Cannes 2016 - Auf in den Festival-Trubel!

11.05.2016 - 08:55 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Cannes 2016: The Neon DemonKoch Media/24 Bilder
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Heute eröffnet Woody Allens Café Society die 69. Filmfestspiele in Cannes und ich darf euch zum Schmökern im moviepilot-Tagebuch direkt von der Croisette einladen.

Es regnet. Am Tag der Eröffnung der 69. Filmfestspiele in Cannes reißt es mich gegen 4 in der Früh aus dem Schlaf. Es trommelt, plätschert und dröhnt auf die umgebenden Dächer und für eine Sekunde glaube ich, Cliff Martinez wurde als Komponist meines Lebens engagiert. Es regnet in Cannes und worüber in den letzten Tagen furchtvoll gemunkelt wurde, das lässt sich nun mit eigenen Augen bestaunen. Traurig-gräuliche Wolken haben den Wetterbericht in Beschlag genommen und die Realität kommt dem nach. Schon am Vortag blickte der Himmel düster auf das Festival-Palais herab, sodass die in fröhliches Gelb getauchte Dachterasse aus Die Verachtung auf dem diesjährigen Poster sich direkt im Unheil verlief. Vor diesem Hintergrund bietet sich der Eröffnungsfilm als genialische Zufallsprogrammierung an: Woody Allen entführt uns heute in Café Society schließlich nach Los Angeles und nach diesem regnerischen Erwachen lasse ich mich nicht zweimal bitten.

Mehr: Cannes 2016 - The Nice Guys & The BFG im Programm

Zum sage und schreibe 15. Mal ist Woody Allen also in Cannes vertreten, diesmal mit Jesse Eisenberg, Kristen Stewart und Steve Carell vor der Kamera. Dass die Geschichte aus dem Hollywood der 30er Jahre im Gegensatz zum letztjährigen Irrational Man das Festival eröffnet, interpretieren manche schon als Hinweis, es handele sich um einen der sehenswerteren Beiträge des unermüdlichen New Yorkers. Wobei die selbstzufrieden hervorgestreckte Wampe von Joaquin Phoenix sicherlich zu den Höhepunkten des Körperkinos der Marke Cannes 2015 zählte. Was wird Jesse Eisenberg dem entgegensetzen? Viel gespannter bin ich allerdings auf den anderen Kristen Stewart-Film im Programm, Personal Shopper von Olivier Assayas. Mit dem Franzosen hatte sie bereits in Die Wolken von Sils Maria Wetterphänomene beobachtet und gewann dafür sogar einen César als Beste Nebendarstellein, seltene Ehre für einen amerikanische Schauspielerin im Land Godards und Truffauts.

Letztes Jahr wurde von vielen Kritikern das große Meisterwerk im Wettbewerb vermisst, Filme, die die schreibende Zunft spalten, die den Lippen der Besucher nach der Premiere nicht mehr entkommen (was ekliger klingt, als es gemeint war). Das deutet auch ein antiklimaktisch durchschnittlicher Palmengewinner wie Dämonen und Wunder - Dheepan an, doch fallen dabei großartige Werke wie Carol und The Assassin unter den Tisch (bzw. von der Zunge). Cannes 2016 allerdings protzt, zumindest den Namen nach: Pedro Almodóvar stellt uns Julieta vor. Sean Penn sucht The Last Face und die Papazazzi sicher jede Gelegenheit, um ihn mit Charlize Theron zu fotografieren. Nicolas Winding Refn entfesselt The Neon Demon, nachdem Only God Forgives eines der lautesten Buh-Konzerte der jüngeren Cannes-Geschichte zuteil wurde. Seinem US-Ausflug in Stoker zum Trotz begibt sich Park Chan-wook in The Handmaiden in die südkoreanische Vergangenheit, um den Roman einer Waliserin zu verfilmen. Überhaupt bietet das Festival in diesem Jahr eine vielversprechende Mischung aus aufsteigenden Talenten und Filmemachern in jenen Sphären, in denen nur eine Cannes-Premiere in Frage kommt. Für jeden Jim Jarmusch (Paterson) gibt es einen Jeff Nichols (Midnight Special). Jedem Paul Verhoeven (Elle) steht eine Andrea Arnold (American Honey) gegenüber, jedem Steven Spielberg (BFG - Big Friendly Giant) ein Shane Black (The Nice Guys).

Xavier Dolan schickt Nathalie Baye, Vincent Cassel, Marion Cotillard und Léa Seydoux zur Eroberung der Palme vor und nennt seinen Film auch noch Einfach das Ende der Welt. Ein Tiefstapler wird aus Dolan in diesem Leben nicht mehr. Ob Jury-Präsident George Miller (Mad Max: Fury Road) diesen Willen zur Großtat belohnt? Demgegenüber stehen Jean-Pierre Dardenne und Luc Dardenne (The Unknown Girl), deren Platz unter den Favoriten für die Goldene Palme jedes Mal gesetzt ist - und das wohlbegründet. Mit dem einzigen deutschen Beitrag in der offiziellen Auswahl hat es Maren Ade mit Toni Erdmann in den Wettbewerb geschafft, ihr erster Film seit Alle Anderen vor sieben Jahren und mit einem riesigen Poster nahe des Palais' prominent und vielversprechend vertreten.

Wenn hier schon in Nationen argumentiert wird (Was macht eigentlich China?), dann lässt sich abgesehen von den mehrfach vertretenen Rumänen die Präsenz von Südkorea nicht verschweigen. Neben Park Chan-wook erfreut hier vor allem, dass The Chaser-Regisseur Na Hong-jin mit Goksung endlich einen Nachfolger von The Yellow Sea zeigt, wenn auch außerhalb der Konkurrenz. In den Midnight Screenings können sich Besucher indes mit einer Zombie-Epidemie in Train to Busan die Nacht um die Ohren schlagen. Überhaupt scheint Asien im Programm des Festivals und der parallel laufenden Veranstaltungen wie der Critics Week und der Directors' Fortnight stark vertreten zu sein. Das fehlende Bild-Regisseur Rithy Panh spürt in Exil beispielsweise seiner Kindheit nach und Anurag Kashyap (Gangs of Wasseypur) beschäftigt sich im dem wahnsinnig anziehend aussehenden Psycho Raman mit einem echten Serienkiller, der in Indien sein Unwesen trieb.

Nun kämpft sich Tageslicht durch die dichte Wolkendecke, die Bordsteine haben ein paar Minuten, vielleicht sogar Stunden, um zu trocknen. Gleich geht es zum Frühstück, dann in die Schlange und dann in den ersten Film des Festivals. Die Furcht vor Anschlägen begleitet diese 69. Internationalen Filmfestspiele von Cannes, Sicherheitsübungen im Vorfeld suggerieren, man sei auf alles vorbereitet. Wenn man die vielen freundlichen Gesichter der Festivalmitarbeiter sieht, die Akkreditierungen im Akkord herausgeben, den Weg zur richtigen Schlange weisen und manchmal sogar ein paar Brocken Englisch sprechen, dann will man, wenn nicht glauben, so doch wenigstens hoffen. Dass alles rund läuft. Auf viele Entdeckungen. Auf ein, zwei Meisterwerke. Und vielleicht einen Sonnenstrahl hier und da.

Meine 10 am meisten erwarteten Filme in Cannes 2016:

BFG - Big Friendly Giant
Goksung
Psycho Raman
The Transfiguration
Personal Shopper
Loving
The Unknown Girl
Toni Erdmann
Elle
Train to Busan

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