Unsichtbare Besucher – Komplette Poltergeist-Serie auf Arte

27.10.2016 - 12:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Unsichtbare Besucher: The Enfield HauntingArte / Sky Living
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Der Spuk von Enfield ist Großbritanniens bekanntester moderner Poltergeist-Mythos. Bevor er Gegenstand des Kinofilms Conjuring 2 wurde, nahm sich die Miniserie Unsichtbare Besucher der angeblich realen Ereignisse an. Alle Folgen sind heute auf Arte zu sehen.

Klopf klopf, es ist ein Poltergeist. Er schiebt Kommoden durchs Zimmer. Spielt an Stromleitungen herum. Fährt in kleine Mädchen, die daraufhin böse zu fluchen beginnen. Der Poltergeist mag es, Unruhe zu stiften, er tut das laut und grob und hinterlistig. Tot sein, so viel ist sicher, nervt ihn gewaltig. Und sein Anliegen scheint nachvollziehbar: Er möchte sich mitteilen, Aufmerksamkeit erregen, Kontakt ins schöne Diesseits herstellen - und möchte nicht, was wiederum nur schwer nachvollziehbar ist, gefilmt oder anderweitig für die Nachwelt festgehalten werden. Darum fehlt es bis heute an einem Beweis für seine Existenz, an Videoaufnahmen, die zum Schweben gebrachte Schwebende beim Schweben zeigen, an Audiomaterial, das die regen und garantiert aufschlussreichen Unterhaltungen mit ihm dokumentiert. Die Überzeugungsarbeit, das fleißige Herumpoltern und Kräfte zerrende Besitzergreifen, ist also ziemlich für die Katz. Skeptiker nämlich bleiben Skeptiker, Gestörte bleiben gestört. Des Poltergeists Opfer müssen, wie die 1977 im Londoner Stadtbezirk Enfield von übernatürlichen Ereignissen malträtierte Janet Hodgson, noch 40 Jahre später allen Ungläubigen von ihren Heimsuchungen berichten. Ein gutes Geschäft, das schon. Aber bestimmt auch sehr enervierend.

Die monatelangen vorgeblichen Geistererscheinungen von Janet Hodgson beschäftigen die internationale Klatschpresse bis heute. Engländern ist der "Enfield-Poltergeist" noch immer ein Begriff, Kinozuschauer wurden durch Conjuring 2 mit ihm vertraut gemacht. Zu den zahlreichen Partiellwissenschaftlern, die an der damals 11jährigen Janet herumdokterten, gehörten auch die US-amerikanischen Dämonologen Ed und Lorraine Warren (es gab sie tatsächlich, und ihre "Arbeit" hat ihnen gewiss viel Freude bereitet). Sie tauchten unangemeldet bei Familie Hodgson auf, reisten aber nach fachmännischer Diagnose ("präpotente dämonische Besessenheit der Stufe 3,5 mit starken Ausschlägen auf der Warrenschen Beklopptheitsskala") bereits einen Tag später wieder ab. In Conjuring 2, dem Film zur Stippvisite, ist das natürlich ein bisschen anders dargestellt. Dort wird der unheimliche Fall unter Zuhilfenahme origineller Regieeinfälle (z.B. London Calling  auf der Tonspur, wenn London zu sehen ist) als spektakuläres und wahrscheinlich sogar angemessenes Geisterbrimborium inszeniert. Diese Hollywoodversion der Geschichte hätte sich Janet Hodgson nicht zu träumen gewagt. Ihr Vorstellungsvermögen reichte 1977 gerade mal bis knapp über die Kinderbettkante, wovon es immerhin ein berühmtes Foto  gibt.

