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Meine erfreulichsten Neuentdeckungen im Serienmedium Anno 2017

05.01.2018 - 16:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Faszinierender als "Twin Peaks: The Return" wird Fernsehen nicht mehr.
Showtime
Faszinierender als "Twin Peaks: The Return" wird Fernsehen nicht mehr.
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Im Folgenden soll es nun um die acht besten Serien gehen, die ich im Jahre 2017, zumindest zu ihrem größten Teil, erstmalig entdeckt und angesehen habe.

Wie bereits beim Ranking meiner schönsten filmischen Neuentdeckungen gilt auch hier: Jede Serie in dieser Aufzählung ist mindestens sehr sehenswert, ansonsten hätte sie auf dieser Liste gewiss nichts zu suchen. Dennoch steigen die Qualität und damit auch die persönliche Gunst, die die jeweilige Serie in meinen Augen innehat, mit der Höhe ihrer jeweiligen Platzierung. Besonders die ersten beiden Plätze stellen aus meiner Sicht einen großen qualitativen Sprung zu allen vorherigen Rängen dar, nehmen sich in ihrem Status als unbestreitbare Meisterwerke gegenseitig allerdings nicht viel. Daher beruht die unterschiedliche Platzierung hier lediglich auf der individuellen Bedeutung, welche das entsprechende Werk für mich besitzt.

Platz 8: Aoi Bungaku

Depression wurde selten greifbarer dargestellt als in "No Longer Human".

Bei Aoi Bungaku handelt es sich um eine animierte Anthologie-Serie, bestehend aus sechs unterschiedlichen Erzählungen der japanischen Literatur, welche in ihrem Episodenumfang zwischen einer, zwei und vier Folgen variieren. Allerdings schwankt hierbei nicht nur die Quantität, nein, wie bei vielen Anthologie-Serien ist leider auch die Qualität der verschiedenen Geschichten sehr variabel und bewegt sich kontinuierlich in einem Spektrum zwischen sehr gut, gut und mittelmäßig bis hin zu schlecht und vergessenswert.

Seinen qualitativen Trumpf spielt Aoi Bungaku gleich mit der ersten Erzählung aus; die vier Episoden umfassende Kurzgeschichte, die den bedeutungsschweren Titel No Longer Human trägt, ist nämlich in etwa das, was man sich unter einer animierten, vierteiligen Literaturverfilmung des Regisseurs Lars von Trier vorstellen würde. Thematisch dreht sich der Anime - was der obige Vergleich vielleicht schon nahelegt - um Depressionen, besser gesagt um depressive Menschen sowie deren Sicht auf sich selbst und die Gesellschaft. No Longer Human ist ein wahrhaft niederschmetterndes, pessimistisches, entmutigendes und zutiefst erschütterndes Werk, mit einem Finale, das ganz gewiss durch Mark und Bein geht, bleibt aber trotz allem in seiner Essenz auf melancholische Art und Weise wunderschön. Noch härter zu verschmerzen wird dieser Anime übrigens, sobald man sich über die Hintergründe seiner literarischen Vorlage informiert und herausfindet, dass deren Autor beim Schreiben des Romans stark autobiografisch arbeitete und kurz nach dessen Veröffentlichung Selbstmord beging.

Die darauffolgende Erzählung ist allerdings - gerade im enormen Kontrast zu No Longer Human - eine herbe Enttäuschung und der große Tiefpunkt von Aoi Bungaku, gefüllt mit unpassendem Humor, stumpfer Gewaltdarstellung und einer platten, nichtssagenden Botschaft. Anschließend verbessert sich die Qualität jedoch immens und obwohl die inhaltliche Größe oder die emotionale Wucht von No Longer Human nicht mehr erreicht wird, so begeistert Aoi Bungaku dennoch mit vielen interessant gestalteten, teils bewegenden und herzerwärmenden, teils schockierenden oder tragischen Kurzgeschichten. Wer also reifes, anspruchsvolles Animationskino liebt und sich möglicherweise insgeheim schon immer in der japanischen Literatur weiterbilden wollte, dem sei Aoi Bungaku wärmstens als Geheimtipp empfohlen.

