Alte Stile in neuen Filmen - Hollywood aufgepasst!

07.09.2011 - 08:50 Uhr
Shanghai - inspiriert vom Film Noir
Living Films
Shanghai - inspiriert vom Film Noir
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Verschiedene Epochalstile prägten zu allen Zeiten die Geschichte und Entwicklung des Mediums Film. Mehr denn je üben auch heute diese Stilrichtungen großen Einfluss auf moderne Produktionen aus.

Die Filmbranche schaut momentan gern in die Vergangenheit. Während Hollywood Jahr für Jahr immer mehr im Remake-Sumpf versinkt, führen uns viele kleine Produktionen eindrucksvoll vor Augen, dass sie von der Rückbesinnung auf vergangene Zeiten durchaus profitieren können. In der mittlerweile bald anderthalb Jahrhunderte währenden Filmgeschichte hatten wir das Vergnügen verschiedenster Genres, Meilensteine und Vordenker. Ganz besonders interessant waren aber zu jeder Zeit die verschiedenen Epochalstile wie der Deutsche Expressionismus, der Poetische Realismus oder der Film Noir, um nur einige zu nennen. Diese Strömungen mit dem Begriff eines Genres gleichzusetzen wäre falsch, denn es handelt sich eher um einen Verbund markanter Stilmerkmale während einer bestimmten Zeit, die über individuelle Züge eines Regisseurs hinausgehend in vielen Filmen erkennbar sind. In den letzten beiden Jahren kamen auffallend viele neue Streifen in die Kinos, die sich auf diese alten Traditionen rückbesinnen, sie zitieren oder neu interpretieren.

Femmes Fatales, Fabrikarbeiter und haufenweise Nebel
Ein nicht unbedingt als Epochalstil zu bezeichnender, jedoch auf keinen Fall zu unterschlagender Abschnitt der Filmgeschichte ist die Zeit des Stummfilms. Beispielsweise Charlie Chaplin – Klassiker wie Lichter der Großstadt erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit. Mit Einführung des Tons verschwanden die stummen Epen schnell von der Bildfläche, ihren Reiz haben sie jedoch nie verloren. Das erkannte glücklicherweise auch Michel Hazanavicius, der mit The Artist noch in diesem Jahr einen Stummfilm im ganz großen Stil abliefert.

Eine nächtliche Großstadt, prasselnder Regen, flackernde Laternen, menschliche Silhouetten, Männer mit Trenchcoat und Hut: Was klingt wie eine Szenerie aus dem Warner-Klassiker Der öffentliche Feind von William A. Wellman aus dem Jahre 1931 ist in Wirklichkeit stilprägendes Element im neuen Thriller Shanghai von Mikael Håfström. Li Gong in der Rolle der typischen Femme Fatale bringt den Agenten, gespielt von John Cusack aus der Fassung und wir kommen in den Genuss von haufenweise Schießereien.

In der normannischen Hafenstadt Le Havre ist es quasi per se neblig. Der poetische Realismus machte sich das zunutze, und erhob dunstige Hafenszenen zum Standardsetting. Das passte auch wunderbar zur gedrückten Stimmung, wenn Jean Gabin in jedem einzelnen Marcel Carné – Film wieder und wieder starb. Heute wabert der Dunst durch Le Havre von Aki Kaurismäki oder um Angèle und Tony von Alix Delaporte und erinnert damit an unvergessene Werke wie Hafen im Nebel oder Atalante.

We Want Sex ist kein empörter Aufschrei unterbefriedigter Ehefrauen sondern ein Film des britischen Regisseur Nigel Cole, der in seinen Filmen immer wieder auf die Traditionen des British Free Cinema zurückkommt, im Arbeitermilieu angesiedelt ist und sich mit Unzufriedenheit an der sozialen Situation beschäftigt. Auch An Education von Lone Scherfig interpretiert die alten Traditionen neu. Der typische Schauplatz Küche wird zum Esstisch der Familie, die Fabrik ist hier die Schule der Protagonistin Jenny, und der Pub sind die exklusiven Bars, in die sie von ihrem Angebeteten ausgeführt wird.

Postmodernes Durcheinander
Bei all meiner Freude über die Nostalgie in der zeitgenössischen Kinolandschaft frage ich mich: Wieso tritt der Blick in die Vergangenheit gerade jetzt so häufig auf? Handelt es sich dabei vielleicht schlicht und einfach um Zufall? Im Grunde startet schließlich alle Nase lang ein Film, der in seiner Aufmachung an längst vergangene Zeiten erinnert. Wo liegt die Besonderheit? Wir sind als Kinder der Postmoderne daran gewöhnt, dass in bunter Unregelmäßigkeit verschiedenste Farben, Formen, Stile, Ansätze, Kulturen und Ideen durcheinandergewürfelt werden wie nie zuvor. Die Vielfalt in der uns umgebenden Welt verweist direkt auf die Vielfalt an Lebensentwürfen, aus denen wir unsere ganz individuellen Kauzigkeiten wählen und kultivieren können. Ob wir abends am Tisch entscheiden, ob uns der Sinn nach Kartoffeln oder Couscous steht; wir als Architekten entscheiden, ob unser Gebäude nach Sechziger oder Nuller Jahre aussehen soll oder ob wir uns eben als Regisseure von der Nouvelle Vague oder doch lieber dem Expressionismus inspirieren lassen.

Die angedeuteten Beispiele stehen exemplarisch für einen erfolgreichen Blick in die Vergangenheit des Films, von dem Macher wie Konsumenten gleichermaßen profitieren. Ältere Semester freuen sich über das Wiederentdecken alter Bekannter, jüngere Generationen werden mit etwas Glück auf die maßgeblichen Klassiker der Filmhistorie aufmerksam. Moderne Geschichten verweben sich mit älteren Stilelementen und erschaffen im besten Falle etwas Neues.

Wenn so das einhundertsiebenundfünfzigste Remake überflüssig wird – um so besser. Hollywood, schneid dir davon ein Scheibchen ab.

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