Zum 75. Geburtstag des Filmemachers Dario Argento

Dario Argento bei den Dreharbeiten zu Dracula 3D
Koch Media
Dario Argento bei den Dreharbeiten zu Dracula 3D
07.09.2015 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Er entwickelte die Geschichte zum Westernklassiker Spiel mir das Lied vom Tod und verhalf dem italienischen Horrorkino mit Filmen wie Suspiria oder Profondo Rosso zu internationalem Ruhm. Jetzt feiert Dario Argento seinen 75. Geburtstag.

Viele Bilder haben sich mir aus den Arbeiten des italienischen Filmemachers Dario Argento eingebrannt. Der schockierende Anblick eines verunstalteten Jungen am Ende von Phenomena (1985), der Jennifer Connelly ebenso wie das Publikum gründlich um Fassung ringen lässt. Die mit einer speziellen Vorrichtung durchgeführten Enthauptungen in Aura - Trauma (1993), die das Töten von Menschen zur technisch einwandfreien Kunst erheben. Oder auch das Image einer eingemauerten Frauenleiche in Two Evil Eyes (1990), an deren verwesten Überresten sich ein nicht weniger entstelltes Katzenbaby frei nach Edgar Allan Poe satt gefressen hat.

Bereits auf einer rein affektiven Ebene beunruhigen solche und andere Momente des hierzulande seit jeher unzureichend gewürdigten Regisseurs, Drehbuchautors, Produzenten und ehemaligen Filmkritikers Dario Argento. Und wenn man erst einmal beginnt, sich in dessen albtraumhaften filmischen Gemälden auf ähnliche Art zu verlieren, wie es der von seiner Tochter Asia Argento gespielten Protagonistin aus dem späten Meisterwerk Das Stendhal Syndrom (1996) widerfährt, gibt es kein Entkommen mehr vor ihrer grauenvollen Schönheit.

Keines dieser Bilder allerdings beunruhigte mich so nachhaltig wie das einer jungen gefesselten Opernsängerin, der ein sadomasochistischer Serienkiller den Mund verbindet und mit Nadeln versetzte Klebestreifen unter die Augenlider klebt – sie also weder vor Angst schreien noch wegschauen darf. Gezwungen, des wahnsinnigen Mannes mörderische Rituale aus nächster, schnell auch blutbesudelter Nähe zu beobachten, wird es der Frau unmöglich gemacht, ihren Blick vom Terror in der Oper (1987) abzuwenden.

Kino des Hinsehenmüssens: Radikal verbildlichte Komplizenschaft in Opera (1987).


Als sinistres Sinnbild der eigentlich widersprüchlichen Lust am Horrorfilm und seiner Komplizenschaft mit dem Publikum ist dieser – den vergleichsweise harmlosen Ludovico-Versuch aus Uhrwerk Orange in Erinnerung rufende – Einfall von hohem Reiz. Doch Dario Argento repräsentiert in ihm auch das Kino schlechthin: Unsere Aufgeschlossenheit gegenüber filmischen Erfahrungen stellt er nicht nur auf die Probe, sondern knüpft sie an geradezu bestialische Bedingungen. Sein Kino ist ein Kino des Hinsehenmüssens – eine ungeheuerliche Herausforderung, verschlungen in Anmut und Ungestaltem.

Ästhetisch haben die Filme von Dario Argento ihre Genres und Genrespielarten geprägt wie nur wenige andere. Dem italienischen Thriller, genannt Giallo, verhalf er neben Mario Bava zu entscheidender künstlerischer Ausdrucksform, und der gleichfalls literarisch geschulte Gothic-Horror nahm unter seiner Regie buchstäblich infernalische Ausmaße an. Weltweit vergingen sich Zensoren an den missverstandenen Bilderwelten dieses Mannes, dessen Filme vor allem in Deutschland verstümmelt, indiziert oder schließlich ganz aus dem Verkehr gezogen wurden.

Die zumindest im Original durch ihre jeweils "tierischen" Titel miteinander verbundenen gialli Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe (1970), Die neunschwänzige Katze (1971) und Vier Fliegen auf grauem Samt (1971) veranschaulichen sowohl die bild- als auch erzählästhetischen Fertigkeiten des damals noch am Beginn seiner Karriere stehenden Filmemachers. Und ganz absolut gesprochen: Es gibt ein europäisches Horrorkino vor – und eines nach Suspiria (1977), jenem ersten Teil der von unwägbaren Hexenkräften handelnden Drei-Mütter-Trilogie, die Dario Argento mit Horror Infernal (1980) und The Mother of Tears (2007) sehr unterschiedlich fortsetzte.

Heldinnen und Helden seiner Schauergeschichten entstammen dabei oft künstlerischen oder kunstnahen Milieus. Sie sind Musiker und Tänzer, Schriftsteller und Journalisten, hobbymäßige und tatsächliche Detektive. Dario Argento lässt sie durch labyrinthische Bilder wandeln, deren gestalterische Geschicke mitunter selbst zur tödlichen Verlockung werden. Um den Mord an einer Kunstsammlerin aufzuklären, begibt sich David Hemmings in Profondo Rosso - Die Farbe des Todes (1975) auf die Suche nach einer Zeichnung, bemerkt aber nicht, dass er den Täter längst schon von einem Spiegelbild her kennt, das er zuvor fälschlicherweise für ein Gemälde hielt.

Versicherung des Selbst: David Hemmings in Profondo Rosso (1975).


Die gemeinhin geächteten Insignien und krassen Erkennungszeichen des Splatterfilms, ausgespielt brutale Penetrationen des menschlichen Körpers also, verbinden sich bei Dario Argento mit Echos vermeintlicher Hochkultur: Das Grand-Guignol-Blut tropft in Profondo Rosso auf eine nach dem Vorbild von Edward Hoppers Nighthawks entworfene Bar herab, die metaphysischen Schrecken in Suspiria konzentrieren sich auf eine unmöglich verwinkelte Tanzschule im Stile M. C. Eschers.

Den Mörderinnen und Mördern ergeht es jedoch kaum anders (für eine gender- bzw. queertheoretische Beschäftigung mit diesen überwiegend vulgärpsychologisch gedachten Antagonisten empfehle ich Ivo Ritzers Essay "Kool Killers" in der Argento-Monografie Anatomie der Angst : "In Argentos Gialli werden Grenzen des Geschlechts nicht affirmiert, sie werden signifiziert"). Obwohl sie die Handlungen der Filme insofern aktiver mitgestalten, als wesentliche Geschehnisse durch ihre Taten in Bewegung versetzt und auch in Bewegung gehalten werden, stellen ihnen Dario Argentos fiebrige Bilderreigen oft folgenschwere Fallen.

Im kühl durchkomponierten Design von Tenebrae (1982) jedenfalls kommt der kunstfertige Mörder nur versehentlich durch eine umgefallene eiserne Skulptur zu Tode. In Das Phantom der Oper (1998), Dario Argentos unterschätzter Gothic-Adaption nach Gaston Leroux, wird der tragischen Titelgestalt die romantisch motivierte Manipulation einer Opernaufführung zum Verhängnis, als es seine Rivalen unfreiwillig ins eigene Versteck lockt und anschließend im Kugelhagel ums Leben kommt.

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