Platz 7: The Wire

"The Wire": Eine meiner schönsten Serienneuentdeckungen 2017.
Kann man sich anfangs noch des Eindrucks nicht erwehren, The Wire

wäre nicht mehr als eine - zugegeben ungewöhnlich realistische - Kriminalserie, so entwickelt sich diese HBO-Produktion spätestens ab der Hälfte ihrer zweiten Staffel zu einem eindrucksvollen, umfangreichen Sozialportrait, dem akkuraten Spiegelbild einer Mikro-Gesellschaft anhand des Anschauungsbeispiels Baltimore.

Hierbei dient Baltimore weniger als reine Kulisse, sondern mehr als eine Struktur, ein beispielhaftes System, untergliedert in unzählige unterschiedliche Schichten, die allesamt durch komplexe Vernetzung miteinander in Verbindung stehen, sich gegenseitig beeinflussen und miteinander konkurrieren. Es ist absolut beeindruckend, mitverfolgen zu können, wie einerseits die städtische Polizei, beeinflusst von der hohen Verbrechensrate, durch eine inkompetenten Führungsebene korrumpiert wird, auf der anderen Seite aber unter den Entscheidungen von Polizei und letztlich auch Politik vor allem die Arbeiterklasse zu leiden hat, was sich indirekt wiederum auf die Kriminalitätsrate auf den Straßen und somit schlussendlich rückläufig auf die Politik auswirkt. Leicht lässt sich in The Wire der Überblick verlieren, ob all dieser komplizierten Vernetzungen sowie der breit gefächerten Charaktere, aber orientiert man sich durchgehen aufmerksam an den gelungenen Drehbüchern, so sollte sich dieses Durchhaltevermögen rasch bezahlt machen.

An einer Stelle in Staffel 2 wird scherzhaft angemerkt, dass es im Hafen so viele Leichen gäbe, dass diese sich gleich zu einer eigenen Gewerkschaft zusammenschließen könnten. Die hintergründige Botschaft hier ist jedoch radikal und eindeutig: Die Gewerkschaften sind tot. Die Arbeiter, die einfache und ehrliche Mittelschicht, auf der das gesamte politische System der Stadt fußt, sind diejenigen, die am meisten ausgebeutet und von höheren Instanzen zum Spielball funktionalisiert werden. Infolgedessen werden manche von ihnen förmlich zur Kriminalität genötigt; nicht freiwillig, sondern lediglich als Produkt ihres sozialen und politischen Umfeldes. Nicht anders verhält es sich bei den unzählbaren Mengen an Kleinkriminellen auf den Straßen von Baltimore - auch sie sind meist sehr jung, fast noch Kinder, hineingeboren in einen Teufelskreislauf, dem sie nicht mehr entfliehen können, selbst wenn sie es denn wöllten. Und das zieht häufig tödliche Konsequenzen nach sich.

Platz 6: My Hero Academia

Sieht dumm und albern aus, ist aber viel klüger als man denken sollte: "My Hero Academia".

Man glaube es oder glaube es nicht, aber My Hero Academia ist die cleverste Superheldenerzählung der letzten Jahre und zugleich auch ein Musterbeispiel dafür, wie mit einem solchen Thema verfahren werden sollte, was Marvel oder DC mit ihren standartisierten Filmuniversen vermutlich nie gelingen wird. Dabei wirkt My Hero Academia aber auf den ersten Blick wie ein weitestgehend inhaltsleerer und idiotischer Action-Anime; ein Eindruck, der sich nach den ersten drei Episoden leider auch zu verifizieren scheint. Doch bleibt man der Serie treu und verzweifelt anfangs nicht augenblicklich an ihrer klischeehaften Handlung oder dem nervtötenden Protagonisten, offenbart sich recht bald ein Seherlebnis der ganz besonderen Sorte.

