Lebe lang und in Frieden. Aber bitte nicht hier.

15.09.2015 - 09:00 UhrVor 2 Jahren aktualisiert
Lebe lang und in Frieden.
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Lebe lang und in Frieden.
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Aus Fremdenangst wird Fremdenhass, das erleben wir momentan Tag für Tag. Grund dafür ist oft eine Sicht, die in Fremden nur bedrohliche Andere sieht. Filme und Serien können helfen, unsere Perspektive und unsere Grenzen zu erweitern, und so das große Ganze zu sehen.

Es gibt da diesen Typen, der irgendwie komisch ist. Er sieht anders aus, nicht so wie du. Er ist ein dunkler Typ mit eigenartig kantigen Gesichtszügen, spitzen Augenbrauen und stechenden Augen. Und er hat komische Ohren. Er redet anders als du es gewohnt bist. Er hat einen eigenartigen Namen und stammt von einem Ort, von dem du gehört hast, aber den du nicht kennst. Und da hätte er bleiben sollen, aber jetzt ist hier, in deiner Heimat, in deiner Stadt, weil seine in Schutt und Asche liegt, und er will hier bleiben und arbeiten. Alles an ihm ist (be)fremd(lich) und das macht dir ein bisschen Angst. Und es macht dich auch wütend, denn plötzlich ist er in deiner Umgebung und will, dass du deine Ressourcen mit ihm teilst. Dein Essen, dein Wasser, vielleicht sogar deinen Arbeitsplatz.

Und als ob das alles noch nicht genug wäre, verabschiedet er sich immer mit dieser albernen Geste und sagt:


Jetzt wirst du vielleicht sagen, das mit Mr. Spock ist eine andere Sache als das, was gerade in Europa, in Deutschland, in deiner Stadt mit den vielen Geflüchteten passiert. Es ist ja nur ein Film. Es ist nur eine Fiktion. Noch dazu ist er ein Alien. Aber "Alien" heißt nicht nur Außerirdischer. Es bedeutet auch "Fremder" und "Ausländer". Und dieser Raumschiff Enterprise-Gruss, weißt du, woher er kommt? Es ist eine jüdische Segensgeste , ausgedacht von Leonard Nimoy, dem Sohn jüdisch-ukrainischer Immigranten, die vor den Pogromen in der Ukraine in die USA flohen. Hätten sie es nicht getan, gäbe es weder Nimoy, noch die Geste, noch diesen Mr. Spock.

Alles nur Film?

Ist Casablanca nur so eine schmalzige Romanze? Nein, es ist auch ein Film über Immigranten wie Rick (Humphrey Bogart) und Flüchtlinge wie Ilsa (Ingrid Bergman) und Lazlo (Paul Henreid), die dem Nazi-Regime entkommen müssen. Ist Superman nur ein Superheldenfilm? Nein, es ist auch die Geschichte eines geflüchteten Jungen, Clark (Christopher Reeve/Brandon Routh/Henry Cavill), der auf einem anderen Planeten ein neues Leben beginnt und versucht, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, nachdem seine Heimat von einer Naturkatastrophe zerstört wurde. District 9 ist auch mehr als ein Alien-Film. Er ist vor allem eine Parabel auf die Apartheid in Südafrika, aber auch eine universelle Geschichte über Flüchtlingslager und deren unerträglichen Zustände.

Und wenn man sich Alfonso Cuaróns Children of Men genauer anschaut, dann ist es nicht nur die Geschichte Theos (Clive Owen), der versucht, die einzige schwangere Frau auf Erden in Sicherheit zu bringen. Es ist die Geschichte von Geflüchteten in Europa, die vor Hunger, Krieg und Naturkatastrophen geflohen sind. Und es ist die Geschichte eines diktatorischen Staates, der seine Grenzen geschlossen hält und die Geflüchteten so behandelt, wie es zurzeit Ungarn tut.


Cuaróns Film ist geradezu prophetisch. Wenn man nicht nur die subjektive Hauptgeschichte Theos sieht, sondern sich erlaubt, den Hintergrund im Tatsächlichen als auch im Metaphorischen zu betrachten.


Die Sache mit dem Fremdenhass ist die: Er entspringt aus einer hochgradig subjektiven Sicht. Einer Sicht, in der das große Ganze nicht stattfindet, sondern nur die eigene Geschichte. Es geht darum, wie die Anderen anders sind als man SELBST. Es geht darum, wie diese Menschen etwas wollen, was man SELBST gerade hat. Frieden, Freiheit, Würde, Absicherung, Eigentum usw. Es geht darum, dass man Angst davor hat, SELBST nicht mehr genug zu bekommen. Es geht immer um das "Ich".

Es geht nie um das "Wir" oder um das große Ganze. Zugegeben, es ist schwierig, dem großen Ganzen zu folgen, sich zu informieren, diese hochgradig komplexe Welt zu verstehen. Aber es ist nötig, denn nur, wenn man seine Perspektiven erweitert, kann man verstehen. Und nur so kommt man über das kleine "Ich" hinaus.

Filme sind u. a. eine Möglichkeit, seine Grenzen zu erweitern. Seien es Werke wie Children of Men, die im Hintergrund ihre politische Arbeit verrichten oder Filme wie Dheepan, Mediterranea, Riverbanks oder The Immigrant, die sich direkt mit Geschichten von Flucht und Verfolgung auseinandersetzen. Sie alle erweitern den Horizont. Sie alle beenden eine Nabelschau und verweisen auf die Umstände, die auf uns alle einwirken und denen wir ausgesetzt sind.

Erst wenn man lernt, *wer* Spock ist und aus welcher Kultur er kommt, ist er mehr als ein komischer, gefährlich wirkender Fremder.

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