Ich, Stardust Memories & Qualen des Ruhms

30.09.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Sandy Bates und seine Verehrer
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Sandy Bates und seine Verehrer
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Woody Allen versorgt seine Fans nahezu jährlich mit einem neuen Film. Viele seiner Meisterwerke können getrost das Prädikat Klassiker tragen. Mein Herz gehört jedoch dem schwer unterschätzten, reflexiven Meisterwerk Stardust Memories.

Ein Filmregisseur befindet sich in einer Schaffenskrise. Er verlässt seine turbulente Heimatmetropole und zieht sich in die Provinz zurück, um in Ruhe Inspiration für sein nächstes Projekt zu finden. Stattdessen ist er den hohen Erwartungen seiner Fans und Financiers ausgesetzt, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgen. Dazu sieht er sich von seinen zahlreichen Affären und Frauengeschichten in die Enge gedrängt. Die Ausflucht gelingt einzig durch Tagträume. Wer nun einen eleganten Marcello Mastroianni im maßgeschneiderten Anzug vor seinem geistigen Auge sieht, hat völlig Recht. Der hier beschriebene Protagonist trägt jedoch Hornbrille und schlackernde Jeans. Die gleiche Ausgangssituation wie in Fellinis Achteinhalb liegt auch Woody Allens Stardust Memories zu Grunde. Und Mr. Allen gibt sich in der Rolle des zweifelnden Regisseurs Sandy Bates selbst die Ehre.

Bei den amerikanischen Kritikern fiel Stardust Memories bei seiner Veröffentlichung 1980 nahezu geschlossen durch, Roger Ebert nannte ihn eine Enttäuschung. Woody Allen war zu diesem Zeitpunkt bereits ein überaus erfolgreicher, oscarprämierter Regisseur, der nach Filmen wie Der Stadtneurotiker und Manhattan - ebenso wie die Figur Sandy Bates - den Erwartungsdruck der Öffentlichkeit schwer auf seinen Schultern spürte. In Europa hingegen wurde das als pessimistisch und komplex eingestufte Drama deutlich positiver aufgenommen. Im Laufe der Zeit gewann der Film an Beachtung und erfuhr eine Neubewertung. Diese Tendenz kann ich nur unterstützen und schenke mein Herz für Klassiker daher Stardust Memories. 

Warum ich Stardust Memories mein Herz schenke 

Okay, ich gestehe es gleich vorneweg und gebe mich als großer Verehrer von Allens Filmen zu erkennen. Obwohl ich nahezu alle von diesen gesehen habe, nimmt Stardust Memories eine Sonderrolle für mich ein. Warum? Stardust Memories ist eine Liebeserklärung an das Medium Film. Eine sarkastische, bissige Liebeserklärung, die sich nicht scheut, den Zuschauern einen vor den Latz zu knallen. Allen entschied sich, den Film in schwarz-weiß zu drehen. Den Kniff wendete er bereits ein Jahr zuvor in Manhattan an. Zum einen erinnert Stardust Memories so formal an seine Vorbilder der Filmgeschichte, zum anderen entsteht auf diese Weise aber auch ein Verfremdungseffekt für den Zuschauer. Meiner Meinung nach gewinnt der Film so zusätzlich an visueller Stärke, vor allem wenn Sandy Bates das Set seines Films-im-Film besucht und die geometrischen Formen der Baugerüste oder die Jahrmarkt-Kulisse dem Bild eine wunderbare Gliederung verleihen. Apropos Film-im-Film: Stardust Memories besteht aus einem komplexen Gewebe von Rückblenden, Ausschnitten aus fiktiven Filmen und Tagtraum-Sequenzen von Sandy Bates, die ein schwer zu entschlüsselndes Ganzes ergeben. Die Lieblingsthemen Allens tauchen natürlich auch auf: Existenzialismus, scheiternde Liebesbeziehungen und die Auseinandersetzung mit den Künsten. Und die Neurosen blühen in gewohnter Pracht.

Warum auch andere Stardust Memories ihr Herz schenken werden

Wer in der Filmgeschichte bewandert ist, wird sich über die vielen kleinen und größeren Zitat-Ostereier freuen, die überall in Stardust Memories zu finden sind. Sei es auf formaler Ebene, wenn Woody Allen zum Beispiel mit der albtraumhaften Anfangssequenz seinem Vorbild Ingmar Bergman ein kleines Denkmal setzt (auf welchen Film er genau anspielt, dürft ihr selbst herausfinden) oder durch den Kinobesuch von real existierenden Filmen wie Fahrraddiebe, de Sicas Meisterwerk des italienischen Neorealismus. Auch an seinem eigenen Werk bedient Woody Allen sich fleißig und wer die Spinnen-Szene in Der Stadtneurotiker genauso amüsant findet wie ich, wird sich auch in Stardust Memories ein Lächeln nicht verkneifen können. Die Dialoge, besonders in den Interviews, denen Bates sich stellen muss, sind pointiert und gewitzt. Auch die schauspielerische Leistung der Darsteller hat an dieser Stelle ein Lob verdient. Besonders Charlotte Rampling leistet in der Rolle der unsicheren, depressiven Schauspielerin Dorrie hervorragende Arbeit. Wem die Spielerei der narrativen Ebenen zu viel wird, dem sei gesagt: Die komödiantische Seite kommt nicht zu kurz, manche Szenen lassen Allens Vorliebe für Slaptstick-Einlagen à la Bananas kurz aufflackern - denn der zentrale Vorwurf von Sandy Bates' Fans lautet, er solle wieder lustigere Filme drehen.

Warum Stardust Memories die Jahrzehnte überdauern wird 

Stardust Memories ist eine Hommage - nicht nur an Federico Fellinis Meisterwerk Achteinhalb. Er ist eine Hommage an das Kino, das Filmemachen mit all seinen Tücken und Schattenseiten und an den Film als künstlerisches Produkt, das neben der Kreativität des Regisseurs auch den Regeln des Marktes und den Erwartungen der Fans unterworfen ist. Fellinis Achteinhalb wurde sein neunter Spielfilm. Und aus dem Werk über das persönliche Scheitern und die Krise des Regisseurs wurde einer seiner am meisten beachteten Filme überhaupt. Woody Allen verleiht dem ganzen eine satirische Note. Er begann seine Karriere mit Slapstick und Komödien. Sandy Bates Fans fordern von ihm ein, er solle die ernsten Dramen sein lassen und zu den frühen, witzigen Formen zurückkehren. Woody Allen beweist seit nunmehr vier Jahrzehnten, dass er ein Meister beider Genres ist. Stardust Memories unterstreicht das allemal.

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