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Verschwörungstheorien sind großes Kino

13.03.2015 - 08:44 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Bild zu Verschwörungstheorien sind großes Kino
Gerrit Rohde
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9/11 Inside Job, geplanter Verschleiß von Elektrogeräten und Sexbotschaften in Disneyfilmen - Verschwörungstheorien testen die Grenzen unserer Fantasie, das Kino ist ideal dafür geeignet sie zum Leben zu erwecken. Aber warum ist das so?

Liebt ihr Filme? Zugegeben ein dämliche Frage. Sie müsste eher lauten: Warum liebt ihr Filme? Hier wird es schon etwas komplizierter. Es gibt Menschen, die erfreuen sich an spektakulären Schauwerten, an pointierten Dialogen, an interessanten Charakteren, an emotionaler Schlagkraft, an dem vermittelten Wertesystem, oder an Atmosphäre und Stimmungen. Der allergrößte Teil der Filmbegeisterten würde aber der Einschätzung zustimmen, dass ein guter Film eine gute Geschichte benötigt. Doch an welcher Stelle kommen da Verschwörungstheorien ins Spiel? Dazu gleich mehr, zunächst bleiben wir noch einen Moment beim Storytelling.

Hast du gehört?

Filme erzählen Geschichten. Die Geschichte und die Art und Weise sie zu erzählen, bilden das Rückgrat für ein erfülltes Kinoerlebnis. Und das vollkommen unabhängig ob dies archetypisch, wie normalerweise im Hollywoodkino, oder minimalistisch bzw. dekonstruktivistisch, wie bei Arthousefilmen, geschieht. Die Prinzipien des Storytellings sind dabei seit über 3.000 Jahren nahezu unverändert. Eine gute Geschichte muss mitreißen, sie packt uns durch Überraschungen, unerwartete Wendungen, Enthüllungen, Pointen. Und sie liefert uns am Ende des Tages immer auch tiefere Einsichten über die wahre Natur des Menschen. Dazu verdichten Storyteller, sie simplifizieren Sachverhalte auf das im Rahmen der Geschichte notwendige dramaturgische Maß. Storytelling setzt dabei in der Regel auf kausale Zusammenhänge, auf das Prinzip Ursache und Wirkung. Der Faktor Zufall wird dabei höchstens zur Etablierung einer Ausgangssituation genutzt, ist ansonsten als so genanter deus ex machina  aber verpönt. So darf beispielsweise John McClane in Stirb langsam zwar zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort sein, die anschließende Auseinandersetzung mit den Terroristen folgt dann aber streng dem Prinzip Aktion/Reaktion. Der benötigte Stromausfall, der die Safetüren des Nagatomi Plaza öffnet, geschieht nicht zufällig, sondern wird durch die Terroristen planmäßig nach dem Prinzip Ursache/Wirkung herbeigeführt. Auf diese Weise fließt eine gute Geschichte, die fordert und überrascht den Zuschauer permanent und nimmt ihn dabei gleichzeitig an die Hand. Die Story kann dabei fantastische Elemente haben, solange sich ein konsistentes Weltbild entwirft, in sich logisch und schlüssig ist, wird das Publikum sie lieben. Soziologisch nehmen sie eine wichtige gesellschaftliche Funktion ein. Sie bringen Ordnung und ein klares Wertesystem in eine immer komplizierte scheinende Welt, sie schaffen Gemeinschaft, sie erzeugen eine Subkultur, wie hier auf Moviepilot.

