Prüfverfahren bei Netflix-Originals ist großes Fragezeichen

20.07.2018 - 08:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Prüfverfahren von Netflix-Originals
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Prüfverfahren von Netflix-Originals
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Netflix ist beim Jugendschutz noch unabhängig. Es prüft seine Inhalte eigenständig, aber wie genau, das weiß nur der Streaming-Dienst selbst. Damit ist wohl bald Schluss.

Ein Film entsteht bei Netflix in einem geschlossenen System. Netflix ist Studio, Verleih und Verwertungsplattform gleichzeitig. Der größte Streaming-Dienst der Welt macht sein eigenes Ding. Auf dem Entertainment-Markt mit seinen Kino,-TV- und Heimvideo-Inseln ist Netflix mittlerweile ein Planet mit einer eigenen Atmosphäre und eigenen (Natur)Gesetzen. Das heißt nicht, dass für Netflix keine Regeln existieren. Es sind nur andere. Netflix ist zudem groß genug, einige davon selbst festzulegen, was auch daran liegt, dass der Konsum von Filmen und Serien im Internet kaum reguliert ist, auch nicht im deutschen Internet, wenn es so etwas überhaupt gibt. Streaming hat die Ländergrenzen der Film- und Serienverbreitung überflogen, mit Netflix als größtem Player. Auch beim Jugendschutz ergeben sich daraus einige komplizierte Fragen, die uns Netflix nicht beantworten wollte.

Sieht sich Netflix in der Pflicht, Zuschauer vor unerwünschten Inhalten zu schützen?

Denn Netflix muss eigentlich überhaupt nichts, eine gesetzliche Vorlagepflicht bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) besteht nicht. Nur eine Alterskennzeichnung von geprüften Inhalten ist notwendig. Streaming-Anbieter wie Netflix und Amazon haben sich, anders als vergleichbare Medienanbieter, einer freiwilligen Selbstkontrolle nicht unterworfen.

Eine Netflix-Familie

Damit Netflix-Abonnenten Netflix-Inhalte sehen, muss Netflix seine selbstproduzierten oder selbstvertriebenen Inhalte keiner externen Prüfinstitution vorlegen. Für Kino, Heimvideo und Fernsehen existieren jeweils spezifizierte Regelungen und Kontrollinstitutionen, für das neue Streaming eben noch nicht. Wird ein Kinofilm nicht der FSK vorgelegt, bedeutet das für ihn das faktische Aus, da die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e. V. (SPIO) die vereinten Wirtschaftsverbände dazu verpflichtet hat, nur von der FSK begutachtete Produktionen zu veröffentlichen. Für Netflix gilt das nicht, da es mit seinem geschlossenen Produktions- und Vertriebssystem deutsche Institutionen umgeht, sie hier schlicht irrelevant sind. Selbstproduzierte Inhalte wie Stranger Things prüfen die großen Anbieter Amazon und Netflix einfach selbst.

Das Prüfverfahren von Originals bei Netflix ist ein großes Fragezeichen

Aber wer tut das eigentlich und wie läuft das Prüfverfahren bei Netflix ab? An welchen Maßstäben orientiert sich Netflix bei der Prüfung seiner eigenen Inhalte? Nach welchen Parametern wird die Eignung für eine Altersschicht festgelegt? Und werden für den deutschen Raum Synchronfassungen oder Originaltöne geprüft?

Bei Netflix  gibt es dazu eine knappe Notiz. So werden die Altersfreigaben "entweder von Netflix festgelegt oder von einer lokalen Normungsorganisation". Wann welche Variante zum Tragen kommt, geht daraus nicht hervor. Weiterhin bestimmt Netflix "die Altersfreigabe auf Grundlage der Häufigkeit sowie der Auswirkungen potenziell anstößiger Inhalte in der betreffenden Serie bzw. im betreffenden Film." Die Alterstrennlinien sind hier deckungsgleich mit denen der FSK, unterschieden wird also zwischen Zuschauern ab 0, 6, 12 und 18 Jahren.