Im Gegensatz zu den meisten Superheldengeschichten geht es in My Hero Academia nämlich zu keiner Zeit um einen allmächtigen Heroen, der mutig und selbstlos die Zivilbevölkerung beschützt. Nein, vielmehr geht es um ein Szenario, in dem die Existenz als Superheld keine Berufung, sondern ein anerkannter Beruf - ähnlich dem eines Polizisten - ist. Es gibt Schulen, Akademien, Agenturen und sogar sportliche Wettkämpfe für die gesellschaftlich hoch angesehenen Helden. Doch bröckelt dieses utopische Idealbild rasch unter - wie sollte es anders sein - der menschlichen Arroganz. Wer als professioneller Superheld zur Berühmtheit avanciert, der achtet mehr auf sein Immage, seine Karriere oder seine Finanzen als auf das Retten von Menschenleben. Heldentaten werden nicht mehr aus Uneigennützigkeit und Solidarität, sondern einzig der medialen Aufmerksamkeit und des gesellschaftlichen Prestiges Willen vollbracht. Egoismus statt Altruismus, Heuchelei statt Heldentum, Schein statt Sein. Nie war das Symbol der (Helden-)Maske passender, denn unter der illustren Verkleidung verbirgt sich nicht selten eine moralisch von Grund auf verwerfliche Persönlichkeit. Selbstverständlich sind aber nicht alle Helden Heuchler. Es existieren ebenso viele ehrliche Menschen mit aufrichtigen Ambitionen, manche von ihnen sind geradezu Idealisten. Und das entwickelt sich sowohl zum Guten als auch zum Bösen.

Faszinierend an My Hero Academia ist jedoch nicht bloß, wie nahtlos sich der Anime von einer leichtherzigen Action-Serie innerhalb von bislang zwei Staffeln zum düsteren, intelligent geschriebenen Gesellschaftsportrait entwickelt, sondern ebenfalls die realitätsnahe Charakterisierung des facettenreichen Figurenensembles. Die Superheldenfähigkeiten dienen - anders als in den meisten Filmen oder Serien mit ähnlicher Thematik - nicht lediglich zur Demonstration von physischer Stärke, sondern haben sehr wohl eine zentrale Bedeutung für die jeweiligen Charaktere inne, fügen sich fließend in deren Persönlichkeit ein oder symbolisieren gewisse Charakterentwicklungen. Nicht zufällig besitzt die wohl zwiegespaltenste Figur der Serie eine Fähigkeit, welche die beiden Gegenteile Feuer und Eis in sich vereinigt, während beispielsweise eine Person, die sich später schnell und unbedacht in Gefahr begibt, eine Kraft anwenden kann, die ihr das schnelle Laufen ermöglicht.

My Hero Academia ist wahrhaftig eine Bereicherung für das mittlerweile arg ausgetretene Superheldengenre. So etwas sollte es definitiv öfter geben. Aber nein, dafür werden in Amerika jährlich gefühlt abertausende neue, immer gleich stumpfe Superheldenfilme vom Fließband geworfen, die doch im Prinzip niemand so wirklich braucht. Irgendwie ist es also ironisch, dass hierzulande so gut wie niemand My Hero Academia zu kennen scheint, dafür aber etwas derart Albernes wie das MCU einen unfassbar großen Hype generiert. Das sagt eigentlich schon alles über unsere Gesellschaft aus.

Platz 5: Twin Peaks

"Twin Peaks": Zu Recht eine Kultserie.