Die Weihnachtsmannverschwörung

Jeder von uns kennt Verschwörungstheorien: „Von einem Freund meines Freundes weiß ich, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt“, raunte mir mein Kumpel Volker wissend ins Ohr. „Das erfinden unsere Eltern, damit wir artig sind.“ „VERSCHWÖRUNGSTHEORIE!“, hätte ich mich empört, wenn ich damals mit fünf Jahren schon gewusst hätte, was das ist. Heute bin ich selbst Teil dieser gigantischen kollektiven Verschwörung von Eltern zur Disziplinierung ihrer Kinder. Obwohl die Weihnachtsmannlüge ein eher exotisches Beispiel ist, weißt sie viele Merkmale einer klassischen Verschwörungstheorie auf. In einer Verschwörungstheorie kontrollieren und manipulieren mächtige Institutionen das gemeine Volk um ihre Interessen durchzusetzen. Und mal unter uns: Wer ist für einen Fünfjährigen bitte mächtiger als die eigenen Eltern? Zufälle gibt es innerhalb einer Verschwörungstheorie nicht. Hinter allem steckt das Geld- bzw. Machtstreben der übermächtigen Kräfte und stets hängt alles mit allem zusammen. Diese streng kausalen Erklärungsansätze sind dabei im Prinzip nichts andere als das oben beschriebene Ursache/Wirkungs-Prinzip beim Storytelling. „Ich glaube nicht an Zufälle“- diese Dialogzeile ist in einem Thrillern ungefähr so originell, als würde das Opfer in einem Horrorfilm mutmaßen „Ach, das war nur der Wind. “ Der Chaostheoretiker Dr. Ian Malcolm aus Jurassic Park würde im Dreieck springen.

„Wollen sie die rote oder blaue Pille schlucken, Mr. Anderson?"

Darüber hinaus bietet die Weihnachtsmannlüge ein weiteres klassisches Merkmal einer Verschwörungstheorie, die große Ähnlichkeiten zum Storytelling aufweist: Den alternativen Erklärungsansatz für ein bekanntes Phänomen. Verschwörungstheorien suggerieren ihren Anhängern, hinter die Fassade einer vorgegaukelten Realität zu blicken. Sie versprechen komplexe Zusammenhänge (tatsächlich liefern sie genau das Gegenteil) und tiefere Einblicke in die Wirklichkeit. Sie entspinnen dabei ähnlich einer gut geschriebenen Geschichte ein in sich logisches konsistentes und streng abgeschlossenes Weltbild. Wie Filme bieten sie Orientierung und Ordnung durch ein klar umrissenes Wertesystem, das zumeist nach dem David-gegen-Goliath-Prinzip funktioniert und die Motivation der Verschwörer stets mit der Frage cui bono?  (sinngemäß: wer profitiert?) beantwortet. Demjenigen, der solche vermeintlichen oder tatsächlichen Verschwörungen verbreitet, geht es immer auch um die Demonstration eines Wissensvorsprung gegenüber dem so genannten Meinungsmainstreams und die Schaffung sozialer Gemeinschaft durch Einweihung Unwissender- Ihr hättet mal das bedeutungsschwangere Gesicht meines Kumpels und meine bewundernden Blicke sehen sollen, als Volker meine Illusion des Weihnachtsmanns zerstörte. Dieses Prinzip der Enthüllungen, und überraschenden Wendungen wenden auch Storyteller nur zu gerne an, um ihr Publikum zu beeindrucken. Und auch die sozialen Funktionen, die Sinnstiftung und die Schaffung eines klaren Wertesystems, einer Gemeinschaft korrelieren mit denen von Filmen.

Wasserdichte Schwammigkeit

Ist der Feind und seine Motivation erstmal identifiziert erscheint es auf einmal zwingend und logisch, dass die EU-weite Einführung von teuren und anfälligen Energiesparlampen von der Lampenindustrie zu Zwecken purer Gewinnmaximierung lanciert wurde. Und selbstverständlich hat niemand anderes als Goldman Sachs die globale Finanzkrise herbeigeführt, um mit Lehmann einen unliebsamen Konkurrenten auszuschalten. Wer würde vor dem Hintergrund der Weihnachtverschwörungen ernsthaft bestreiten, dass niemand anderes als die USA Griechenland gezielt in die Krise gesteuert haben, um den Euro zu schwächen? Und überhaupt: Endliche Ölvorkommen sind eine Erfindung der Mineralölkonzerne um den Ölpreis künstlich hoch zu halten, den Abgasstreifen von Flugzeugen werden von der Regierung Substanzen beigemischt, um die Bevölkerung gefügig zu halten und der angebliche Selbstmord Uwe Barschels wurde durch den israelischen Geheimdienst fingiert, um Waffengeschäfte mit dem Iran zu vertuschen. Die Liste kann aber soll an dieser Stelle nicht endlos weitergeführt werden. Zu guter Letzt haben Geschichten und Verschwörungstheorien einen großen Hang zur Fiktionalisierung und Spekulation. Die Frage „Was wäre wenn?“ umtreibt Verschwörungstheoretiker dabei weitaus intensiver als „Wie ist es tatsächlich gewesen?“. Auf der Suche nach der perfekten Geschichte arbeiten Verschwörungstheoretiker und Storyteller ganz ähnlich. Indizien werden zu Fakten umgedeutet, aus offenen Fragen werden Beweise, es werden teilweise haarsträubende argumentative Abkürzungen genommen, Widersprüchliches wird übergangen und ausgespart.

