Tenet ist so gut - Nolan sollte die Dialoge komplett rausschmeißen

03.09.2020 - 14:07 UhrVor 3 Jahren aktualisiert
Tenet mit John David WashingtonWarner Bros.
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Tenet soll nicht verstanden, sondern gefühlt werden. Dabei hat Christopher Nolan mit seinem Blockbuster den Beweis dafür abgeliefert, dass er zukünftig gleich auf alle Dialoge verzichten sollte.

Vieles aus dem Jahr 2020 werde ich im Nachhinein so gut wie möglich aus meinen Erinnerungen löschen wollen. Der neue Blockbuster von Christopher Nolan gehört aber nicht dazu. Das Gefühl, im Kino zu sitzen und plötzlich alleine von der Wucht des Prologs erschlagen zu werden, ist für mich auch zwei Wochen nach der ersten Tenet-Sichtung unvergessen geblieben.

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Blick hinter die Kulissen

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Nolans neuster Film wirkt wie eine Oase in der durch den Coronavirus ausgedörrten Kinolandschaft und ist gleichzeitig der perfekte Beweis dafür, warum der bequeme Streaming-Konsum zu Hause niemals das Erlebnis vor der großen Leinwand ersetzen wird.

Schaut hier den Trailer zu Tenet

Tenet - Trailer 2 (Deutsch) HD
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Tenet bringt das Kino buchstäblich zum Beben

Schon die ersten knapp 10 Minuten von Tenet bringen die faszinierende Wirkung des Films auf den Punkt. Ohne große Umschweife stürzt Nolan den Zuschauer mitten ins Geschehen, wenn bei einem Anschlag auf die Oper in Kiew die Hölle losbricht. Das Aufeinanderprallen von Terroristen und einem CIA-Einsatzkommando wird zum ohrenbetäubenden Inferno, bei dem vor allem der fantastische Score von Hans Zimmer-Ersatzkomponist Ludwig Göransson den schweißtreibenden Takt vorgibt.

Seit Jahren zeichnet sich das Kino von Nolan durch maßgenau durchkomponierte Szenen aus, in denen der Regisseur handgemachte Action in puren Blockbuster-Bombast verwandelt. Tenet stellt in dieser Hinsicht aber nochmal eine Steigerung dar und wird in vielen Passagen zum Frontalangriff auf die Sinne, dem nur das Ausmaß der großen Leinwand und Lautsprecher mit der nötigen Power gewachsen sind.

Von Kritikern wird dem Regisseur oftmals vorgeworfen, dass seine Filme mehr und mehr kalte, distanzierte Konstruktionen voller Figuren sind, die kaum wie gewöhnliche Menschen wirken. In Tenet treibt Nolan diesen Stil nach dem deutlich wärmeren Interstellar und dem ebenfalls stark emotional aufgeladenen Dunkirk noch radikaler auf die Spitze.

Die Hauptfigur dieses Films bekommt noch nicht mal einen Namen und wird fast schon augenzwinkernd nur als Protagonist bezeichnet, während ein Großteil der Dialoge nur dazu da ist, die Handlung zügig voranzutreiben. Der Sog, den Tenet dadurch erzeugt, stellt selbst im zielgerichteten Werk von Christopher Nolan nochmal eine Ausnahmeerscheinung dar.

Noch stärker als zuvor wirken die gesprochenen Sätze in Tenet mehr wie Ballast, den Nolan als Kompromiss ins Drehbuch schreiben musste, um seine Vision mit einem so gewaltigen Budget wie hier gut 200 Millionen Dollar finanziert zu bekommen. Mit diesem Film kommt er seiner Vorstellung eines puren, konzentrierten Blockbuster-Erlebnisses, das rein durch Bilder und Töne über den Zuschauer hinwegrollt, dafür nochmal näher.

Immer wieder habe ich mir beim Schauen von Tenet noch eine alternative Version vorgestellt, in der Nolan endgültig alle Dialoge über Bord wirft, um die ultimative Experimental-Blockbustererfahrung seiner Karriere zu schaffen.

Im Video gibt Yves seine umfassende Meinung zu Tenet ab

TENET: Besser als INCEPTION? Das taugt der neue Film von Christopher Nolan
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Nolan gestaltet Tenet als intensive Achterbahnfahrt

"Versuch nicht, es zu verstehen. Fühle es!" ist das entscheidende Zitat des Films, das in Kritiken immer wieder auf Tenet selbst angewendet wird. Es soll dazu dienen, sich vor dem komplexen Zeitprinzip in Sicherheit zu wiegen, bei dem Nolan diesmal Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft häufig in ein und derselben Einstellung darstellt.

Das Fühlen sollte man in Tenet aber wörtlich nehmen und sich ganz der spektakulären Aufmachung des Blockbusters hingeben, mit der der Regisseur das Kino selbst wortwörtlich zum Beben bringt. Während die Dialoge des Films durch die Tonmischung immer wieder undeutlich in den Hintergrund geraten, rückt der aggressiv treibende, absichtlich lauter abgemischte Score von Ludwig Göransson noch ohrenbetäubender in den Vordergrund.

Zusammen mit den wieder einmal hervorragenden Bildern von Kameramann Hoyte van Hoytema, dem Einsatz von handgemachter Action und dem für Nolan ungewohnt rastlosen Schnitt durch seine neue Cutterin Jennifer Lame werden die Set-Pieces von Tenet zu intensiven Ereignissen.

Passagen wie der anfängliche Sturm auf die Kiewer Oper, die Heist-Sequenz am Flughafen von Oslo, die Autobahnverfolgung in Tallinn oder das brachiale Finale in den sowjetischen Ruinen fühlen sich an wie Achterbahnfahrten, in die der Betrachter zusammen mit dem Protagonisten stürzt.

John David Washington und Robert Pattinson in Tenet

Durch Nolans Spiel mit der Zeit und die Musik, bei der die Wände und Sitze des Kinosaals zu vibrieren beginnen, ist Tenet aber nicht die Art von gemütlicher Achterbahnfahrt mit dem Sicherheitsbügel, sondern der Moment, in dem sich der Waggon auf dem höchsten Punkt der Schienen befindet und kurz darauf senkrecht in einen Looping stürzt.

Noch wochenlang werden die physikalischen Gesetze und komplizierten Zeitverflechtungen von Nolans Blockbuster zum Diskutieren anregen. Wirklich spektakulär wird Tenet aber vor allem durch diesen Effekt, mit dem der Regisseur ein weiteres Mal mit Nachdruck beweist, warum das Kino ein so wertvoller, nicht zu ersetzender Ort ist.

FILMSTARTS-Podcast zu Tenet

Unsere Kollegen von FILMSTARTS widmen sich dem neuen Mindfuck von Christopher Nolan. Keine Sorge: Große Spoiler gibt es in der Folge nicht (der erste Teil ist sogar komplett Spoiler-frei, anschließend folgen nur milde Spoiler).

Tenet ist der Film, auf dem derzeit die Hoffnungen der Kinobranche ruhen, nach der Corona-Pause wieder Zuschauer anzulocken. Ohne Spoiler kann verraten werden: Wer ihn schaut, hat anschließend garantiert Diskussionsbedarf.

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Hat euch Tenet im Kino auch so mitgerissen?

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