Der neue Terrence Malick-Film ist fast so gut wie Der schmale Grat

20.05.2019 - 14:00 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Valerie Pachner und August Diehl in Ein verborgenes Leben
Pandora Filmverleih
Valerie Pachner und August Diehl in Ein verborgenes Leben
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Die wahre Geschichte eines Kriegsdienstverweigerers unter Hitler wird in Terrence Malicks Ein verborgenes Leben erzählt. So zugänglich war Malick lange nicht mehr.

Nach wenigen Minuten fühlte ich mich wie damals bei Der schmale Grat. August Diehl und Valerie Pachner gehen als Bauern in den Bergen ihrem Tagwerk nach. Ihre Eheringe glänzen zwischen der dunklen Erde des Feldes. Hymnische Streicher begleiten sie ganz so, wie wir es aus den Filmen von Terrence Malick gewohnt sind.

Wer Malicks filmischen Markenzeichen überdrüssig ist, wird durch Ein verborgenes Leben wohl kaum eines Besseren belehrt. Die suchende Kamera, die den Alltag der Figuren wie ein neugieriger Geist beobachtet, findet sich in der wahren Geschichte eines Kriegsdienstverweigerers genauso wie das gen Himmel geflüsterte "Father".

Nachdem Malicks letzte Werke zwischen Gegenwarts-Fragment (Song to Song) und transzendenter Ekstase (Voyage of Time) schwankten, reduziert sein neuer Film viele Malick-Elemente auf das Wesentliche. Auf ein verborgenes Leben, um genau zu sein. So zugänglich wie in seinem Cannes-Beitrag war Malick seit Jahren, ja sogar Jahrzehnten nicht mehr.

Drei Dinge, die ihr über Ein verborgenes Leben wissen müsst:

  • Ein verborgenes Leben basiert auf der wahren Geschichte von Franz Jägerstätter, der von der katholischen Kirche selig gesprochen wurde.
  • Der Film zeigt die verstorbenen Michael Nyqvist und Bruno Ganz in ihren letzten Rollen.
  • Kameramann Jörg Widmer arbeitete vorher im deutschen TV, aber auch im Kamera-Department von Atomic Blonde, Song to Song und The Tree of Life.
  • Alle Infos zum Festival Cannes 2019 in der Übersicht.

August Diehl und Valerie Pachner strahlen in Ein verborgenes Leben

Die Zugänglichkeit allein sagt natürlich noch nichts über die Qualität von Ein verborgenes Leben aus. Andererseits fällt es mir bei Malick schwer, über Qualität zu urteilen. Seine Filme nach The Tree of Life ließen mich weitgehend unberührt zurück, was im Kontext meines Verhältnisses zu Malick ein schlimmes Urteil darstellt.

Ein verborgenes Leben

Bei Ein verborgenes Leben kamen mir nach wenigen Minuten die Tränen. Die Film-Eheleute August Diehl und Valerie Pachner strahlen eine Wärme und Liebe aus, die vielen von Malicks Verlorenen aus den letzten Jahren fehlt.

Rooney Maras Hin und Her zwischen Ryan Gosling und Michael Fassbender in Song to Song lag eine abstrakte Tragik zu Grunde, ebenso wie Christian Bales an Hollywood erkrankter Hauptfigur in Knight of Cups. Malicks Gespür für Explosionen der Intimität konnte das nicht aufwiegen.

Worum geht es in Ein verborgenes Leben?

In Ein verborgenes Leben löst das Konkrete die Abstraktion ab. Nach Der schmale Grat ist es ein weiterer Malick-Film vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs. Franz (August Diehl) und Franziska (Valerie Pachner) führen kein einfaches, aber ein gutes Leben mit ihren Kindern in den Bergen Österreichs.

Franz, ein erklärter Gegner der Nazis, durchläuft nach Kriegsausbruch die militärische Ausbildung. Den Eid auf Hitler verweigert er. Zunächst darf er unter einer Ausnahmeregelung nach Hause zurückkehren. Dort wird er von den Nachbarn wie ein Aussätziger behandelt.

Ein verborgenes Leben

Franz ringt mit sich und steht wiederholt vor der Frage: Was soll sein Widersinn bezwecken? Was soll das an der Welt ändern? Die Kamera ringt mit ihm, schaut herauf zu den Bergen, über die Wiesen und die Dielen des Hauses, überall könnte die Antwort lauern. Doch fällt sie zurück auf das Gesicht des tiefreligiösen Bauers.

Auf der anderen Seite der Berge, so suggeriert es der Einsatz von Archivmaterial, steht ihm mit Hitler das Böse gegenüber. "Der Antichrist", wie es einmal heißt. Aber wo ist Gott? Man stelle sich hier das flehende "Father" vor.

Das Böse zieht ein ins Paradies von Ein verborgenes Leben

Ein verborgenes Leben ähnelt Martin Scorseses Meisterwerk Silence, in dem Andrew Garfields christlicher Glaube in der feindlichen Fremde auf die Probe gestellt wird. Malicks Held jedoch ist zunächst eins mit der Natur, so weit es im Malick'schen Sinne möglich ist.

Er hat das, was die Helden aus Song to Song, Knight of Cups oder To the Wonder verloren oder nie besessen haben. Der Gärtner der Schöpfung führt ein Leben im Einklang und Malick stellt diese Harmonie in den ersten Minuten überwältigend klar dar. Franz' Zustand erinnert deshalb an die Bewohner von Guadalcanal aus Der Schmale Grat, in deren Mitte plötzlich Soldaten auftauchen.

Ein verborgenes Leben

Im Fall von Franz sind es SA-Männer und nationalsozialistische Nachbarn, die für den Krieg sammeln und hetzen (und gegen Einwanderer wettern). Das Dorf schikaniert die Familie, die nur eines fürchtet: den Brief mit der Einberufung.

In drei Stunden Laufzeit verwandelt das Böse Franz' Umgebung. Erst durch den Hass der Menschen, schließlich durch die Mauern eines Gefängnisses.

Ein verborgenes Leben zeigt den bodenständigen Malick

Gradlinig wird diese Geschichte erzählt, die in den Händen eines anderen Filmemachers zum konventionellen Historienfilm hätte verkommen können. Auch über Malick schwebt der Hauch der Konvention, unter anderem weil das deutschsprachige Personal einem aus so vielen schlechteren Filmen bekannt vorkommt. Die Aufnahmen falscher Babelsberg-Fassaden werden jedoch auf ein Minimum reduziert.

Umso lebendiger wirkt Ein verborgenes Leben, in dem die Montage mehr findet als sucht. Das kann von Song to Song nicht behauptet werden.

Wer nun den Weltraumerkunder Malick seinen liebsten nennt, auf den könnte die Bodenständigkeit von Ein verborgenes Leben wie ein Rückschritt wirken. Dabei wurzeln Malicks Reisen von der Neuen Welt in den Pazifik bis ins All in eben diesen Händen, die in Ein verborgenes Leben die Erde aufwühlen. Manchmal flehen sie um Antwort, manchmal vergraben sie einfach nur Kartoffeln.

Was haltet ihr von Terrence Malick?

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