul Belmondo.

Clint Eastwood in Dirty Harry (1971)

Im Vergleich wird ganz deutlich, dass sich im Action-Kino der vergangenen zehn Jahre verstärkt auf die 1970er Jahre zurückbesonnen wird. Death Wish, die Neuverfilmung von Ein Mann sieht rot mit Bruce Willis, ist nur das offensichtlichste Indiz dafür. Und nachdem der große Nostalgie-Hype um die überspitzt-stereotypen Actionhelden der 1980er Jahre, der bis vor einigen Jahren mit Filmen wie John Rambo oder The Expendables vorherrschte, wieder abgeflaut zu sein scheint, sind nun die Antihelden der 1970er am Zug.

Woher stammt die Faszination?

Aber was sind die Gründe dafür, dass die gebrochenen Raubeine uns Kinogänger so faszinieren und so unterhalten, dass wir gerne unser Geld dafür ausgeben, ihnen bei ihren Streifzügen mit hoher Schlag- und Schussfrequenz zuzusehen?

Identifikationsfigur

Im Gegensatz zu den oft von Sylvester Stallone oder Arnold Schwarzenegger verkörperten, übermächtigen Kampfmaschinen, die als realitätsferne Übermenschen kaum Anknüpfungspunkte für uns Otto Normalverbraucher haben, sind die neesonesken Action-Recken normale Menschen mit Ecken, Kanten und verschiedenen Facetten. Dies wird zu großen Teilen durch die Einbeziehung ihrer persönlichen, ganz menschlichen Erfahrungen und der zumeist erlittenen Schicksalsschläge bewirkt. Denn die gehören zum Leben und Menschsein dazu, bringen uns den Charakter auf der Leinwand näher und machen ihn im besten Fall zur Identifikationsfigur für uns Zuschauer.

Underdog

Der zweite Reizpunkt, welcher auch mit dem vorherigen korreliert, ist das Underdog-Dasein der beschrieben Helden. So wie wir immer mit dem Außenseiter mitfiebern, wenn die Sympathie in keine spezielle Richtung ausschlägt, ist es auch bei Actionfilmen. Wo wir einem quickfidelen Muskelprotz ohne ersichtliche Schwachpunkte (wie zum Beispiel Sylvester Stallone in Rambo 2 oder 3) sowieso keine Niederlage zutrauen, sieht es bei Männern, die nicht (mehr) auf der Höhe ihrer Kraft sind, ganz anders aus: Sie sind ihren Gegner meist offensichtlich unterlegen, punkten dann allerdings durch Erfahrung und Schläue. Und auch das Ableben am Ende eines Films scheint nicht unmöglich, denn oftmals haben sie nicht mehr viel zu verlieren, erfüllen mit der Handlung quasi ihre "Bestimmung".

Ein Blick in die Glaskugel

Doch ganz egal, wie faszinierend solche Figuren auf uns wirken mögen, es wird sich zeigen, wie lange der Trend zum ambivalenten und gebrochenen Filmhelden noch anhalten wird - und das hat nichts damit zu tun, dass der mittlerweile 65-jährige Liam Neeson wohl nicht mehr ewig im Action-Bereich glänzen wird. Denn zumindest im Superhelden-Genre zeichnet sich bereits ab, dass das Kinopublikum wieder Lust auf bunte, gewitzte und ausgelassen fröhliche Blockbuster-Unterhaltung hat: die Guardians of the Galaxy sowie Neu-Spider-Man Tom Holland lassen grüßen und winken den düster dreinblickenden Stars des DC-Universums derzeit vergnügt von oben aus zu.

Bunt, locker und humorvoll: die Zukunft des Actionfilms?

Auch beim 007-Franchise verlangen viele Fans schon wieder eine Rückkehr zum realitätsfernen Over-the-Top-Spaß, der mit der Ablösung von Pierce Brosnan und dem gefeierten Einstand von Rüpel-Bond Daniel Craig eigentlich ad acta gelegt wurde. Wir dürfen also gespannt sein, was das Action-Genre in den kommenden Jahren für uns parat hält. In einem Punkt bin ich mir jedoch sicher: Auch wenn die gebrochenen Raubeine wieder den Gang ins zweite Glied antreten müssen und ein anderer, launigerer Typus die Führung an der Action-Front übernimmt, werden wir sie irgendwann wiedersehen. Und wer weiß, vielleicht ist es ein Schauspieler, dem wir es heute noch gar nicht zutrauen, der dann die erneute Renaissance vorantreibt. Wie in den vergangenen zehn Jahren Charakterdarsteller Liam Neeson.

Welchen Action-Typus bevorzugt ihr: verschlissen und gebrochen oder voll im Saft und stets mit einem lockeren Spruch auf den Lippen?

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