Only God Forgives oder Ein Lineal für den Penis

10.07.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Only God Forgives
Tiberius Film/24 Bilder
Only God Forgives
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In Cannes wurde er ausgebuht, die Kritik gibt sich verhalten. Trotz Ryan Gosling in der Hauptrolle ist Only God Forgives kein zweiter Drive, aber ein guter Film ist er deshalb natürlich auch noch nicht. Die Vorschau auf kommende Ereignisse.

Nein, für die Cine-Hipster ist das dann doch nichts. Mea culpa, die Schublade lässt sich so leicht nicht öffnen: Only God Forgives (deutscher Kinostart: 18. Juli) dürfte es Exklusiv-Freunden des letzten Films von Nicolas Winding Refn, der Neon-Schmonzette Drive, schwer machen. Im Vergleich zu dessen erster tighter Zusammenarbeit mit Ryan Gosling ist dieser neue Film der dänischen Genreulknudel schon gehobenes Anti-Entertainment. Wer Nicolas Winding Refn nur für Drive schätzte, mag hier dann in den Backlash-Kanon nach Cannes einstimmen. Dessen popeliger Lässigkeit, emotional blockierter Männerpoesie und sanftmütiger Synthie-Romantik bietet Only God Forgives abgebrüht Stirn. Ein Film wie ein regungsloser Körper, der nur noch tote Bilder produziert. Bilder über Männlichkeit, Sex, Gewalt, männliche sexualisierte Gewalt. Eine Rückkehr zur schläfrigen mythischen Odyssee von Walhalla Rising, kein zweiter heißer Gosling-Shit. Gar nicht mehr so cool, fast ohne Reibungsfläche. Eigentlich schade.

„Just a big wank“
„Hollow Cinema“ nannte Adam Cook diesen Film – ausgerechnet auf MUBI, einer Plattform, für die derartige Junkfood-Filmkunst eigentlich prädestiniert sein sollte. Der Backlash, er meint das Zurückrudern der Refn-Pusher, der Drive-Fans, der entsetzten Kritiker, die nach der ersten Vorführung von Only God Forgives beim Internationalen Filmfestival Cannes böse buhen mussten. In den Besprechungen des Films hieß es, er sei zu gewalttätig, zu stilisiert gewalttätig, zu selbstverliebt gewalttätig. Er sei auch frauenfeindlich, dümmlich, hohl. Ideologiekritik, wie sie bei vielen von diesen erzürnten Stimmen sonst eigentlich nicht en vogue ist, und eine fast schon rührige Wut ob der enttäuschten Erwartungen. Todd McCarthy resümierte: „It’s just a big wank frankly”, also ein einziges großes Gewichse. Was sich natürlich auch auf die Motivgebilde des Films stützt, denen Ödipuskomplex, Freudsches Geplapper und Kastrationsängste nicht genug sind. Auch eine Shakespeare-Familientragödie in Bangkok gehört dazu, mit finalem Griff in den Uterus.

Variable ästhetische Vorbilder
Diese Reaktionen, mitunter seltsam hasserfüllt, gehen dem Film in gewisser Hinsicht auf den Leim. Sie reiben sich an der Konstruktion (bzw. der Nachstellung einer Konstruktion), als müsse man den ganzen großen Männerzirkus, den Nicolas Winding Refn hier ja nun wahrlich nicht zum ersten Mal veranstaltet, auch nur eine Sekunde lang ernst nehmen. Wie in all seinen Filmen imitiert er variable ästhetische Vorbilder auf einem betont verhaltenen Niveau. Eben gerade mussten noch Michael Mann, William Friedkin und Sam Peckinpah bemüht werden, nun dürfen David Lynch, Stanley Kubrick und David Cronenberg dran glauben. Die Bildgestaltung aus Twin Peaks: Der Film trifft auf die Rabenmutter aus Wild at Heart. Kameramann Larry Smith (Eyes Wide Shut) döst durch emotional und geistig entleerte Räume. Und irgendwie gibt es da ja auch noch den Zusammenhang von Gewalt und Sex (A History of Violence), der in einem rot getönten Aquarium (Die Unzertrennlichen) auf das unausweichliche Ende zusteuert. Die offizielle Widmung aber geht an Alejandro Jodorowsky.

Ein Lineal für den Penis
Replik-Kino halt, so originell wie ein Kneipenquiz in der Videothek. Mit Latte macchiato statt Bier. Und natürlich auch ein Prätentionsfilm. Also ein Film, der vorgibt etwas zu sein, das er nicht ist. Oder auch ein Film, der das, was er ist, so demonstrativ vorgibt, dass es zur Belästigung wird. Eigentlich aber habe er einen Film machen wollen, in dem ein Mann Gott herausfordere, sagt Nicolas Winding Refn im Presseheft. Und aus dem Gott sei dann eine Art Ersatzvater für den Mann geworden, ein pensionierter Polizeichef (Vithaya Pansringarm), dem Julian (Ryan Gosling) entgegen treten muss. Na gut. Nicolas Winding Refn sagt auch, er hätte immer „Filme über Frauen“ drehen wollen, aber es seien dann „Filme über brutale Männer“ geworden. Only God Forgives nun ist dann wohl ein Film über beides: Brutale Männer und aber zumindest auch brutale Mütter. Kristin Scott Thomas weint auf Augenhöhe mit dem Schambereich ihres Sohnes und verweist später auf seinen Penis, der im Vergleich zu dem des getöteten Bruders etwas kurz geraten sei. Darum geht es in den Filmen Refns letztlich immer: Um das Lineal, das den zu kurzen Penis misst. Und das die Gewalt freisetzt. Richtig tiefsinnig.


Als Mr. Vincent Vega polemisiert sich Rajko Burchardt seit Jahren durch die virtuelle Filmlandschaft. Wenn er nicht gerade auf moviepilot seine Filmecke pflegt, bloggt Rajko unter anderem für die 5 Filmfreunde und sammelt Filmkritiken auf From Beyond. Die Spielwiese des Bayerischen Rundfunks nannte ihn “einen der bekanntesten Entertainment-Blogger Deutschlands”.

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