Magische Rückzugsorte - Das Kino des Stephen Frears

30.09.2015 - 23:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Stephen Frears bei den Dreharbeiten zu The Program – Um jeden Preis
Studiocanal GmbH Filmverleih
Stephen Frears bei den Dreharbeiten zu The Program – Um jeden Preis
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Seine Filme erzählen von wunderbaren Waschsalons und vertrackten Dreiecksbeziehungen: Stephen Frears ist der große Romantiker des New British Cinema. Wir blicken auf das bisherige Schaffenswerk des vielseitigen Filmemachers zurück.

Es mag dem Erfolg seines bislang größten kommerziellen Hits Die Queen (2006) geschuldet sein, dass Stephen Frears oft vorrangig als souveräner Regisseur biographischer Dramen wahrgenommen wird. Tatsächlich reizte ihn die Form des Biopic zuletzt in besonderem Maße, eher selten standen bis dato historische Persönlichkeiten im Mittelpunkt seiner Erzählungen: Von der exzentrischen Witwe Laura Henderson bis zur verzweifelten Mutter Philomena Lee geht es in jüngeren Frears-Filmen immer wieder um Menschen aus dem öffentlichen Leben, deren true events er einen mal amüsanten, mal hochemotionalen – stets aber einen ganz eigenen Dreh gibt. Nach Lady Henderson präsentiert (2005) und Philomena (2013) erweitert Stephen Frears diesen Kanon verbürgter Figuren nun um eine der sicherlich schillerndsten Gestalten des Profisports: The Program - Um jeden Preis kommt am 8. Oktober 2015 in die deutschen Kinos und erzählt vom buchstäblich rasenden Aufstieg des ehemaligen Radrennfahrers und Triathleten Lance Armstrong (Ben Foster).

Bei Stephen Frears ist der Zugriff auf biographisches Material in der Regel ein ausgesprochen romantischer. Er hat ein aufrichtiges Interesse an den berühmten und weniger berühmten Figuren seiner Filme, deren Geschichten er publikumswirksam, doch niemals von einer besser gewussten Gegenwartsperspektive aus erzählt. Was allerdings gerade nicht heißt, dass seine Biopics deshalb revisionistisch seien – oder dass der am New British Cinema und dessen scharfer künstlerischer Analyse des Thatcherismus geschulte Regisseur ihre historischen Kontexte leugnen würde: Prick up your ears (1987) ist ebenso ein Film über den Werdegang und skandalösen Tod des Dramatikers Joe Orton, wie er auch eine bittere Chronik schwulen Lebens im England der 1960er-Jahre ist; und Philomena handelt zwar vordergründig von der Suche einer älteren Frau nach ihrem einst zwangsadoptierten unehelichen Sohn, ist aber insbesondere ein ohnmächtiger statt plump-religionskritischer Versuch, die nicht nur moralischen Verbrechen der Katholischen Kirche im Irland der 1950er-Jahre nachzuempfinden.

Mein wunderbarer Waschsalon (1985)

In entscheidenden Momenten gestatten sich die manchmal auch lediglich implizit biographischen Filme von Stephen Frears dabei geradezu wirklichkeitsentrückte Utopien. In Mein wunderbarer Waschsalon (1985) wird ein junger Sohn pakistanischer Eltern mit rassistischer Gewalt und dem Marktfundamentalismus der Thatcher-Ära konfrontiert, schafft es jedoch auf unwahrscheinliche Weise, die Ablehnung produktiv zu machen: Er verliebt sich in einen ehemaligen Neonazi (gespielt vom seinerzeit unbekannten Daniel Day-Lewis) und eröffnet mit ihm die Titel gebende Münzwäscherei, in deren Hinterzimmer das Paar die Schrecken der Realität auf Distanz hält und sie zugleich durch ein verspiegeltes Guckfenster poetisch verfremdet. Von der Erfahrungswirklichkeit pakistanischer Einwanderer in South London wurde der damals noch vorrangig fürs Fernsehen tätige Stephen Frears über den Schriftsteller Hanif Kureishi aufmerksam, der die Theatervorlage ebenso wie das Drehbuch schrieb und Frears zu einem ersten internationalen Kinoerfolg verhalf.

Mit dem rentablen Betrieb (der, wie dieser Essay  lesenswert herausarbeitet, kaum zufällig einem kleinen Kino ähnelt) sichert sich der Held des Films nicht nur seine wirtschaftliche Existenz, sondern schafft ganz eigene Voraussetzungen für eine individualistische, wenngleich räumlich beschränkte Verwirklichung seiner Sehnsüchte. Seither gewähren alle Filme von Stephen Frears ihren Protagonisten solche wunderbaren Waschsalons (oder wunderbaren Plattenläden wie in High Fidelity), solche magischen Orte und Nicht-Orte des Rückzugs. In seinem bissigen, aber keineswegs zynischen Porträt über Elisabeth II. flüchtet die Titelfigur vor protokollarischen Verpflichtungen und begegnet in der weiträumigen Umgebung ihrer schottischen Sommerresidenz einem Hirsch, der sie alle royale Selbstbeherrschung kurzzeitig vergessen lässt. Und selbst noch in einem feindseligen Klima permanenter Bedrohung und Angst, wie es der Gangsterthriller The Hit (1984) fatalistisch abbildet, gelingt dem von Terence Stamp gespielten Ex-Mafia-Handlanger ein heilsamer Rückzug in die Natur, als er am Wasserfall sein tödliches Schicksal zu akzeptieren beginnt.

Mary Reilly (1996)

Das von Kritik und Publikum leider missverstandene Horrormelodram Mary Reilly (1996) – Stephen Frears im Interview : "It was a catastrophe." – begreift diese magischen Rückzugsorte hingegen genregerecht als Brutstätten des Bösen. Dort zieht es den nach Erkenntnis strebenden Dr. Jekyll immer wieder in einen abgedunkelten Operationssaal, wo er sein finsteres Alter Ego Mr. Hyde zum Leben erweckt und schließlich auch zu bezwingen versucht. Meistens aber schirmen diese Momente solche und andere Frears-Charaktere von den dramatischen Attraktionen der eigentlichen Handlungen ab und leisten sich erzählerische Freiräume, in denen die uneindeutigen (sprich: offen gestalteten) Hauptfiguren innehalten oder ihre Existenz grundsätzlich infrage stellen. Das hat viel mit einer Idee von Humanismus zu tun, die in sozialrealistischen Milieus verortet ist, deren gewaltsamen Widerständen aber wundersam trotzt. Und es ist das vielleicht schönste wiederkehrende Motiv in den Regiearbeiten von Stephen Frears, der auch mit 74 Jahren offenbar noch nicht an ein Ende seiner Karriere denkt.

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