Twin Peaks mag vielleicht nicht die beste Serie sein, die ich 2017 für mich entdecken konnte, ohne Zweifel ist sie aber diejenige, die mich in diesem Jahr am meisten beschäftigt und fasziniert hat. Diese selbst nach Monaten des Verarbeitens noch ungebrochene Faszination gilt jedoch weniger Twin Peaks als Serie an sich, sondern vielmehr Twin Peaks als Phänomen: Alle Theorien, Sagen, Mysterien und sämtliche durch präzise Analyse herausgearbeiteten Zusammenhänge - Letzteres wird schließlich auch im Sequel Twin Peaks: The Return eine große Rolle spielen - sprich alle Komponenten, die Twin Peaks als ein Kulturerbe auszeichnen, welches das Fernsehen noch lange Zeit prägen und beeinflussen dürfte.

"Laura ist the one!", so spricht Margaret Lanterman, die Log Lady, im Intro zur allerersten Episode von Twin Peaks. Passender könnte ein Prolog kaum gewählt sein, denn wie bereits zu Anfang angekündigt, ist es eben die besagte Laura Palmer, welche als Auslöser für nahezu sämtliche Ereignisse in Twin Peaks fungiert, an der sich so gut wie alle darauffolgenden Handlungsstränge orientieren und die später in Twin Peaks: The Return sogar als Schachfigur in einem Kampf kosmischer Ausmaße Geltung zeigt - und das, obgleich der Charakter im Laufe der gesamten Serie kein einziges Mal lebendig zu sehen ist. Dass David Lynch Laura folglich, trotz ihrer nicht vorhandenen Präsenz, eine gewisse Allgegenwärtigkeit verleiht, hat einen ähnlich prophetischen Charakter wie beispielsweise die Aussage "Dick Laurent ist tot" am Anfang von Lost Highway oder die Szene im Winkie's aus Mulholland Drive.

David Lynch ist allerdings nicht nur gut darin, unterstützt von der warmen, beinahe heimeligen Bildästhetik und der schier außerweltlichen musikalischen Begleitung des großen Angelo Badalamenti, eine faszinierende Atmosphäre zu kreieren, sondern vermag ebenso galant eine ikonische Serienfigur nach der anderen aus dem Hut zu zaubern. Vor allem zu Beginn ist Twin Peaks schließlich ein Werk, das nicht etwa an seiner Handlung, sondern ganz eindeutig an seinen Charakteren bemessen werden sollte. Denn letztlich geht es, wie so oft bei David Lynch, auch in Twin Peaks immer noch um Menschen beziehungsweise um deren Probleme, Ängste, Sorgen, (Alp-)Träume, Wünsche und Begierden. Psychologisch gesprochen skizziert Twin Peaks das Leben also als fragilen Drahtseilakt: Neben vielen schönen Momenten birgt es ebenso unzählige Schrecken, Rückfälle und Enttäuschungen, kann mitunter sogar gänzlich unerwartet von jetzt auf gleich in sich zusammenbrechen - ähnlich einem zertrümmerten Spiegel.

Platz 4: Over the Garden Wall

Poetisch sind sowohl Bilder als auch Handlung von "Over the Garden Wall".

Wieso? Wieso kennt so gut wie niemand das von Cartoon Network produzierte Wunderwerk Over the Garden Wall? Traurig aber wahr: Keiner meiner Freunde hier scheint diesen überragenden Cartoon gesehen zu haben und nur lachhafte zwei Personen haben ihn sich überhaupt erst vorgemerkt. Dabei ist die Serie mit ihren zehn Episoden à jeweils zehn Minuten unglaublich kurz und in weniger als zwei Stunden komplett ansehbar. Außerdem gibt es die meisten Episoden sogar in herausragenden 1080p kostenlos bei dailymotion  (klick mich) zu sehen. Also hört mit allem auf, was ihr gerade tut und gebt Over the Garden Wall eine Chance. Ich meine es ernst. Tut es. Wirklich. Ihr werdet es mir hinterher auf Knien danken. Glaubt mir.

