Mit Mufasa: Der König der Löwen läuft ab sofort die Vorgeschichte zu Der König der Löwen im Kino, der
2019 als fotorealistisch animiertes Remake Disneys beliebten Zeichentrickklassiker neu auflegte. Fünf Jahre später reisen wir in die Vergangenheit von Simbas Vater, um mehr über Mufasas Werdegang zu erfahren. Als verwaister Junglöwe wird er von einem Rudel adoptiert, zu dem auch der kleine Löwe Taka gehört. Sie werden beste Freunde. Doch in Zukunft wird Taka den Namen Scar tragen.
Interview: Mufasa-Regisseur Barry Jenkins über seine König der Löwen-Vorgeschichte
Regie bei Disneys Mufasa führte Barry Jenkins, der 2017 für seinen Film Moonlight einen Oscar gewann. Welche Parallelen zwischen den Geschichten vom Erwachsenwerden eines jungen Afroamerikaners und der Coming-of-Age-Story eines Löwenjungen bestehen und welche Veränderungen gegenüber Jon Favreaus Mega-Erfolg ihm wichtig waren, verriet der Filmemacher im Interview.
Moviepilot: Die ersten Male, als Disney dir die Regie zu Mufasa anbot, hast du 'Nein' gesagt.
Barry Jenkins: Ja. Aber ich sollte klarstellen, dass ich 'Nein' gesagt habe, ohne vorher das Drehbuch gelesen zu haben. Ich habe den Film also verurteilt, bevor ich ihn überhaupt kannte. Das war wahrscheinlich sehr ähnlich der Reaktion, die viele hatten, als sie hörten, dass ich diesen Film machen würde – als Regisseur, den viele eher auf Festivals wie der Berlinale sehen.
Aber ich gehöre zu einer Generation, die mit Blockbustern groß geworden ist. Die Regie-Generation vor mir, wie Spielberg und Coppola, wuchs in einer Zeit auf, in der Filme wie Jurassic Park nicht existierten. Wir hingegen wurden mit Filmen wie Der König der Löwen, Terminator, Aliens und Independence Day groß. Unsere DNA als Kinobesucher ist möglicherweise anders als unsere DNA als Filmemacher. Aber manchmal kommt ein bemerkenswertes Projekt vorbei, in dem sich beide Stimmen verbinden lassen.
Was hat dich dazu gebracht, das Mufasa-Drehbuch nach anfänglichem Zögern doch zu lesen?
Ich lebe mit der Filmemacherin Lulu Wang zusammen, die The Farewell gedreht hat. Sie machte mir klar, dass es eine faule Ausrede sei, dem Projekt eine Absage zu erteilen, ohne mich damit zu beschäftigen. Wenn ich es gelesen und 'Nein' gesagt hätte, sei das in Ordnung. Aber andersrum wäre es nur feige.
Dabei kannte sie das Drehbuch selbst nicht. Nur ich durfte es [mit entsprechender Sicherheits-Technologie] ansehen. Sobald ich es gelesen hatte, fand ich es enorm reizvoll, weil niemand mir sagen konnte, dass es großartig war. So erlaubte ich mir, all die wunderbaren Dinge darin zu sehen, die mit meinem vorigen Werk überlappten.
Was an der Geschichte von Mufasa hat dich von dem Film überzeugt?
Für mich war es eine Szene [nach circa 40 Minuten] in der Mufasa und Taka [also der spätere Scar] zusammen weglaufen, in Richtung Sonnenuntergang. Sie machen sich auf eine Reise zu einem Ort, von dem sie nicht wissen, ob er tatsächlich existiert. Wir wissen alle, was später mit diesen zwei Charakteren passiert, und wussten in diesem Moment trotzdem nicht, was sie erwartet.
Ich war schon immer jemand, der nicht akzeptieren wollte, dass alles so ist, wie es an der Oberfläche erscheint. Das Drehbuch machte mir in den ersten 40 Seiten klar, dass alles, was wir 30 Jahre von Scar und Mufasa angenommen hatten, viel mehr Nuancen und Kontext besaß. Das zu erforschen, hat mich gereizt. Erst recht, wenn das Publikum schon so starke Gefühle zu den Figuren besitzt. Es war großartig, damit zu spielen.
