Boris Karloff – Eine Ikone des frühen Horrorfilms

28.09.2011 - 08:50 Uhr
Boris Karloff als Frankensteins Monster
Universal Pictures
Boris Karloff als Frankensteins Monster
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Fluch oder Segen? Viele Schauspieler wurden durch eine Rolle weltberühmt, wurden immer wieder auf diesen einen Film reduziert, verzweifelten daran oder akzeptierten es einfach. Für einige mag es ein Fluch sein, für viele andere möglicherweise ein Segen. Denn eines steht fest: Mit dieser einen Rolle haben sie sich ihren Platz im Olymp der Filmgeschichte für alle Zeiten gesichert. Sie werden niemals in Vergessenheit geraten.

Der Beginn der Horrorfilm-Ära in Hollywood ist untrennbar mit dem Namen von Carl Laemmle verbunden, einem deutschen Immigranten, der 1912 die Universal-Studios gründete, in Kooperation mit seinem Sohn Carl Laemmle jr. zu Beginn der 30er Jahre mit sehr günstig produzierten Horrorfilmen den Grundstein des Genre legte und gleichzeitig zwei unbekannte Schauspieler zu Stars machte, die sich bislang in Nebenrollen und recht unbedeutenden Filmen verdingten. Der erste war Bela Lugosi, der zweite William Henry Pratt.

William wer? Vermutlich wird dieser Name den meisten nichts sagen, aber hinter diesem unscheinbaren Namen verbirgt sich niemand anderes als eine der größten Ikonen des frühen Horrorfilms, nämlich Boris Karloff (1887-1969). Den Namen Karloff, der angeblich auf slawische Vorfahren zurückging, legte sich der Schauspieler zu, weil er oftmals düstere, zwielichtige Charaktere verkörpern musste, was vor allem seiner Physiognomie geschuldet war. Karloff war nicht der attraktive Dandy, der die Frauenherzen im Sturm eroberte, sondern vielmehr der hagere, kantige, großgewachsene Handlanger des Hauptdarstellers oder der verdächtig wirkende Mann im Hintergrund, dem man ohne zu zögern sämtliche Schandtaten zutraute. Der Name Karloff klang hart, fremd, geheimnisumwittert, letztlich unterschwellig böse und unterstrich somit das Äußere nahezu perfekt. Für den noch unbekannten Schauspieler galt es, sich von der Masse abzuheben, Aufmerksamkeit zu erregen und sei es zunächst nur durch einen Namen, der Wiedererkennungswert besaß.

In den 20er Jahren spielte Boris Karloff zunächst einige unbedeutende Nebenrollen in ebenso unbedeutenden Filmen. Nebenbei verdingte er sich als LKW-Fahrer, da die kärglichen Filmgagen ein sorgenfreies Leben unmöglich machten. Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre sah sich auch die Filmindustrie gezwungen, drastische Einsparungen vorzunehmen und mit wenig Geld möglichst profitabel zu arbeiten. Das noch relativ junge Genre des Horrorfilms war hierfür geradezu prädestiniert, weil oftmals kostengünstig in Studiokulissen gearbeitet wurde und Stars nicht zwingend erforderlich waren, um das Publikum in die Lichtspielhäuser zu locken. Die Lust an der Angst ist ein Phänomen, das sich insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten größter Beliebtheit erfreut. Das Individuum steht einer Welt des Fortschritts, des Wandels, der gesellschaftlichen Umbrüche und ökonomischen Auswüchse entgegen, in der es seine Existenz bedroht sieht. Ein perfekter Nährboden für Urängste, die der Horrorfilm als Spiegelbild der Gesellschaft bedient.

Das Jahr 1931, der Tonfilm etablierte sich gerade, wurde zum Wendepunkt in der Karriere des mittlerweile fast 44-jährigen Karloff, der schon auf eine beachtliche Zahl von knapp 70 Filmen zurückblicken konnte. Nachdem er in Das Strafgesetzbuch unter der Regie von Howard Hawks in einer Nebenrolle überzeugen konnte, wurden Laemmle jr. und Regisseur James Whale auf ihn aufmerksam. Nach dem großen Erfolg von Dracula wagten sich die Universal-Studios an die nicht sonderlich werksgetreue Verfilmung von Mary Shelleys Schauerroman Frankenstein und ersannen, Karloff mit der Rolle des Monsters zu betrauen. Er war anfangs nur die zweite Wahl, weil sich der distinguierte, gebürtige Ungar Bela Lugosi nach dem überraschenden Kassenerfolg von Dracula zu Höherem als der Rolle des einfältigen und dazu noch stummen Monsters berufen fühlte. Karloff hingegen nahm die Rolle dankend an und traf damit beruflich die beste Entscheidung seines Lebens, wenngleich sein Name im Vorspann durch ein Fragezeichen ersetzt wurde und erst im Abspann Erwähnung fand.

Dennoch sollte bald jeder wissen, wer Karloff war. Wer heute an Frankenstein denkt und die Augen schließt, wird unweigerlich beim Gedanken an das Monster Boris Karloff vor Augen haben. Keiner der unzähligen Nachfolger prägte die Figur des Monsters so wie er. Karloff hauchte dem Wesen Charakter, Gefühl und mimische Nuanciertheit ein, was angesichts der starren Maske, die in stundenlanger Tortur unter den Händen des kongenialen Maskenbildners Jack Pierce tagtäglich entstand, eine Glanzleistung darstellt. Einerseits das emotionslose, gewalttätige Monster, das nur seinen ureigensten Trieben folgt, andererseits der aus Versatzstücken in die Welt geworfene Mensch mit der Unbedarftheit und den Ängsten eines Kindes. Zwei Seelen in einer Brust.