Verschwörungsmekka Hollywood

Das Kino selbst bedient sich dabei immer wieder spekulativer bzw. nachgewiesener Verschwörungsszenarien. So darf uns James Bond seit den 1960er-Jahren vor geheimen Superorganisationen und deren verschwörerischen Weltherrschaftsplänen retten. Einen realistischeren und pessimistischeren Anstrich bekamen entsprechende Produktionen, die innerhalb der kurzen Ära des New Hollywood in den 1970er-Jahren entstanden. Dort wurde der Verschwörungsthriller quasi als eigenes Subgenre etabliert. Befeuert vom der Watergate-Affäre, entstanden zahlreiche Filme, in denen der (Anti-)Held in eine Verschwörung verstrickt wird, und meist vergeblich versucht, sie aufzudecken. Filme wie Der Dialog, Der Marathon-Mann, Chinatown und Die drei Tage des Condor erzählen vom Kampf des kleinen Mannes gegen große, dunkle Mächte mit quasi uneingeschränkten Einflussmöglichkeiten und Ressourcen. Nicht selten entpuppt sich dabei die eigene Regierung als Übeltäter. Alan J. Pakula, Regisseur des Thriller Zeuge einer Verschwörung sagte dazu: „In Amerika drehen sich die meisten Filme um Gut und Böse. Wir leben in einer kafkaesken Welt, in der man das Böse einfach nicht mehr findet. Es durchdringt die Gesellschaft... Wir leben in einer Welt der Geheimnisse, in einer Welt, in der man nicht mal mehr erkennt, wer unsere Gesellschaft zerstören will.“ Diesen Grundsätzen ist der Verschwörungsthriller bis heute treu geblieben. Besonders Oliver Stones JFK - Tatort Dallas funktioniert dabei als nahezu klassisches Beispiel einer auf Celluloid gebannten Verschwörungstheorie rund um die Ermordung des 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Bis auf wenige Ausnahmen wie Fletchers Visionen oder Der Staatsfeind Nr. 1 kamen Verschwörungen im Kino der 1990er-Jahre weniger politisch daher. In die Die Truman Show, The Game, oder Matrix müssen übermächtige Konzerne oder gleich Außerirdische als Übertäter herhalten. Men in Black verpasste der supergeheimen Untergrundorganisation gar einen sympathisch komödiantischen Anstrich. Infolge der Ereignisse rund um den 11. September war es mir dieser Leichtigkeit vorbei. Thriller wie Die Bourne Identität, Fair Game oder Salt zeichneten ein weitaus düsteres Bild der Geheimdienste. Die Ära des New Hollywoods zitierte jüngst ein Mega-Blockbuster, der von einer ultrageheimen Organisation innerhalb der USA erzählt, die von einer noch viel geheimeren Geheimorganisation unterwandert wird – Alan J. Pakula hätte es sich nicht besser ausdenken können – die Rede ist natürlich von Marvels Captain America 2: The Return of the First Avenger. Solange Whistle Blower die schmutzigen Machenschaften von Regierungen und deren Geheimdienste enttarnen, sind Verschwörungstheorien absolut massentauglich und damit auch für Hollywood interessant.

Sind deshalb gleich alle Verschwörungstheorien Humbug? Selbstverständlich nicht. Verschwörungen hat es immer gegeben und wird es immer geben. Aber oftmals ist eine Geschichte einfach zu gut, um wahr zu sein. Oder glaubt ihr etwa an Keyzer Soze, nur weil seine Geschichte so interessant gewesen ist?

Dieser Artikel wurde übrigens nicht von der NSA finanziert.



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