Die Abspannszene von Black Widow ist ein Marvel-Tiefpunkt – und ein schlechtes Zeichen für die Zukunft des MCU

13.07.2021 - 13:00 UhrVor 3 Jahren aktualisiert
Black WidowDisney / Marvel Studios
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Die Post-Credit-Szene von Black Widow ist ein Unfall, der sich aus mehreren typischen Marvel-Schwachstellen ergibt. Das MCU hat vergessen, was es stark macht.

Abspann-Szenen haben Marvel-Filme noch nie besser gemacht. Inzwischen machen sie sie sogar schlechter. Black Widow ist der letzte MCU-Film mit Scarlett Johansson und läuft seit Donnerstag im Kino und bei Disney+ *. Er ist ein Abschiedsfilm, ein Film mit einem richtigen Schlusspunkt, wie es im MCU selten vorkommt.

Diesen Marvel-Abschied hat Scarlett Johannsson nicht verdient

Nach 13 Jahren des MCU-Bestehens schließen sich immer mehr Zyklen und kein Teil einer Geschichte erfordert mehr erzählerisches Fein- und Fingerspitzengefühl als das Ende. Ausgerechnet hier offenbart das MCU eine bemerkenswerte Grobschlächtigkeit. Black Widow klammert sich an eine überstrapazierte Tradition – die Abspannszene – und zerstört sie mit einem dummen Witz.

Es folgen Spoiler zu Black Widow: Beim Thema "Abschied von Natasha Romanoff" müssen wir etwas früher anfangen. Das MCU hat den Abschluss dieser Figur nämlich schon vor zwei Jahren mehr oder weniger übergangen. In der Mitte von Avengers 4: Endgame opfert sich Natasha, die verbliebenen Held:innen schniefen ein bisschen und schon geht es weiter. Die große Beerdigung am Ende des Epos gilt nur Tony Stark.

Die Black Widow-Meinung im Video:

Black Widow: Würdiger Abschied oder Enttäuschung? | Review
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Enttäuschend, dass eins der dienstältesten Avengers-Mitglieder so verabschiedet wird? Auf jeden Fall! Aber auf Black Widow beziehungsweise Natasha wartete ja noch der erste große (und viel zu späte) Solo-Film, also: alles cool. Oder?

Nun ja. Die letzte Black Widow-Szene vor dem Abspann verbringt Natasha mit einem Mann, der im MCU und in ihrem Leben keine große Rolle spielte. Der Dialog, den sie führen, bettet die Szene eher pflichtgemäß in die Phase vor Infinity War ein. Dann fliegt sie mit einem dieser Marvel-typischen Senkrechtstarter davon. Anders als große Teile des Films zuvor, interessiert sich die Szene nicht für Natasha als Mensch, sondern für ihre Funktion als Rädchen im MCU-Uhrwerk.

So richtig vollständig fühlt sich das alles nicht an, es fehlt eine Art Siegel unter der Reise, ein echter emotionaler Absprung. Dieser Absprung kommt, aber erst nach 10 Minuten Credits. Die Post-Credit-Szene ist das eigentliche Ende, der eigentliche Abschied von Natasha. Und der wurde so richtig in den Sand gesetzt.

Black Widow tappt in die Comedy-Falle des MCU und verdirbt so den Abschied

Wir springen ein paar Jahre in die Zukunft, der Krieg mit Thanos ist vorbei und Yelena (Florence Pugh) sucht das Grab ihrer toten Schwester auf. Hier soll sich der Kreis schließen. Fans, die seit Scarlett Johanssons erstem Auftritt im MCU in Iron Man 2 ihre Geschichte verfolgt haben, können hier nochmal zusammen mit einer anderen Figur trauern, die genau dasselbe fühlt.

Das hätte emotional sein können. Ein versteckter, aber sensibler Abschied dieser ikonischen Figur. Aber dann hat sich irgendjemand gedacht: Es wäre doch witzig, wenn sich in dieser Szene Julia Louis-Dreyfus als Valentina übertrieben laut die Nase schnäuzt.

