Warum Angela Schanelecs Filme "langweilig" sind...

19.08.2014 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Warum Angela Schanelecs Filme "langweilig" und dennoch große Werke des deutschen Kinos sind
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Warum Angela Schanelecs Filme "langweilig" und dennoch große Werke des deutschen Kinos sind
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“…und ich sie dennoch zu den größten Werken des deutschen Kinos zähle,” erklärt uns heute Community-Mitglied Mimuschka und stellt damit die Speakers’ Corner ganz ins Zeichen der Neuen Berliner Schule.

Zwei Schwestern sitzen in ein Gespräch vertieft auf der Couch. Plötzlich schwärmt die eine von ihren neu erlernten Tanzschritten, die so außergewöhnlich seien, dass sie sie unbedingt gleich vorführen müsse. Sie steht auf und ihre Schwester sowie die Zuschauer_innen sind gespannt auf das nun folgende Ereignis. Doch dann das Unfassbare: Die Kamera bleibt knallhart auf der sitzenden Schwester fixiert, während die andere außerhalb des Bildkaders ihren Tanz vorführt, somit für uns ungesehen bleibt. Lediglich durch die Mimik der Schwester vermittelt, lässt sich das Geschehen miterleben.

Genervte Rufe aus dem Kinosaal waren zu vernehmen. Das Publikum war zu diesem Zeitpunkt schon an seiner Schmerzgrenze angekommen und auch hinterher in Gesprächen waren die Meinungen fast einstimmig: Der Film Mein Langsames Leben von Angela Schanelec sei langweilig, handele fast ausschließlich von Belanglosigkeiten, die langen starren Kameraeinstellungen seien unerträglich, und überhaupt…

Zwei Punkten würde ich zustimmen: Zum einen stimmt es wohl, dass der streng formalistische und hochreflexive Film für die große Masse der Kinogänger_innen leider unverständlich bleiben wird, und zum anderen: JA, er ist langweilig! Aber ist das etwas Negatives? Ich finde nicht. Aber warum genau ich, anknüpfend an Gedanken von Martin Heidegger, der Langeweile etwas Positives angewinnen kann und warum darüber hinaus Frau Schanelec eine der wichtigsten aktuellen Filmemacher_innen ist, versuche ich im Folgenden darzulegen.

1. Ästhetik der Reduktion – Eine Kurze Geschichte der Neuen Berliner Schule

Aus Überdruss an den, in den 90er Jahren im deutschen Mainstream vorherrschenden Beziehungskomödien und den Produktionen des X-Film-Verleihs, fanden sich 3 Regisseur_Innen (Thomas Arslan, Christian Petzold und Angela Schanelec) zusammen, die sich an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) kennengelernt hatten. Sie drehten Filme, die sich bewusst von oben genannten Filmen absetzten, und ihr Werk mehr als persönliches und künstlerisches Ausdrucksmittel denn als “Crowdpleaser” verstanden. Aufgrund der stilistischen und thematischen Ähnlichkeiten und der gemeinsamen historischen Bezugspunkte, wie beispielsweise der italienische Neorealismus oder die Werke von Michelangelo Antonioni, Robert Bresson, Jean-Luc Godard und Eric Rohmer, wurden diese etwas später zur “Neuen Berliner Schule” zusammengefasst. Der Begriff “Neu” setzt sie damit von der “alten” Berliner Schule ab, die in den 70er Jahren um Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog, Wim Wenders und anderen entstanden ist.

Ein typisches gemeinsames Thema ist der beobachtende Blick auf die zeitgenössische deutsche Gesellschaft. Es stehen oft alltägliche Handlungen von ca 30-jährigen Protagonist_Innen der Mittelschicht im Fokus, anhand derer die gesellschaftlichen Veränderungen in der Moderne beschrieben werden. Diese Personen sind oft vereinzelt und einsam, leiden an seelischer Instabilität und Kommunikationsproblemen und befinden sich auf der Suche nach einem Sinn im Leben. All dies sind typische psychische Konflikte der Moderne, die unter anderem durch die weitgehende Entlastung von materiellen Zwängen entstanden sind, welche den Menschen immer mehr Raum und Zeit schafft, um über das Leben und den eigenen Platz in der Welt zu philosophieren.

Die meisten Filme der zur Berliner Schule gezählten Regisseur_Innen zeichnen sich durch eine visuelle Nüchternheit und kühle Bilder aus, die in langen Einstellungen mit wenig Kamerabewegungen und Schnitten festgehalten werden. Dieser Versuch einer neuen Ästhetik, einer “Ästhetik der Reduktion”, führt bei vielen Menschen dazu diese Filme als “langsam” und “langweilig” wahrzunehmen und oft auch deswegen zu verdammen.

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