Mit Worten, die ein anderer geschrieben hat

24.07.2009 - 14:27 Uhr
Lena (Penélope Cruz) am Set von "Frauen und Koffer" - dem Film im Film
Tobis
Lena (Penélope Cruz) am Set von "Frauen und Koffer" - dem Film im Film
2
0
Pedro Almodóvar bezeichnet seinen aktuellen Film Zerrissene Umarmungen als seine größte Liebeserklärung an das Kino. Doch schon immer spielten Zitate und der “Film im Film” eine große Rolle in seinem Werk.

Zum Start des neuen Almodóvar-Films Zerrissene Umarmungen erscheint momentan wöchentlich ein spezieller Thementext, der sich mit dem Werk des spanischen Meisters beschäftigt. Nachdem wir euch die schöne Penélope Cruz vorstellten, beschäftigen wir uns heute mit Almodóvars Referenzen auf große Filmklassiker.

Ein Hotelzimmer auf der malerischen Vulkaninsel Lanzarote. Ein Liebespaar liegt aneinander gekuschelt auf der Couch und sieht fern. Die junge Schauspielerin Lena (Penélope Cruz) und der Regisseur Mateo (Lluís Homar) sind auf der Flucht. Sie fliehen vor ihren Verpflichtungen zu Hause in Madrid und vor Lenas eifersüchtigem Ex-Lover, dem mächtigen Finanztycoon Ernesto Martel (José Luis Gómez). Im Fernsehen läuft eine Szene aus Reise in Italien (1954) von Roberto Rossellini: Am Strand von Pompeji beobachten Ingrid Bergman und George Sanders, wie Archäologen ein vom Ascheregen mumifiziertes Liebespaar freilegen. Eine innige Umarmung, konserviert für die Ewigkeit. Lena schmiegt sich noch etwas enger an Mateo, und das Publikum spürt wie sie die Magie von Rosselinis Schwarzweißbildern. Es ist einer der Momente in Zerrissene Umarmungen, dem aktuellen Film von Pedro Almodóvar, die besonders in Erinnerung bleiben.

Die Art und Weise, wie hier Ausschnitte aus einem Filmklassiker die eigentliche Filmhandlung spiegeln, ist typisch für den spanischen Kultregisseur. Er liebt das Spiel mit Zitaten und Film-im-Film-Konstruktionen. So hört beispielsweise die Synchronsprecherin Pepa in Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs (1988) ihren Ex-Freund Iván noch nach der Trennung seine Liebe beteuern. Doch es sind nicht seine Gefühle, von denen er spricht. Es ist ein Dialog aus Johnny Guitar – Wenn Frauen hassen (1954), den Iván als ihr Kollege kurz zuvor eingesprochen hat. Wieder und wieder hört Pepa im Synchronstudio seine Stimme und wieder und wieder muss sie mit ihrem Dialogtext darauf antworten. Ihre Einsamkeit wird mit jeder Wiederholung noch ein bisschen tragischer.

Damals (in den Achtzigern) war Almodóvar noch als “Enfant Terrible” des spanischen Films bekannt und drehte so wunderbar kranke Sachen wie matador (1986). Als kleiner Eindruck hier der Trailer in der Originalsprache:

Auch wer die Dialoge nicht versteht, kann anhand der Bilder im Trailer schon erahnen, wie nah Sex und Gewalt, Liebe und Tod, Verlangen und Verderben in diesem Film beieinanderliegen. Es handelt sich um die Liebesgeschichte zwischen zwei blutdürstigen Psychopathen. Und bezeichnenderweise lernen die beiden sich im Kino kennen, wo gerade das Finale von Duell in der Sonne (1946) seinen Höhepunkt erreicht. Es ist eine lächerlich schmalzige Szene, in der zwei Liebende einander töten. Dies unterstreicht die Schicksalhaftigkeit der Begegnung der zwei Serienmörder, und zugleich wird dem Publikum bewusst, dass es bei all den großen Gefühlen und den üblen Gewaltexzessen irgendwo auch eine ziemlich lächerliche Geschichte ist, die sie hier sehen. Und dass der Regisseur dies sehr wohl weiß und sich kein bisschen dafür schämt – im Gegenteil.