Wer allerdings weiterhin skeptisch ist und es für unter seiner Würde erachtet, eine Cartoon-Serie anzusehen, der soll sich folgende Liebeserklärung auf der Zunge zergehen lassen: Over the Garden Wall ist ganz gewiss der tiefgründigste und womöglich gar generell der beste Cartoon, den ich bis zum jetzigen Zeitpunkt gesehen habe. Dies liegt mitunter an der geradezu lynchesken Komplexität, die in so gut wie jeder Minute dieser kongenialen Mystery-Serie vorzufinden ist. Ja, jedes noch so winzige Detail, jede noch so unwichtige Aktion und jeder noch so nebensächliche Dialogfetzen spielt hier früher oder später eine übergeordnete Rolle und ist für die Interpretation des Gesamtwerks von essenzieller Bedeutung.

Doch selbst wenn man sich vor dem poetischen Subtext und der metaphorischen Bildsprache von Over the Garden Wall verschließt, wird zumindest die unbeschreiblich fesselnde Atmosphäre einen prägenden Eindruck hinterlassen, welche - getragen durch die ästhetische Naturkulisse, die stimmungsvollen Gesangseinlagen sowie die surrealen Handlungsorte - von der ersten Episode an in ihren Bann zieht und selbst nach Beendigung des letzten Aktes nichts von ihrer Faszination einbüßen will. Speziell die letzten beiden Episoden, Into the Unknown und The Unknown, kulminieren in einer großartigen Auflösung, die in Komplexität und Dramatik wahrhaft ihresgleichen sucht.

Angenehm fällt ebenfalls der fließende Wechsel zwischen lockeren, zynischen oder wunderbar pointierten komödiantischen Momenten und relativ düsteren, beklemmenden Passagen auf. Das Biest, der Hauptantagonist von Over the Garden Wall, dürfte sogar der finsterste Charakter sein, der jemals bei Cartoon Network zu sehen war und mitunter wird die Handlung derart morbide, dass sich selbst ein erfahrener Kenner des Horrorgenres ab und zu einer Gänsehaut nicht erwehren können wird.
Lobend zu erwähnen gilt es außerdem die beeindruckende Darbietung der englischen Synchronsprecher, darunter sogar bekannte Persönlichkeiten wie etwa Elijah Wood als Protagonist Wirt, der famose Christopher Lloyd als Holzfäller oder - besonders furchteinflößend - Tim Curry als Auntie Wispers. Am meisten im Gedächtnis bleibt allerdings die voluminöse Stimme des relativ unbekannten Opernsängers Samuel Ramey  in der Rolle des Biests. In jedem Fall sollte diese Serie also im Originalton genossen werden.

Platz 3: Gintama

Manchmal geht es in "Gintama" alles andere als lustig zu.

Wenn es eine Anime- und Manga-Gattung gibt, die weltweit als die Populärste anzusehen ist, dann handelt es sich eindeutig um den Shōnen: Actionreiche Abenteuergeschichten, die sich primär an männliche Jugendliche oder generell ein männliches Zielpublikum richten. Durch enorm bekannte Vertreter dieses Genres wie etwa Dragon Ball oder One Piece sowie dank der leichten Konsumierbarkeit vieler Shōnen-Anime verwundert die gewaltige Quantität gepaart mit mangelnder Individualität innerhalb dieses Genres nur wenig. Angesichts dessen ist es nur absehbar, dass früher oder später unter all diesen generischen Fließbandproduktionen eine wundervolle Kreation wie Gintama das Licht der Welt erblicken musste - eine Dekonstruktion.

Gintama ist auf eine schwer in Worte zu fassende Art völlig anders als alles, was ich in meinem bisherigen Leben gesehen habe. Und das nicht etwa, weil Gintama eine der mit Abstand lustigsten Serien ist, die ich kenne. Nein, so vieles mehr steckt hinter diesem mehr als 300 Episoden umfassenden Comedy-Anime. Gintama ist in höchstem Maße subversiv und bricht so gut wie jede vorhandene Konvention des Genres, parodiert und zitiert alles, was in der japanischen Kultur Rang und Namen hat, zieht sogar amerikanische Produktionen durch den Kakao, durchbricht permanent die vierte Wand, prangert auf eine unterhaltsame Weise schwere Missstände in der Anime-Industrie an und ist sich häufig auch für Selbstkritik nicht zu schade.

