Heute wäre der US-amerikanische Regisseur Nicholas Ray 100 Jahre alt geworden, wäre er nicht bereits 1979 als Folge seines ungesunden Lebensstils im Alter von nur knapp 68 Jahren an Krebs verstorben. Seine größte Schaffensperiode hatte er in den 50er Jahren, seine bekanntesten Werke sind Johnny Guitar – Wenn Frauen hassen und … denn sie wissen nicht, was sie tun. Beide Filme des Regisseurs wurden vom Publikum in seinem Heimatland mit viel Skepsis aufgenommen, während sich die französische Filmszene begeistert zeigte. “Cinema is Nicholas Ray,” soll Godard über ihn gesagt haben und auch François Truffaut gehörte zu seinen größten Fans.
Die Filme von Nicholas Ray waren in der Tat ungewöhnlich. So inszenierte er in Johnny Guitar – Wenn Frauen hassen einen Western, in dem nicht ein männlicher Held im Mittelpunkt stand, sondern eine Frau. Damit fiel der Film aus dem damals recht klar definierten Genre heraus und sorgte für Irritationen beim Publikum.
Die männlichen Heulsusen
Männlichkeit ist generell ein Thema, das sich in vielen Filmen von Nicholas Ray wiederfindet. So geht es in … denn sie wissen nicht, was sie tun um die Suche eines jungen Mannes, gespielt von James Dean, nach einer Vaterfigur. “What do you do when you have to be a man?” fragt er seinen Vater. Doch der kann ihm darauf keine Antwort geben, da er selbst von seiner dominanten Ehefrau stets untergebuttert wird. So bleibt dem Protagonisten Jim nichts weiter übrig, als in Mutproben seine Maskulinität unter Beweis zu stellen.
Eine Szene hat mich in diesem Film besonders berührt. In einem verlassenen Haus inszenieren Jim, seine Freundin Judy und der 15-jährige Plato eine Art “Mutter-Vater-Kind”-Spiel, dass die Sehnsucht nach einer Familie ausdrückt, die mehr als nur eine Zweckgemeinschaft ist. Hier kann Jim den starken Vater für den Halbwaisen Plato spielen und hat mit Judy eine Ehefrau, die ihm in Liebe ergeben ist. Eine wundervolle, harmonische Phantasie – aber eben eine Phantasie und sonst nichts, daran lässt Nicholas Ray keinen Zweifel aufkommen.
Eine weitere “männliche Heulsuse” – oder male weepie, wie Figuren dieser Art im Melodrama der 50er Jahre genannt werden – ist die zentrale Figur des Films Eine Handvoll Hoffnung. Hier erhält ein Familienvater wegen einer Nervenkrankheit das damals neu eingeführte Medikament Cortison. Auf Grund seines Medikamentenmissbrauchs entwickelt er eine Psychose und wird letzten Endes eine Gefahr für seine Familie.
Der Blick hinter die Fassade
Wie auch sein Kollege Douglas Sirk inszenierte Nicholas Ray seine Filme mit einer besonderen Ästhetik – einer starken Bildsprache durch Farben und Bildarchitektur-, hinter der er die Kritik der moralischen Konventionen seiner Zeit gleichzeitig versteckten und subtil vermitteln konnte. Wie Douglas Sirk arbeitete er mit dem „unhappy happy ending“, dass mich am Ende von Eine Handvoll Hoffnung, wenn die Familie in einem völlig unlogischen und konstruierten Happy End wieder zueinander findet, zu einer bitteren Lachsalve verleitete. Dass er der amerikanischen Mittelklassegesellschaft so schonungslos den Spiegel vorgehalten hat, mag ein Grund gewesen sein, warum seine Filme in den USA nur mäßig ankamen.
Vielleicht wollte uns Nicholas Ray zeigen, dass nicht nur die Frauen der 50er Jahre eine schwere Zeit hatten, sich aus der häuslichen Tradition zu lösen und sich zu emanzipieren, sondern auch die Männer starkem Druck ausgesetzt waren. Sie sollten stark sein, ihre Familie beschützen und leiten, den Jungs ein Vorbild sein. Eben dieses Rollenbild des starken Mannes hat Nicholas Ray stets konterkariert, indem er sich in seinen Filmen vor allem Außenseitern und den schon genannten Heulsusen widmete.
Ob Nicholas Ray selbst eine ähnliche Krise durchmachte oder nur ein gesellschaftliches Problem seiner Zeit widerspiegelte, ist schwer zu sagen. Was wir wissen, ist, dass der Regisseur ab Beginn der 60er Jahre durch seinen erhöhten Drogen- und Alkoholkonsum wiederholt negativ auffiel und schließlich am Set seines Films 55 Tage In Peking zusammenbrach. Nach einer längeren Schaffenspause wurde er Filmdozent. Sein letzter Film, Nick’s Film – Lightning Over Water, den er gemeinsam mit seinen Studenten produzierte, wird übrigens in einer überarbeiteten Fassung dieses Jahr auf dem Filmfestival in Venedig zu sehen sein.
Auch wir wollen Nicholas Ray hier eine Ehrung aussprechen und seinem 100. Geburtstag nach seinem Tod gedenken. Danke Nick für tragisch-komische Momente und die mutige Darstellung unser Schwächen und Sehnsüchte: Happy Birthday.