So haben Zitate bei Almodóvar immer eine gestalterische Bedeutung über den bloßen historischen Verweis hinaus. Sie kommentieren die Situation in der Almodovars Figuren sich wiederfinden, sie machen ihre Gefühle greifbar. “Wenn ein bestimmter Regisseur oder Film in einem meiner Filme vorkommt, dann in einer aktiveren Weise, nicht als simple Hommage oder als Wink an den Zuschauer”, kommentiert Almodóvar seinen Umgang mit Zitaten, “Zuweilen lassen sich die Gefühle eines Filmcharakters am besten durch einen anderen Film vermitteln, durch Worte die vor mir bereits ein anderer Autor schrieb.” Fast hat es den Anschein, als wolle er sich rechtfertigen, um jeden Preis abheben von jüngeren Geek-Regisseuren wie Tarantino und Rodriguez oder Rob Zombie, deren Arbeiten im Wesentlichen aus dem geschickten Spiel mit filmhistorischen Versatzstücken bestehen. Und doch verbindet ihn mit jenen Vertretern des filmischen Pop zumindest die Liebe zum Kino als einem fast heiligen Ort und die Ehrfurcht mit der er wieder und wieder den Ikonen des Filmemachens seine Ehre erweist.

In Sprich mit ihr – Hable con ella (2002) erfand und drehte Almodóvar gar selbst einen fiktiven Klassiker: Den Stummfilm über den Liebhaber einer Wissenschaftlerin, der nach dem Kosten eines Gebräus aus ihrem Labor schrumpft und schrumpft, bis er vollständig in der Vagina seiner Geliebten verschwindet. Mit dieser bizarren Karikatur männlicher Vereinigungsphantasien bebildert Almodóvar einerseits die Sehnsüchte seiner Hauptfigur und verleiht gleichzeitig einem eigentlich widerwärtigem Vorgang – der angedeuteten Vergewaltigung einer Komapatientin durch ihren Pfleger – eine zwiespältige Poesie. Gleichzeitig ist der liebevoll inszenierte Film im Film aber eben auch eine Verneigung vor den expressionistischen Regisseuren des frühen zwanzigsten Jahrhunderts – Pionieren des Kinos.

Bei soviel Liebe zum Kino überrascht es auch kaum, wie häufig Filmemacher als Figuren in Almodóvars Filmen auftauchen. Das Gesetz der Begierde (1987 – wie Matador ein Film aus dem wilden Frühwerk) handelt vom bizarren Eifersuchtschaos rund um einen schwulen Regisseur und seine Schwester, eine transsexuelle Schauspielerin. Am Anfang wird gekokst und gevögelt, am Ende vergewaltigt und gemordet. Es ist wohl unwahrscheinlich, dass Almodóvar selbst in derart üble Exzesse verwickelt war, doch das leidenschaftliche bis dekadente Lebensgefühl des kreativen Undergrounds in Madrid, hat er hautnah miterlebt, und setzte ihm auf diese Weise ein filmisches Denkmal. Nochmal ein ganzes Stück persönlicher ist der teilweise autobiographische Film La Mala educación – Schlechte Erziehung (2004). Er erzählt von dem jungen Filmemacher Enrique (Fele Martínez), der kurz nach seinem Durchbruch als Regisseur von seiner Vergangenheit als schwuler Klosterschüler eingeholt wird. Vermeintliche alte Bekannte melden sich bei ihm und alte Wunden brechen wieder auf. Um die Traumata zu verarbeiten fängt Enrique an, ein Drehbuch über seine Jugend zu schreiben. Almodóvar wuchs selbst in einer Klosterschule auf und machte als Homosexueller unangenehme Bekanntschaft mit der Sexualmoral der katholischen Kirche.

Noch nie jedoch war das Filmemachen als Thema so wichtig wie jetzt in Zerrissene Umarmungen. Natürlich geht es um die Liebesgeschichte zwischen Lena und Mateo und darum wie Mateo Jahre später ihren tragischen Ausgang verarbeitet. Doch kurz bevor der Film komplett in kitschige Gefühlsduselei kippen könnte, verliert all das plötzlich an Bedeutung, und die Fertigstellung von Mateos Regiedebut “Frauen und Koffer” (eine selbstironische Anspielung auf Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs) wird zum Zentrum der Geschichte. In einem Essay zum Film schreibt Almodóvar: “Ich habe das Gefühl, dass ich dem Kino zum ersten Mal eine so deutliche Liebeserklärung gemacht habe (…) dem Kino, seinen Materialien, den Menschen, die vor und hinter dem Scheinwerferlicht alles geben, was sie haben, den Schauspielern, den Cuttern, den Erzählern, denen, die schreiben, den Leinwänden, die alle Bilder jener Intrigen und Emotionen zeigen. Eine Liebeserklärung an etwas, mit dem man zwar seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, das aber nicht bloß ein nüchterner Beruf, sondern eine irrationale Leidenschaft ist.”

Hier der Trailer zu Zerissene Umarmungen:








Übrigens: Im Tobis Filmclub könnt ihr Premierenkarten zu Zerrissene Umarmungen gewinnen!

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News