Bestimmte Szenen und Bilder des Films sind legendär und längst ein Stück Filmgeschichte: Der windschiefe Wachturm, Blitze, die die pechschwarze Nacht erleuchten, die Geburt des Monsters und dann der erste Auftritt von Karloff in voller Maske. Schwere Schritte nähern sich, die knarrende Holztüre springt auf und der Zuschauer blickt direkt auf einen im Türrahmen stehenden Hünen mit kantigem Schädel, Elektroden an beiden Seiten des Kopfes, hängenden Lidern und toten Augen, die eine gespenstische Kälte entfachen. Der Griff des Ungetüms nach dem Licht, nach dem Leben und die Verzweifelung in seinen Augen, nachdem Dr. Frankenstein die Dachluke wieder geschlossen hat. Die Flucht des Monsters, das vom Fritz, dem sadistischen Helfer des Doktors, gequält wurde und sich grausam an diesem rächt. Schließlich die unvermeidliche Konfrontation des Monsters mit seinem Mentor und das Schlussbild (zumindest in der lange in Deutschland gezeigten Fassung) der brennenden, in sich zusammenfallenden Mühle, die das Monster scheinbar unter sich begräbt. Beeinflusst vom Deutschen Expressionismus, schuf Regisseur Whale ein optisches und atmosphärisches Meisterwerk, durch das Boris Karloff praktisch über Nacht zum Genrestar avancierte.

In den folgenden Jahren drehte Karloff in rascher Folge unzählige weitere Filme. In Howard Hawks Klassiker Narbengesicht (1932) spielte er noch einmal einen Gangster, doch schon bald verschob sich der Fokus von Nebenrollen in Gangsterfilmen und Krimis zu Hauptrollen in Horrorfilmen. Wieder unter der Regie von James Whale, spielte er 1932 in Das Haus des Grauens und schließlich in Die Mumie von Karl Freund den Hohepriester Imhotep. Karloff brillierte erneut, seine stechenden Augen und seine sonore Stimme ließen das Publikum erschaudern. Es folgten der für damalige Verhältnisse außergewöhnlich sadistische Horrorfilm Die Maske des Fu Manchu und schließlich die Poe-Verfilmung Die schwarze Katze, in der Boris Karloff erstmals neben dem zweiten Horrorstar der Universal-Studios, Bela Lugosi, agierte und eine der besten Leistungen seiner Karriere abrief.

1935, vier Jahre nach Frankenstein, entstand mit Frankensteins Braut nicht nur die erste Fortsetzung eines Horrorfilms und gleichzeitig eine der besten Fortsetzungen der Filmgeschichte, sondern auch der für viele Kritiker ultimative Höhepunkt des frühen Horrorkinos. Noch verletzlicher in der Mimik, noch detaillierter in der Gestik, verkörperte Boris Karloff erneut das Monster. 1939 ließ sich Karloff, nach einer Reihe weiterer Horrorfilme , schließlich ein drittes und letztes Mal überreden, die Rolle des Monsters, diesmal in dem von der Kritik etwas verkannten Werk Frankensteins Sohn, zu spielen. In den 40er Jahren agierte Karloff in einer Reihe filmhistorisch eher unbedeutender B-Filme, von denen Bodysnatcher – Der Leichendieb (1945) aus dieser Ära noch der bekannteste sein dürfte. Am Theater lief es zu jener Zeit wesentlich besser und Karloff konnte seine schauspielerischen Fähigkeiten als Mörder in “Arsen und Spitzenhäubchen” entfalten und große Erfolge feiern. Im Kino geriet Karloff hingegen allmählich in Vergessenheit.

Erst zu Beginn der 60er Jahre und durch die Zusammenarbeit mit Jacques Tourneur und Roger Corman wurde wieder ein größeres Kinopublikum auf ihn aufmerksam. Karloff mimte an der Seite von Vincent Price, Jack Nicholson und Peter Lorre den bösen Zauberer Dr. Scarabus in Der Rabe – Das Duell der Zauberer (1963). Anschließend spielte er in der Gruselkomödie Ruhe sanft GmbH wieder mit Price und Lorre zusammen, ehe sich seine Karriere mit kruden Trashproduktionen wie Die Hexe des Grafen Dracula, in denen die Titel mehr versprachen als sie letztlich hielten, dem Ende zuneigte. 1968 lief Karloff, bereits stark gealtert und schwer krank, in Bewegliche Ziele von Peter Bogdanovich ein letztes Mal zur Hochform auf. Wenige Monate später, im Februar 1969, starb Boris Karloff im Alter von 81 Jahren. 42 Jahre ist dies nun her und doch verbindet man seinem Namen nach wie vor mit Frankensteins Monster, einer Ikone des Horrorfilms.

Einst sagte er über die Rolle in Frankenstein:
„Mein liebes altes Monster. Ich verdanke ihm alles. Er ist mein bester Freund.“
Mir bleibt nur zu sagen: „Mein lieber Boris. Das Horrorgenre verdankt dir alles. Du warst ein Pionier und wirst in den Herzen aller Filmfreunde stets einen Platz innehaben. Genauso wie im Olymp der Filmgeschichte.“


Vorschau: Von den Geschlechterrollen im Kriegsfilm handelt der Text, den ihr in der nächsten Woche zu lesen bekommt.


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