Nun ließe sich dem Spuk von Enfield filmisch leicht ein Ende setzen, indem seine zahlreichen Widersprüche  und Lügen  thematisiert und vorsichtig gegen die augenscheinlichen Probleme einer in prekären Verhältnissen lebenden Familie abgewogen würden. Das aber ergäbe natürlich keinen guten Horrorfilm, jedenfalls keinen im Sinne des aktuellen Horrorkinos (zu einem interessanten und verstörenden Film taugt der Stoff durchaus). Die für den britischen TV-Channel Sky Living entwickelte und noch vor Conjuring 2 produzierte Miniserie Unsichtbare Besucher (Originaltitel: The Enfield Haunting) versucht sich dennoch an einer weniger hysterischen Dramatisierung der vermeintlichen Tatsachen. Das mysteriöse Treiben im Hodgson-Haus ist vergleichsweise dezent bebildert, manchmal sogar schneidet die Serie in Spannungsmomenten einfach weg. Es gibt nur eine Handvoll Schreckszenen ("Jump Scares"), also etwa 150 weniger als in Conjuring 2, und richtige Gruselstimmung möchte sich bei den eher flach gehaltenen TV-Bildern auch nicht einstellen. Die im letzten Drittel pflichtschuldig umgesetzten Besessenheits- und Beschwörungsakte haben eher etwas Komisches für sich: Fast 45 Jahre nach Der Exorzist wirkt es, als könne man die zu ultimativen Genreklischees geronnenen Schimpftiraden und Verrenkungsgymnastiken in Besitz genommener Mädchen nicht mehr ernsthaft auf Leinwände oder Mattscheiben bringen.

Überzeugender ist The Enfield Haunting in der – freilich nicht weniger spekulativen – Rekonstruktion persönlicher Umstände, die durch das öffentlichkeitswirksame Geistertheater sichtbar gemacht werden. Janet Hodgson (Eleanor Worthington-Cox) erscheint als ein von Adoleszenzerfahrungen irritiertes Mädchen, dessen vermeintliche Heimsuchung Ausdruck unerklärlicher Ereignisse ganz anderer Art ist (z.B. einer katholischen Erziehung, die ihr offenbar nicht erklärte, was Menstruationsblut ist). Auch die Darstellung der Parapsychologen Maurice Grosse (Timothy Spall) und Guy Playfair (Matthew Macfadyen), den beiden Forschern der Society for Psychical Research, die Familie Hodgson über ein Jahr lang begleiteten, gibt Hinweise auf natürliche Erklärungen für das Verlangen, der Welt einen Poltergeist aufbinden zu wollen: Grosse leidet seit dem Verlust seiner Tochter an einem Schuldkomplex, der das Leben mit Ehefrau Betty (Juliet Stevenson) erschwert, und Playfair ist durch Erfahrungen mit selbsternannten Wunderheilern traumatisiert, die er als Journalist in Brasilien machte. Am Ende, so immerhin eine mögliche Lesart der Serie, ging es im Medienzirkus von Enfield um die schlichten Befindlichkeiten zweier Männer, denen der Spuk gerade recht kam. Der erste versuchte darüber seine Ehe zu retten, der zweite schrieb ein erfolgreiches Buch.

This House is Haunted: The Amazing Inside Story of the Enfield Poltergeist, so der Titel des Werkes, öffnete Guy Playfair vor allem im Diesseits Tür und Tor. Das bis heute aufgelegte Buch verkaufte sich hunderttausendfach und zog eine (folgerichtige) Zusammenarbeit mit Uri Geller nach sich. Die paranormale Seelsorge machte Playfair zu einem sehr vermögenden Mann. Der offiziellen Adaption geht es statt der angedeuteten interpretatorischen Offenheit (Poltergeister als Symptom psychischer Versehrtheit) deshalb um eine Bestätigung der selbst konstruierten urbanen Legende, was man schade oder mutlos finden kann, weil die Serie den antiaufklärerischen Bedürfnissen des bestenfalls von Kinderstreichen, schlimmstenfalls kommerzieller und religiöser Scharlatanerie geleiteten Falls zuspielt: Durch Bilder eines sich objektiv konkretisierenden und nicht subjektiv erlebten Grauens, aber auch durch die verpatzte Gelegenheit, Enthusiasten und Skeptiker gleichermaßen zu verunsichern. Gegenüber rein genredienlichen Bearbeitungen des Stoffes wie Conjuring 2 ist The Enfield Haunting damit ein ambivalenter oder eben Ambivalenzen suggerierender Versuch, sowohl von Glaubenwollen als auch Glaubenmüssen zu erzählen. Einträgliche Mythenkultur, in der Tat unheimlich.

Alle drei Folgen von Unsichtbare Besucher sind am 27. Oktober ab 20:15 Uhr auf Arte zu sehen. Danach wird die Miniserie auch in der Mediathek verfügbar sein.

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