Wer Gintama jedoch allein auf die zusammenhangslosen, episodischen Comedy-Folgen herunterbricht, der missversteht den Geist der Serie drastisch. Ja, der Hauptfokus des Anime liegt auf der Comedy. Allerdings birgt die Handlung häufig wichtige Lebensweisheiten und motivierenden Positivismus, geprägt von einem tiefen Humanismus. Denn Gintama schafft es wie keine andere mir bekannte Serie zu zeigen, wie sehr sich die verschiedenen Charaktere umeinander sorgen - und das trotz ihrer vielen Macken, Eigenheiten, Fehler und den ständigen gegenseitigen Sticheleien. Eben wie in einer echten Familie. Dabei wird jede Figur so akzeptiert wie sie ist und selbst die belastende Vergangenheit vieler Charaktere wird durch den hoffnungsvollen Blick in die Zukunft und das glückliche Leben für den Augenblick therapiert. Ein besseres Antidepressivum als Gintama gibt es somit nicht.

Immer wieder tauchen neben den komödiantischen Episoden allerdings auch ernste, kohärente Handlungsstränge auf, die sich nach und nach, gleich von den ersten Folgen an zu einem gewaltigen Erzählgerüst auftürmen, in dem jeder Charakter, jede Organisation und jede politische Instanz irgendwann noch eine Rolle zu spielen hat, bis alles schließlich im epischen Shogun-Assassination-Arc kulminiert. Und wenn es in Gintama einmal ernster zugeht, dann darf man sowohl an makellos inszenierter Action als auch an viel Leid, Trauer und ganz großen Emotionen Gefallen finden. Denn trotz vieler lustiger Momente gilt es immer wieder bittere Tränen zu vergießen; vor allem, da einem mit der Zeit so gut wie alle Charaktere unweigerlich ans Herz wachsen, ein Abschied von diesen also umso schwerer fällt. Und außerdem: Wenn Gintama dann in Episode 314 einen von Beginn der Serie an gut vorbereiteten Plottwist präsentiert, der die gesamte Handlung bis zu eben jenem Punkt in ihren Grundfesten erschüttert und alles Bisherige in Frage stellt, dann ist absolut berechtigt von einem Meisterwerk die Rede. Nur ein Wort sei verraten: Utsuro. Wer sich allerdings nicht die Überraschung verderben möchte, der sollte lieber keinerlei Recherchen über diesen Namen betreiben und schleunigst mit Gintama beginnen. Es rentiert sich.

Platz 2: Twin Peaks: The Return

Ein unendlich faszinierendes, wunderschönes Mysterium: "Twin Peaks: The Return".

Obgleich Twin Peaks: The Return nicht auf dem ersten Platz dieser Liste gelandet ist, ist das, was David Lynch hier - mit sage und schreibe fünfundzwanzig Jahren Abstand zur Originalserie Twin Peaks - erschaffen hat, fraglos die am besten geschriebene Geschichte in meinem gesamten Ranking. Mehr noch, es gliche einem Sakrileg, ein bewusstseinserweiterndes Jahrhundertdenkmal wie Twin Peaks: The Return bloß als weitere Serie unter allen Serien dieser Welt zu bezeichnen. Nein, Twin Peaks: The Return ist zunächst kaum vergleichbar mit einer gewöhnlichen Serie, sondern erinnert in ihrer Beschaffenheit am ehesten an eine Art Naturgewalt. Ein beängstigendes und zugleich wundersames Ereignis, welches man als einfacher Mensch nur ehrfurchtsvoll und unterwürfig bestaunen, es aber keinesfalls in seiner Gänze begreifen kann. Anders gesprochen ist Twin Peaks: The Return in etwa das cineastische Äquivalent zu jenem Phänomen, das man gemeinhin als ein Wunder bezeichnen würde.

