Achtung, Spoiler zu The Perfection: Mit dem blutigen Thriller The Perfection tun sich bei Netflix Abgründe auf, und das im mehrfachen Sinne. Es werden Körperteile abgetrennt, Maden ausgekotzt, es wird gefoltert und vergewaltigt. Unterfüttert sind die Schocks mit einer Geschichte, die von queerer Liebe erzählt und zugleich Gewalt gegen Männer wie Frauen als Allheilmittel anpreist.
Nein, irgendetwas passt hier nicht zusammen. Man kann The Perfection sicher radikal nennen in der Art, wie er zwei Cellistinnen Rache an dem gemeinsamen Peiniger zugesteht und dabei die Gesetze der Logik außer Kraft setzt. Den eigenen offensichtlichen feministischen Bestrebungen erweist er letztlich aber einen Bärendienst.
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The Perfection ist selbst für Netflix-Standards zu lächerlich
Regisseur Richard Shepard bedient sich bei The Perfection einiger Twists, die allesamt nicht einfach nur oberflächlich sind, sondern direkt aus der Drehbuchhölle stammen. Erstmals für Stirnrunzeln sorgt die klischeehafte Enthüllung, wonach Charlotte Lizzie absichtlich Halluzinogene verabreicht hat. Doch bei einer weiteren Version eines verhinderten (Musik-)Genies, das der Konkurrenz den Erfolg nicht gönnt, bleibt es keineswegs.
Vielmehr verbünden sich die beiden jungen Frauen (gespielt von Get Out-Star Allison Williams und Logan Browning) schließlich gegen den wahren Feind: einen skrupellosen Musiklehrer, der seine Schülerinnen physisch wie psychisch missbraucht. Damit legitimieren die Macher unumwunden Charlottes überaus fragwürdiges Vorgehen. Immerhin ist sie es, die Lizzie in der ersten Hälfte des Films an den Rand des Wahnsinns treibt, bis diese sich selbst die Hand abhackt.
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Wir sollen sogar glauben, dieses drastische Ende von Lizzies Musik-Karriere sei ganz in ihrem Sinne, schließlich erweisen sich Charlottes Pillen als probates Mittel, um Lizzie aus der Schule des Grauens auszugliedern und somit auch den Vergewaltigungen ein Ende zu setzen. Spätestens an dieser Stelle kippt der Film ins Zynische, wenn er zu verstehen gibt, dass Gewalt von Frauen gegen Frauen unter den "richtigen" Umständen und als Mittel zum Zweck absolut in Ordnung ist.
The Perfection: Eine Katharsis, die Kopfschmerzen bereitet
Fortan ergötzt sich The Perfection dann an jener hohlen Rachefantasie, auf die die Handlung über 100 Ecken hingesteuert hat. Der Böse wird verstümmelt, weil Gerechtigkeit nur durch maximalen Schmerz eintreten kann und er es nach den Gesetzen des Films eben verdient. Ich habe an diesem Punkt eigentlich schon keine Lust mehr, mich darüber noch aufzuregen.
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Alles an The Perfection steht ganz im Dienst des Schlussbildes, das nach Kräften eine Schauerromantik beschwört, indem es zwei Frauen zeigt, die sich buchstäblich ergänzen. Auf dem Weg dorthin steht so manche Verrenkung, jede einzelne kündet von der Lust am Leiden und Leiden lassen. Mit Liebe - egal zwischen wem - hat das erschreckend wenig zu tun.
Erinnerungen werden wach an Regie-Chaot Shion Sono, dessen Werke mir aus ganz ähnlichen Gründen regelmäßig die Adern anschwellen lassen. Grundsätzlich gegen Menschen zu sein ist eben auch in der Kunst eine effektive Form des Widerstands.
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