Wie ungeheuerlich kann The Walking Dead nach acht Jahren noch werden? Der Auftakt der 9. Staffel beantwortete diese Frage mit einem bitteren Schlussgedanken, der Gregory (Xander Berkeley) am Galgen baumeln ließ. Plötzlich waren es entsetzte, verunsicherte Blicke, die in der neuen Welt verzweifelt Ausschau nach Menschlichkeit hielten. Von diesem Beben ist in der 2. Folge der 9. Staffel vorerst nichts zu merken. The Bridge - der Titel der Episode nimmt es bereits vorweg - bringt die Überlebenden von Alexandria, Hilltop, Oceanside und dem Kingdom zusammen. Gemeinsam wird an einem Strang gezogen, um jene Zukunft zu ermöglichen, die zuletzt ins Wanken geriet. "We're making a new beginning", lauten Ricks (Andrew Lincoln) zuversichtliche Worte, die er in einer faszinierenden Mischung aus Gelassenheit und Stolz an einen Negan (Jeffrey Dean Morgan) richtet, der hinter Gittern sitzt. Doch mit wem soll Rick sonst auch reden?
Ohne Rick ist die neue Welt von The Walking Dead verloren
Seit 35 Tagen befindet sich die zuvor eingestürzte Brücke im Wiederaufbau. Im Camp wird tüchtig gearbeitet und die Gemeinschaft wächst zusammen. Was Rick seiner Nemesis voller Begeisterung erzählt, deutet jedoch ebenso unheilvolle Entwicklungen am Horizont an. Immerhin reden wir hier von The Walking Dead, einer Serie, in der die alten Wunden nicht so schnell verheilen, wie dem ehemaligen Sheriff lieb wäre. Rick ist sehr gut darin, die Menschen zu versammeln. Er verteilt Aufgaben und koordiniert. Der Blueprint der neuen Welt steht längst nicht mehr nur in Georgies (Jayne Atkinson) Buch geschrieben, sondern ist tief und fest in seinem Kopf verankert. Rick hat die Übersicht und hält alles zusammen. Ein Umstand, der gleichermaßen bemerkenswert wie gefährlich ist. Denn Rick kann nicht überall zur gleichen Zeit sein, was in The Bridge gleich mehrmals für fatale Ereignisse sorgt. Rick hat eine neue Welt geschaffen, die ohne ihn nicht funktioniert.
Diese Erkenntnis sorgt vor allem im Hinblick auf unseren Wissensvorsprung für Gänsehaut: Andrew Lincoln wird The Walking Dead verlassen. Schon in naher Zukunft kehrt der Hauptdarsteller seiner Serie den Rücken. Wenn die 2. Folge der 9. Staffel aber eine Sache beweist, dann, dass sie ohne ihren Anführer verloren ist. Zu schnell erhitzen sich die Gemüter, wenn der Chef nicht vor Ort ist, um klare Anweisungen zu geben. Auf Ricks Schultern lastet nicht nur die Vereinigung seiner eigenen Leute, sondern ebenfalls die nach wie vor mühselige Zusammenarbeit mit den Saviors. Der Krieg mag vorüber sein, das Denken in den Köpfen hat sich damit aber noch lange nicht verändert. Wenngleich gewisse Regeln etabliert und Übereinkünfte getroffen wurden, fehlt Ricks neuer Welt ein vereinendes Gesetz, das abseits der Autorität des Anführers greift, wie Michonne (Danai Gurira) Maggie (Lauren Cohan) in einer eindringlichen Szene begreiflich macht.
Eine Brücke, die verbindet, als Monument der Ewigkeit
Zu schnell verwandelt sich die Eroberung des Grenzlandes, wie wir sie zu Beginn des Staffelauftakts in strahlenden Bildern erlebt haben, in eine Abwärtsspirale aus verheerenden Entscheidungen, die nur noch tiefer in das Labyrinth des Elends führen, während sich die Menschen in Eifersucht und Misstrauen zerfetzen. Da kann Ricks Team noch so eingespielt den Brückenbau vorantreiben, am Ende des Tages wird es immer einen Justin (Zach McGowan) geben, der kleine Jungen auf den Boden kickt und sich der Wasservorräte bemächtigt, die für alle bestimmt sind. Sehr schön zeigt The Walking Dead diese Woche, wie ein solcher Konflikt, der im kleinen beginnt, binnen weniger Minuten bedeutend größeres Ausmaß annehmen kann. Ehe wir uns versehen, findet auf der Brücke ein Gerangel statt, das selbige beinahe wieder zum Einsturz bringt. Von solch einem Scheitern will Henry (Macsen Lintz) natürlich nicht seinen Kindern erzählen.