Und dabei gleicht die Existenz der Serie per se bereits einem Wunder, schließlich hätte bis vor kurzem mutmaßlich so gut wie niemand nur im Entferntesten damit gerechnet, dass die Serie Twin Peaks nach ganzen 25 Jahren tatsächlich eine Fortsetzung erhalten sollte - noch dazu mit den gleichen Schauspielern, unter der Obhut von keinem Geringeren als David Lynch persönlich. Und als wäre dies nicht schon genug Grund zum Staunen, gelingt es Twin Peaks: The Return, trotz all der vergangenen Zeit, schnörkellos an die Geschehnisse aus Staffel 2 der Originalserie anzuknüpfen, diese sinnvoll weiterzuentwickeln und sogar so abzurunden, dass urplötzlich viele Ereignisse aus den ersten beiden Staffeln wie kongeniale Vorausdeutungen erscheinen. Vieles steht nach Twin Peaks: The Return in einem vollkommen neuen Licht, unzählbare Interpretationsmöglichkeiten werden angeboten - eine fulminanter als die nächste - und jedes scheinbar noch so irrelevante Detail, jedes Straßenschild, jede Zahl, jeder Dialogstück spielt am Ende im Gesamtkonzept irgendwo eine wichtige Rolle, wodurch Twin Peaks: The Return letztlich als die komplexeste Serie schließt, die ich in den letzten zwei bis drei Jahren zu Gesicht bekommen durfte.

Doch vieles mehr beeindruckt an Twin Peaks: The Return nebst der erzählerischen Komplexität. Allem voran die Tatsache, dass es David Lynch unbeschreiblich elegant gelungen ist, Twin Peaks als Ganzes in eine moderne Zeit zu transportieren, ohne dabei den Geist des Originals zu vernachlässigen, glücklicherweise aber ebenso ohne den Gebrauch von störendem Fanservice. Mit dem enormen zeitlichen Fortschritt einher geht selbstverständlich aber auch eine gewisse Fortschrittskritik, in diesem konkreten Fall eine omnipräsente Technologiekritik: Statt dem Feuer aus der Gedichtzeile "Fire walk with me!" steht nun die Elektrizität, sozusagen das moderne Feuer, in antagonistischer Position - nicht zufällig erinnern die Strommasten in der finalen Episode stark an das Bild von Judy, beziehungsweise das Motiv einer Eule - und somit auch alles Negative, was durch den technischen Fortschritt ermöglicht wird, an erster Stelle natürlich die in Episode 8 eindrucksvoll deponierte Atombombe.

Allerdings funktioniert Twin Peaks: The Return nicht lediglich für den Kopf, sondern genauso für das Herz. Noch stärker als in der Mutterserie behält David Lynch hier einen humanistischen Kern bei, weswegen von Twin Peaks: The Return neben unendlich vielen intelligenten, vielschichtigen Szenen auch eine Vielzahl unvergesslicher emotionaler Momente bleibt. Eben genau so, wie es häufig in David Lynchs Filmen der Fall ist - ich denke hier insbesondere an Mulholland Drive. Kurz gesagt, es handelt sich um wahrlich mitreißendes, inspirierendes, kluges, poetisches und überwältigendes Fernsehen. Besser geht es eigentlich nicht. Nunja...fast nicht.

Platz 1: Six Feet Under - Gestorben wird immer

"Six Feet Under": Eine große Schönheit.