Also wirklich nichts gegen Julia Louis-Dreyfus, aber erstens ist das nicht witzig und zweitens zweifle ich seit diesem Moment ernsthaft an den sonst so verlässlichen emotionalen Instinkten des MCU. Wo ist die Zurückhaltung aus dem Abspann nach Avengers: Endgame? Oder die große politische Geste von Black Panther?

Black Widow lacht auf dem Grab von Natasha Romanoff

Hat Marvel in den fast zwei Jahren seiner Abwesenheit Sentimentalität verlernt? Ich glaube, das Problem liegt in diesem Fall tiefer. Die Formelhaftigkeit des MCU wird häufig kritisiert und nicht immer zu Recht. Doch in diesem Fall macht sie die vielleicht wichtigste Szene in Black Widow kaputt.

Es ist das typische Marvel-Comedy-Muster: Ein Witz (das unpassende Schnäuzen aus dem Hintergrund) zerreißt einen Augenblick der Anspannung und des Schmerzes (der endgültige Abschied von Natasha). Die Verquickung von Humor, Emotionen und Action ist inzwischen in jede Film- und Serien-Auskopplung einprogrammiert. Ohne geht es nicht und das MCU lebt von dieser Verlässlichkeit.

Aber eine Stärke ist nur dann eine Stärke, wenn sie im richtigen Moment und mit dem rechten Maß eingesetzt wird. Wenn nicht, richtet sie sich gegen dich – wie bei einem Fußballer, der am Ball vorbeitritt und sich die Bänder reißt.

Warum die Abspannszene ein Tiefpunkt des MCU ist

Das MCU stellt in der Abspannszene den Witz über emotionale Aufrichtigkeit, die Andeutung von etwas Neuem über den Abschluss von etwas Altem. Ja, klar, es muss weitergehen, im MCU umso mehr. Aber das muss ja nicht zwangsläufig heißen, dass man nicht mal kurz innehalten kann. Also was hat die Autor:innen und MCU-Chef Kevin Feige da geritten?

Julia Louis-Dreyfus' Figur ist fester Bestandteil der MCU-Streaming-Strategie. Sie kam bereits in Falcon and The Winter Soldier vor, in der Abspannszene von Black Widow macht sie mehr oder weniger Werbung für die nächste große Marvel Serie: Hawkeye. Als größten Werbe-Schub, den eine Marvel-Serie auf Disney+ je erlebt hat, bewertet The Verge  die Sequenz. Sicher, so kann man das auch sehen: Das MCU als Maschine, die immer neue Serien und Filme hervorbringt und bei der jeder Film ein Werbespot für den nächsten ist.

Aber wo beginnt das Geschäft und wo darf Film auch einfach mal Film sein? Die Black Widow-Verantwortlichen haben hier leider jede Balance und vor allem die Bindung zum größten Kapital dieses Franchises verloren. Ich mag mich irren, aber was Avengers 4: Endgame zum zwischenzeitlich erfolgreichsten Film aller Zeiten gemacht hat, waren nicht die Actionszenen und auch nicht der Humor.

Es waren die Figuren und die mit großer Hingabe gewürdigten Endpunkte ihrer Reise. Wenn Marvel das nicht verstanden hat, hat dieses Franchise ein großes Problem mit seiner Identität. Und das haben weder Scarlett Johanssons Black Widow noch wir als Fans verdient.

In der aktuellen Folge des FILMSTARTS-Podcasts Leinwandliebe wird die große Kino-Rückkehr von Natasha Romanoff alias Black Widow besprochen. Warum dieser Marvel-Film vielleicht etwas zu spät kommt, aber zu den lustigsten im MCU gehört, erfahrt ihr hier:

Leinwandliebe  ist der wöchentliche Kino- und Film-Podcast unserer Kollegen und Kolleginnen von FILMSTARTS.

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Wart ihr mit dem Abtritt von Scarlett Johansson zufrieden?

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