Du wolltest also das Verborgene hinter dem Bekannten erforschen. Hast du dich 1994 gefragt, warum Simbas Onkel in Der König der Löwen eine Narbe (im Englischen: scar) trägt und zugleich Scar heißt?
Nein, habe ich nicht. Es ergab damals völlig Sinn: Er war ein Typ mit einer Narbe und hieß Scar. Aber dann fängt man an, zu überlegen: Wie ist er zu seiner Narbe gekommen? Das ist eine Frage, die dieser Film beantwortet. Warum wird er Scar genannt? Auch darauf gibt es jetzt Antworten.
Was man sich damals nicht fragte, war, warum Scar ist, wie er ist. Jeremy Irons hat [im englischen Original] einen so fantastischen Job als Sprecher absolviert, dass man weiß: Was Scar tut, sind keine Fehler, sondern Entscheidungen. Das lieferte die perfekte Vorlage für meinen Film, um zu erzählen, wie er zu diesen Entscheidungen gelangte.
Ich konzentriere mich am liebsten auf meine Charaktere: Was ist die chaotischste und schönste Version einer Figurendynamik? [...] Der erste Film beschäftigte sich sehr viel mit großartigen Vätern: Mufasa ist der perfekte Papa. Man nimmt an, dass er durch seinen eigenen Vater so geworden ist, aber dann sieht man in unserem Film eine andere Version und das wird auf den Kopf gestellt.
Wir haben im König der Löwen-Universum schon tolle Väter gesehen – jetzt sieht man beeindruckende Mutterschaft. Aber auch, was es mit einem Kind anrichten kann, das keinen Vater wie Mufasa hat. [...] Ich habe viel über das Matriarchat und Patriarchat bei Löwen gelernt, was am Anfang und Ende des Films wichtig wird. Aber Genaueres zu verraten, wäre ein Spoiler.
Diesmal passiert visuell deutlich mehr in den Gesichtern der Tiere als im ersten Teil. Wie viel wurde über diese Veränderung diskutiert, wo die Grenze zwischen fotorealistischen Bildern und menschlichen Gesichtsausdrücken verlaufen sollte?
Als ich zu Mufasa stieß, ging es in den allerersten Tests genau darum: wie weit wir gehen wollten und wie weit nicht. Es gibt einen Punkt, an dem die Gesichtsmuskeln der Tiere sich physisch nicht weiter verziehen können. Aber ich hatte das Gefühl, dass ein Teil der Ausdrucksmöglichkeiten im ersten Teil noch nicht voll genutzt worden war. Also haben wir das erforscht.
All die Animator:innen aus dem 2019-Film waren wieder dabei und konnten auf ihren Modellen aufbauen. Die Löwen im Vorgängerfilm besaßen sehr Natur-basierte, realistische Gesichter. Aber so ein Film wird eben doch für Menschen gemacht. Also mussten wir die richtige Mischung finden, um die Tiergesichter zwar nicht menschlich zu gestalten, aber ihre Emotionen trotzdem menschlich lesbar zu machen.
Erinnerst du dich an eine konkrete Szene in Mufasa, in der ihr zurückrudern musstet, weil ihr es mit einem Gesichtsausdruck übertrieben hattet?
Ja! Einmal passierte beispielsweise in einer Höhlen-Szene mit Timon und Pumbaa etwas Witziges und ich wusste sofort, dass das auch [Simbas Tochter] Kiara lustig fände. Ich ließ mein Team also ein wirklich großes Lächeln auf ihrem Gesicht erschaffen. Aber nach mehreren Monaten waren wir uns einig, dass wir zu weit gegangen waren: Es war zu extrem und lächerlich. Es war die Art und Weise, wie ein Mensch lächeln würde, kein Löwenkind. Also mussten wir es zurückschrauben.
[...] Ich habe mir zu Beginn dieses Films einen Hund angeschafft und der sieht manchmal wie Kiara und manchmal wie Mufasa aus. Auch er hat ein sehr einfaches Lächeln.
Weißt du schon, was für dich als Filmemacher nach Mufasa ansteht?
Schlaf. Wenn ich nach Hause komme, muss ich dringend schlafen.