Obschon Twin Peaks: The Return aus meiner Sicht gewiss die cleverste und am besten ausgearbeitete, vielleicht sogar insgesamt die makelloseste Serie in diesem Ranking ist, so kann ich doch nicht umhin, das einzigartige Seherlebnis, das mir Six Feet Under - Gestorben wird immer bereitet hat, auf den ersten Platz meiner erfreulichsten Neuentdeckungen im Serienmedium Anno 2017 zu verlegen. Der Grund dafür ist relativ simpel: Six Feet Under ist zwar freilich weit davon entfernt, gänzlich schnörkellos zu sein, aber nichtsdestotrotz würde ich dieses bewegende Werk als diejenige Serie bezeichnen, die mich bis dato als Menschen - sowohl in meinem Charakter als auch in meiner Einstellung dem Leben gegenüber - mit deutlichem Abstand am meisten geprägt hat. Wie könnte es also eine andere Serie als Six Feet Under sein, der ich diesen Ehrenrang verleihe?

Six Feet Under baut über fünf Staffeln hinweg auf einem Thema auf, welches die meisten Menschen vermutlich lieber aus ihrem Alltag verdrängen würden, anstatt sich in Form dieser Serie damit auseinandersetzen zu müssen: Dem Tod. Diesbezüglich verweigert sich Six Feet Under konsequenterweise jeglicher Beschönigung und zeigt die menschliche Vergänglichkeit als genau das, was sie in der Realität auch ist - ein kummervoller, elender und für alle Beteiligten schmerzhaft zu verarbeitender Prozess, der aber dennoch allgegenwärtig und in unserer Welt nur Teil des natürlichen Laufs der Dinge ist. Six Feet Under verdeutlicht eindringlicher als jede andere Serie, wie sehr Menschen durch die Konfrontation mit Tod und Sterblichkeit - aber dies nicht zwangsläufig auf sich selbst bezogen - verändert, ja, geradezu gebrochen werden können. Jedoch zeigt Six Feet Under ebenso intensiv, dass all dieses Leid, die Trauer und das menschliche Elend nicht weniger zum Leben dazugehören als Freude, Hoffnung oder Glück und das Leben selbstverständlich, trotz familiärer Katastrophen oder persönlicher Tragödien, immerzu unerbittlich weitergeht. Letztlich macht dies aus Six Feet Under einerseits zwar eine deprimierende Serie, die ihrem Publikum ein hohes Maß an Selbstüberwindung zur Verarbeitung des Geschehens abverlangt, im Kern bleibt sie aber trotzdem ein unbeschreiblich lebensbejahendes, gar schmerzlinderndes Werk.

Wie auch immer man Six Feet Under unterdessen betrachtet - zwischenzeitliche Drehbuchinkonsistenz oder einige uninteressantere Handlungspassagen sind beispielsweise nicht von der Hand zu weisen - steht es außer Frage, dass die Serie etwas tief in meinem Inneren bewegt hat, über dessen Existenz ich mir bis dahin noch gar nicht im Klaren war. Six Feet Under hat mich nachhaltig beeinflusst, mich über Dinge nachdenken lassen, die ich vorher nicht einmal wahrgenommen hatte, genauso wie sie meine Sicht auf die Welt ebenso wie meinen Blickwinkel auf das Leben an sich deutlich geprägt, vielleicht sogar grundlegend verändert hat.

Zu erklären, woran genau es liegen mag, dass mich diese Serie auf so persönlicher Ebene erreicht und emotional derartig mitgerissen hat, würde an dieser Stelle jedoch den Rahmen eines einfachen Blogartikels sprengen. Nicht ganz unschuldig daran ist aber mit Sicherheit die umwerfende letzte Staffel, die ich in ihrer Gesamtheit wohl zu den besten Dingen zählen würde, die mir bis dato in einem filmischen Medium widerfahren sind, insbesondere das aufwühlende Finale, das in verschiedenen Kreisen absolut zurecht als das beste Serienende aller Zeiten gehandelt wird. Letztendlich sollte aber jeder für sich selbst entscheiden dürfen, ob er bereit dazu ist, sich hilflos einem so intimen, emotionalen Erlebnis wie Six Feet Under auszuliefern. Oder eben nicht.

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