Der Wolf of Wall Street in dir

19.03.2016 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
There's no nobility in poverty.Universal Pictures / moviepilot
K
3
15
Immer geht es um Aufstieg und Fall, um Exzess und den Preis, der dafür bezahlt werden will. Aber stimmt das? Muss alles, was aufsteigt, auch wieder herunterkommen? Nicht überall kann die Moralkeule wie ein Damoklesschwert hängen - denn, mal ehrlich: Wären wir nicht alle gern ein Wolf?

In dieser Rubrik stellen wir euch jeden Samstag einen Kommentar vor, der irgendwo auf moviepilot die Leser begeisterte - so sehr, dass er uns für den Kommentar der Woche vorgeschlagen wurde. Solltet ihr unter einer News, einem Film, einer Serie, ganz gleich wo, über so einen Kommentar stolpern, sei es die Wahrheit in wenigen Worten, oder die Begeisterung die sich nicht in ein paar Zeilen einfangen ließ - lasst es uns wissen!

Der Kommentar der Woche
Im Kommentar von Tautou zu The Wolf of Wall Street geht es um mehr als darum, was für einen großartigen Film Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio da abgeliefert haben. Es geht um das Mehr, das uns zum Träumen bringt, das viel seltener gezeigt wird. Und um das Mehr, das jeder von uns, wenn auch nur heimlich, gerne hätte...

"The Wolf of Wall Street" ist ein weiteres trauriges Beispiel für ungebändigtes Streben nach Reichtum. Das Leben ist dann eine Fete bis zur Sperrstunde. Wenn aber alles zwei Seiten hat im Leben, wieso sehen wir nie einen Film über die andere Seite der Medaille? Über die Fete ohne Sperrstunde. Denn ich wäre gerne reich. Ich schwömme gerne in einem Meer aus Münzen wie ein Herr Dagobert. Eintauchen, auftauchen, Luft holen, untertauchen, träumen.
Ich hätte meine Koffer gepackt und wäre losgezogen mit ein paar Billets, hätte in irgendeinem Appartement in irgendeiner Stadt irgendwann genächtigt und wäre so lange an diesem Fleck geblieben, bis ich wieder Sehnsucht verspürt hätte. Abends säße ich bestimmt an verrückten Orten, wo buntes Treiben herrscht und volle Gläser klirren, wo Füße sich zur Musik bewegen und Frauen dich zum Tanz verführen. Dort, wo man Menschen am besten kennenlernt: In Pubs und Bars und Kneipen (Gäste schütten dir sofort ihr Herz aus, wenn du ihnen ein gutes Bier einschenkst). Ich würde mir ihre Geschichten anhören, schriebe vielleicht ein Buch über die Unglücklichen, weil nur ihre Erzählungen die lehrreichen sind – die Zeit hätte ich ja, ach, wie schön! Und dazwischen, in den Schreibpausen, am Fenster stehen, am Kaffee nippend und wippend darüber, dass alles so ist, wie es ist, und nicht anders. So sorgenlos. So zeitlos. Zeit wäre für mich keine Währung mehr. Nur das Während. Und woanders ist der Wind, der mir den Strandsand in die Augen weht oder die Fingerspitzen im Winterwunsch erfrieren lässt, damit ich weiß, dass ich nicht träume. Nicht träume, dass ich glücklich bin.
Wir funktionieren gut in peer-groups, wir sind ein soziales Teilchen im Tausend-Teile- Puzzlebild. Aber wir sind nie das große Ganze selbst. Manchmal empfinden wir unser Glück eigentlich nur darin, dass wir anderen mehr von Nutzen sind als uns selbst. Das Gefühl der Endlichkeit. Unser Selbst erblüht vollkommen erst in der Umarmung des Reichtums, mit dem Rückenwind der erfüllten Wünsche. Das Gefühl der Unendlichkeit. Denn dann, dann kann man ihn drehen, Rubiks Würfel, mit den Trillionen Möglichkeiten auf seinen Schienen:

[leben/aufwachen/essen/lieben/zelten/lachen/reisen/schreiben/...]
[Alaska/Tallahassee/Peru/...]
[heute/morgen/.../ewig]

Jede Kombination ist die richtige Lösung. Ich könnte dort sein, wo die Welt ein bisschen besser ist. Wo ich mich homeward bound fühle. Ich könnte endlos auf den Highways fahren im Cabrio unter der Sonne glühender Schein und dabei Musik hören. Und laut mitsingen. "This is first day of my life. I’m glad I didn’t die before I met you."
Ich würde Gutes tun! Was ist denn so erquickend fürs Gemüt wie das Gefühl, die Welt retten zu können? Ich könnte eine tolle deutsche Serie produzieren. Ich könnte bei moviepilot einsteigen und Klickstrecken verbieten. Und Trier bekäme ein "Stanley Kubrick"-Museum. Ich wäre nicht mehr der Konjunktiv einer Wohltat.
Doch Geld mache nicht glücklich, sagen sie immer, die klugen Weisen. Doch haben sie noch nie davon gekostet, wage ich zu wissen, und eigentlich wollen sie sich nur trösten. Trösten, dass es nicht anders ist. Sie sind höchstens die klugen Waisen des Glücks.
Vielleicht haben sie ja recht. Vielleicht wäre ich ja irgendwann allein, hätte den Durst aufs Leben mit der Gier nach Glück gestillt. Zumindest aber könnte ich als Zeuge am hellen Lebensende im zitternden Glanz der letzten Kerze durch Alters müder Hände schreiben: Ich war frei.

Den Originalkommentar findet ihr übrigens hier.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News