Terrorist Carlos begeistert Cannes

21.05.2010 - 13:32 Uhr
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Die Kritiker brauchten für Carlos Sitzfleisch. Über 5 Stunden lang ist der Film über den meistgesuchtesten Terroristen der 1970er Jahre. Aber das Werk ist so gut, dass manche Journalisten schon die Pause störte.

Carlos – Der Schakal ist ein Drama von Regisseur Olivier Assayas über den meistgesuchtesten Terroristen der Welt in den 1970er Jahren. Geschildert wird das Leben von Ilich Ramírez Sánchez. Er gehörte zu den militanten Linken, wurde zum internationalen Terrorist und Medienstar. Carlos war 1975 verantwortlich für den Anschlag auf das OPEC-Hauptquartier in Wien, in den Jahren darauf agiert er als kaltblütiger Terrorist, der vor keinem Mord zurückschreckt und organisierte effizient terroristische Gewalt. Der 5-stündige Film ist eine deutsche Koproduktion, die als Dreiteiler fürs Fernsehen produziert wurde, aber mehr Kino zu bieten hat als so mancher Kinofilm. Es wird wahrscheinlich auch eine zweieinhalbstündige Fassung für das Kino geben, eventuell kommt – der Kritikererfolg beim Festival Cannes könnte da ausschlaggebend sein – auch die Langversion auf die großen Leinwände.

Quintessentielles, klassisches Erzählkino sah Nino Klingler auf dem cannesblog. “Carlos ist absolut sehenswert, auch wenn das Projekt seine Längen hat. Es ist ein im besten Sinne des Wortes klassisches Biopic, dass in einer Figur die widerstreitenden Diskurse einer ganzen Epoche komprimieren will, bei dem jede Szene, jeder Augenblick mit Bedeutung und Sinn aufgeladen ist. Dadurch lernt man viel und hat obendrein auch noch seinen Spaß, aber wirklich nahe kommt Oliver Assayas seiner Hauptfigur nie wirklich. So bleibt Comrade Carlos wohl weiter ein Mysterium.”

Lars-Olav Beier vom Spiegel sah eine “mitreißende Tour de force durch mehr als zwei Jahrzehnte europäischer Geschichte, nicht eine Sekunde der Laufzeit von fünf Stunden und 33 Minuten zu lang. Selten wurde im Film so packend von Logistik erzählt, von den Planungen der Anschläge, der Überfälle und der Fluchten. Vielleicht gab es noch nie einen Spielfilm mit so vielen Flughafen-Szenen. Der Film von Oliver Assayas ist schnell, manchmal hyperventiliert er wie sein Held, verliert aber nie seinen epischen Atem. Wenn es darauf ankommt, nimmt er sich Zeit.”

Als pures, energetisches Kino bezeichnet Josef Lederle auf dem Blog vom film-dienst den Film Carlos. “Mit visuellem Verve und inszenatorischer Ökonomie arbeitet der Film vielfach nur Grundzüge heraus, ohne sich in Details zu verlieren; einzelnen Stationen wie dem OPEC-Coup oder zentralen Konstellationen wie die Dreiecksbeziehung mit Weinrich und Kopp widmet der Film hingegen viel Zeit und Aufmerksamkeit, was der Gesamtdramaturgie sehr zugute kommt. Die eine Pause, die bei der Premiere in Cannes zwischen zweitem und dritten Teil eingeschaltet wurde, war im Grunde schon zu viel, weil es den spannenden Erzählfluss des Films spürbar unterbrach.”

Großartig bleibt Rüdiger Suchsland auf critic nur zu sagen. "Carlos ist auch eine wunderbare Schauspielarbeit, und einmal mehr ein Beispiel dafür, dass deutsche Filmemacher zu wenig (und immer nur das Gleiche) mit ihren Schauspielern anzufangen wissen: Julia Hummer hat man außer bei Christian Petzold nie so gut gesehen, wie hier als “Nada”, Nora von Waldstätten ist souverän und facettenreich in der schwierigen Rolle der immer als kleinbürgerlich unterschätzten Carlos-Gattin Magdalena Kopp, Alexander Scheer als Weinrich eine Wiederentdeckung. Daneben natürlich Édgar Ramírez in der Titelrolle: großartig."

Deutscher Kinostart für Carlos ist im Spätsommer 2010. Diesen Film sollten wir nicht verpassen.

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