Zufriedenstellend ist die Informationslage nicht. Andererseits gab es Angaben zu Altersfreigaben bis vor kurzem überhaupt nicht bei Netflix-Originals. Eltern, die ihren Kindern eine Serie zeigen wollten, mussten sie selber prüfen. Erst die Debatte um Tote Mädchen lügen nicht hat Netflix zum Umdenken bewegt. Inzwischen ist jedem Original eine Altersempfehlung angeheftet - sogar inklusive einer knappen Begründung.

So viel dazu. Aber Netflix hat auf seinen Plattformen, genau wie Amazon, einige durchaus intelligente Schutzmaßnahmen eingerichtet.

So können Eltern das Netflix-Programm ihrer Kinder gestalten

Das traditionelle Fernsehen folgt bei der Ausstrahlung von altersbeschränkten Inhalten strengen Regeln. Bei Netflix ist der Kunde der Programmchef. Wollen Eltern ihre Kinder unter 16 Jahren schützen, müssen sie selbst aktiv werden. Beispiel Stranger Things, eine der populärsten Netflix-Serien. Sie zieht mit ihren jungen Protagonisten ebenso junge Zuschauer an, ist allerdings erst ab 16 Jahren freigeben. Was also hält einen 12-jährigen Netflix-Nutzer davon ab, sich die erste Folge der Serie anzuschauen?

Der grundsätzliche Zugang eines Minderjährigen zu Netflix ist durch den sogenannten Taschengeldparagraphen bewilligt. So können Kinder etwa Netflix-Guthabenkarten in einem Supermarkt kaufen. "Die Frage nach einem Kinder- und Jugendmedienschutz stellt sich grundsätzlich nicht beim Kauf der Karten, sondern erst beim Abruf von Inhalten auf Basis des erworbenen Guthabens", sagte ein Sprecher des Bundesjugendministeriums RP Online .

Das Bundesjugendministerium empfiehlt Eltern ohnehin, den Account selbst anzulegen, um so die Kontrolle zu behalten. Tun Eltern das, steht ihnen ein ganzes Arsenal aus Jugendschutzmaßnahmen zur Verfügung.

Diese Kindersicherungseinstellungen gibt es bei Netflix

  • Filme ab 18 Jahren sind von vorneherein gesperrt - zum Abruf muss immer ein vierstelliger Code eingegeben werden.
  • Eltern können zusätzlich die Passwortgrenze selbst anheben: Sie können etwa bestimmen, dass auch ab 12 Jahren freigegebene Filme nur nach Eingabe eines Passwortes abrufbar sind. Der Passwortregler lässt sich bis runter zur Null setzen. Dann wären sämtliche bei Netflix verfügbare Filme passwortgesichert.
  • Zudem können Eltern einzelne Titel, etwa Tote Mädchen lügen nicht, individuell sperren.
  • Diese Sperren lassen sich für den gesamten Account oder einzelne Profile einrichten.
Flexible Sicherungen bei Netflix

Eltern können sich also nicht beschweren. Die Möglichkeiten sind da, sie müssen sie nur nutzen bzw. kennen. Die Netflix-Seite sagt hier ganz klar: "Als Elternteil oder Erziehungsberechtigter ist es Ihre Aufgabe, sicherzustellen, dass Ihr Kind stets das richtige Profil verwendet." Jugendschutz steht und fällt bei Netflix und Amazon also mit dem Pflichtbewusstsein und dem Wissen der Eltern um verfügbare Maßnahmen.

Bleibt beim Streaming-Jugendschutz alles, wie es ist?

Laut RP Online  werden derzeit in einer Bund-Länder-Komission Pläne ausgearbeitet, den Jugendschutz zu verschärfen. Das aktuelle Jugendschutzgesetz soll angepasst werden. Das Bundesjugendministerium will einheitliche Regelungen zur Alterskennzeichnung von Filmen festhalten - unter diese Verordnungen fallen dann auch Streaming-Plattformen. Das sei nötig, denn, so ein Sprecher des Bundesjugendministeriums: "Das deutsche Recht ermöglicht dies noch nicht zufriedenstellend".

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