1990 - David Lynchs surreale Seifenoper Twin Peaks

03.12.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Twin Peaks
CBS
Twin Peaks
8
18
Twin Peaks war eine der ganz großen Kultserien der 1990er. Mit einem Blick zurück auf die surreale Krimi-Seifenoper des legendären David Lynch verabschiedet sich Markante Momente in die Weihnachtspause.

Wer auf einer Seite wie moviepilot böse spoilert, der bekommt zu recht schnell den Unmut der Community zu spüren. In weniger interaktiven Medien brauchten die Texter den geballten Zorn ihrer Leser noch nicht so sehr zu fürchten, und so schadete es weniger dem Sender als der Serie, als sich SAT1 im Jahre 1991 einen Spoiler der übelsten Sorte leistete. RTL strahlte die US-Serie Twin Peaks aus, und der Konkurrenzsender ließ es sich nicht nehmen, in seinem Videotext eiskalt den Mörder der jungen Laura Palmer zu verraten.

Eine surreale Krimi-Seifenoper in schwarz-rot
Während sich Twin Peaks in den USA großer Beliebtheit erfreute, stand der Erfolg der Mysteryserie hierzulande von Anfang an unter keinem guten Stern. Neben dem Faux-pas des Konkurrenten legte RTL die Serie auf einen Sendeplatz am Freitagabend um 21:15 Uhr – natürlich blieben die Einschaltquoten unterirdisch. Dabei hätte die surreale Krimi-Seifenoper etwas mehr Aufmerksamkeit durchaus verdient.

Denn konventionell war und ist an Twin Peaks im Grunde rein gar nichts, angefangen beim Regisseur. Für Idee und Drehbuch zeichnete neben Autor Mark Frost nämlich auch der legendäre David Lynch verantwortlich. Der amerikanische Autorenfilmer, der mit früheren Werken wie Eraserhead oder Blue Velvet bereits einige Kultfilme abgeliefert hatte, zauberte für seinen Ausflug ins Fernsehen einen rot-schwarzen Haufen übernatürlich anmutender Stilmittel aus seiner Trickkiste.

Etwas liegt in der Luft
Und so tummeln sich im Double R, dem Café der Kleinstadt Twin Peaks alles andere als 08/15-Figuren, essen Kirschkuchen und trinken „verdammt guten Kaffee“. Ob nun die Log-Lady, die ununterbrochen ihren äußerst kommunikativen Holzscheit umklammert oder der agoraphobische Gärtner – die verrückten Einwohner der abgelegenen Stadt machen es dem Ermittler Special Agent Dale Cooper, gespielt von Kyle MacLachlan, nicht gerade einfach. Und das obwohl er sich auf die Hilfe eines im Traum erscheinenden Riesen verlassen kann.

Wem es bei imaginären Riesen schon zu surreal wird, der sollte sich auf einiges gefasst machen, denn Cooper wundert sich schon bald auch nicht mehr, als er problemlos die Dimensionen wechselt und in übernatürlichen Räumen wie der Schwarzen Hütte landet. Um diesen bewusstseinserweiternden Ort besonders atmosphärisch zu gestalten, ließ David Lynch seine Darsteller ihre Texte rückwärts aufsagen und besondere Bewegungen einstudieren. Das Filmmaterial wurde invertiert abgespielt – et voilà – schon wirkte die Szenerie bedrohlicher und ließ den Zuschauer unter Umständen mit ganz realen Kopfschmerzen zurück.

Fire walk with Me
1992 sollte der Erfolg der Serie schließlich in einem Film fortgesetzt werden, und so wurde Twin Peaks: Der Film groß mit seinem Hauptdarsteller David Bowie beworben – der letztlich einen Auftritt von ganzen drei Minuten Länge verbuchen konnte. Auch viele Schauspieler der Serie wollten von dem Projekt nichts wissen, und die Kritiker schon gar nicht. Ein paar Jahre zuvor hatte Lynch für sein Road Movie Wild at Heart noch die Goldene Palme bekommen – jetzt wurde er in Cannes ausgebuht.

„Die 134 Filmminuten leiten einen künstlichen Hirntod ein, ein Effekt, der auch ganz einfach erzielt werden kann, wenn man leuchtende Lichter auf einem Weihnachtsbaum anstarrt“, urteilte Vincent Canby hämisch in der New York Times. Besonders einige deutsche Kritiker hielten das Werk aber doch für unterschätzt. Das Prequel, das die letzten Tage im Leben der Laura Palmer zeigte, baue Leitmotive der Serie wie das der Elektrizität oder der Gegenstände als Schnittstelle zwischen parallelen Welten weiter aus und kommentiere ironisch die melodramatischen Standarts des Fernsehens.

Zwar ebbte die Begeisterung um Twin Peaks mit dem etwas halbherzigen Ende der zweiten Staffel und dem Film merklich ab, trotzdem inspirierte die Serie viele Nachfolger im Mystery-Genre. Ab 1993 ermittelten Scully und Mulder in Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI neben ganz gewöhnlichen Mordfällen auch in Sachen ‚Monster of the Week‘, und die dramaturgischen Strukturen des TV-Klassikers lassen sich auch heute noch in Serien wie 24 wiederfinden. Eine Lehre für Serienfans gibt es noch obendrein: lieber nicht in den Videotext schauen.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1990 bewegte:
Drei Filmleute, die geboren sind
09. April 1990 – Kristen Stewart, glitzernde Vampirin aus Twilight – Bis(s) zum Morgengrauen
15. April 1990 – Emma Watson, Streberhexe Hermine aus Harry Potter und der Stein der Weisen
15. August 1990 – Jennifer Lawrence, jugendliche Kämpferin aus Die Tribute von Panem – The Hunger Games

Drei Filmleute, die gestorben sind
25. Januar 1990 – Ava Gardner, die schöne Tänzerin aus Die barfüßige Gräfin
15. April 1990 – Greta Garbo, melancholische Actrice aus Menschen im Hotel
01. Dezember 1990 – Sergio Corbucci, Regisseur von Leichen pflastern seinen Weg

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – Miss Daisy und ihr Chauffeur von Richard D. Zanuck und Lili Fini Zanuck
Goldene Palme – Wild at Heart von David Lynch
British Academy Film Award – Der Club der toten Dichter von Peter Weir

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Pretty Woman von Garry Marshall
Kuck mal, wer da spricht Von Amy Heckerling
Werner – Beinhart! von Niki List, Gerhard Hahn und Michael Schaack

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
11. Februar 1990 – Nelson Mandela wird freigelassen
08. Juli 1990 – die DFB-Elf wird zum dritten Mal Weltmeister
03. Oktober 1990 – die DDR tritt der Bundesrepublik Deutschland bei


Katrin Doerksen hat es zum Filmwissenschaftsstudium nach Mainz verschlagen. Dort sitzt sie nun also und wenn sie nicht studiert, schreibt sie trotzdem über die Geschichte des Films, und zwar in der Rubrik Markante Momente bei moviepilot. Über Themenwünsche, Anregungen oder Kritik freut sie sich immer. Wer wissen will, womit sie sich nebenbei noch beschäftigt, folge ihr bei facebook oder bei Twitter.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News