Die Brücke als symbolischer Ort, der die verschiedenen Gruppen verbindet, muss aber auch zwangsläufig ein Ort der Auseinandersetzung sein. Wenn sich jeder nur in seinem eigenen Lager verbunkert, findet kein Austausch, keine Kommunikation statt. Bei all den Welten, die Rick im Lauf von über acht Staffeln The Walking Dead gerettet hat, war es ihm bisher nicht möglich, den Menschen das Werkzeug in die Hand zu geben, wie sie diese Konflikte gewaltfrei lösen können. Der Traum vom friedlichen Zusammenleben muss jeden Tag mit den rohen Gegebenheiten der Zombie-Apokalypse verhandelt werden. Das kleinste Missverständnis dieser Verhandlung kann vernichtende Konsequenzen nach sich ziehen, denn nur die wenigsten sind bereit, ein Monument zu errichten, das größer ist als sie selbst. Genau in einem solchen Monument liegt jedoch der Schlüssel der Zukunft und Ricks größte Herausforderung verborgen: Etwas zu schaffen, das bleiben wird, das ihn überdauern wird.
Was, wenn die Brücke doch ein Monument der Toten ist?
"It was a hard day", gesteht er schließlich Negan, dessen Angesicht uns die Kamera erst in den finale Minuten der Folge enthüllt. Aaron (Ross Marquand) hat seinen Arm verloren. Der Brückenbau erfolgt nicht im geplanten Zeitrahmen. Und die Menschen gehen sich gegenseitig an die Gurgel. Ein ernüchterndes Fazit, wäre da nicht die abendliche Gemeinschaft, die sich ums Feuer formt. In einem sentimentalen Moment schwärmt Rick von all der Menschlichkeit, die der Staffelauftakt aus der Serie verbannte. Doch Negan ist kein Tagebuch, in dem Rick seine Gedanken ohne Widerworte verewigen kann. Stattdessen spuckt der gefangene Bösewicht mit messerscharfen Beobachtungen zurück. Für wen baust du diese Welt wirklich, fragt er Rick, der seine Familie verloren hat. Die Entrüstung ist natürlich auf Ricks Seite. Womöglich hat Negan aber recht und er hat seine Zeit verschwendet, um ein Monument der Toten und keine Brücke zu errichten.
Notizen am Rande:
- Obwohl der Fokus der Episode fraglos auf Rick liegt, erhält auch Maggie wie schon im Staffelauftakt einige starke Momente, die nicht zuletzt Hershels Rückkehr vorbereiten.
- Nach Carol (Melissa McBride) und Ezekiel (Khary Payton) wartet die 9. Staffel bereits in ihrer 2. Folge mit einem weiteren Liebespaar auf. Anne aka Jadis (Pollyanna McIntosh) hilft Gabriel (Seth Gilliam), ähm, seine Ängste zu überwinden. Doch was hat sie wirklich vor?
- Rollende Baumstämme mit zerstörerischer Wucht? Jede Referenz an das Kriegswerkzeug der Ewoks ist willkommen!
- "I think you're a good person.
And good people can disagree."
- "If I see your face again, stitches won't fix what I do to you."
Alle Recaps zur 9. Staffel von The Walking Dead
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The Walking Dead - Staffel 9, Folge 1: Ein Auftakt wie ein Schlag in die Magengrube
Die 9. Staffel von The Walking Dead wird sonntags in den USA auf AMC ausgestrahlt und ist hierzulande einen Tag später auf FOX und über Sky Ticket zu sehen. Unsere Besprechungen der einzelnen Folgen gibt es auch als Live-Stream und Podcast .
Was glaubt ihr, was mit Justin am Ende der Folge passiert ist?