Eröffnungsfilm der Berlinale 2025: Tom Tykwers Das Licht ist eine bildgewaltige Erfahrung, die ihresgleichen sucht

13.02.2025 - 20:15 UhrVor 17 Tagen aktualisiert
Das Licht
Frederic Batier / X Verleih AG
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Das Licht von Tom Tykwer eröffnet die Berlinale 2025. Einen aufregenderen Film hätte man sich für den Neustart des Festivals nicht wünschen können. Auf diese Kino-Ekstase ist niemand vorbereitet.

Es regnet. Und zwar in Strömen. Selbst in den grauen Februartagen, in denen Berlin alles andere als ein fröhlicher, hoffnungsvoller Ort ist, überrascht die Menge an Nass, das im diesjährigen Berlinale-Eröffnungsfilm auf den Asphalt prasselt. Wenn die Menschen in Capes und Kapuzen durch die Straßen ziehen, zeichnet Das Licht ein geradezu apokalyptisches Bild der Hauptstadt. Doch das ist erst der Anfang.

Mit seinem ersten Film in neun (!) Jahren wirbelt Tom Tykwer das deutsche Kino auf und beschwert dem Festival seinen faszinierendsten Eröffnungsfilm seit Jahren. Oft werden die Werke, die am Beginn einer Berlinale stehen, aufgrund ihrer Harmlosigkeit müde belächelt. Das Licht blitzt jedoch so hell und mit dermaßen eindringlicher Frequenz auf, dass man sich dem Auftakt der ersten Berlinale-Ausgabe unter der Leitung von Tricia Tuttle nicht entziehen kann. Diesen Film muss man erlebt haben, um ihn zu glauben.

Das Licht: Die Berlinale beginnt mit einem Familiendrama, wie ihr es noch nie gesehen habt

Wie sehr sich die Berlinale unter Tuttle verändert, wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen. Das Licht ist auf alle Fälle ein vielversprechender, unberechenbarer Einstieg in das Programm, das uns rund um die Welt führt. Im Grunde wirkt es, als wolle Tykwer die ganze Welt – oder zumindest jeden Gedanken, der ihm gerade durch den Kopf schießt – schon in dieser 162-minütigen Studie über eine Berliner Familie verankern.

Hier könnt ihr den Trailer zu Das Licht schauen:

Das Licht - Trailer (Deutsch) HD
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Die Engels sind das Zentrum von Das Licht, angeführt von Milena (Nicolette Krebitz) und Tim (Lars Eidinger), die theoretisch miteinander verheiratet sind, ihre gesamte Kraft aber in Jobs stecken, mit denen sie glauben, die Welt verbessern zu können. Etwa durch Förderprogramme in Entwicklungsländern oder Werbekampagnen, die uns daran erinnern, wer wirklich das Problem für den Niedergang des Planeten ist: wir.

Alles nur Heuchelei, würde Tochter Frieda (Elke Biesendorfer) sagen, die zu keiner Sekunde verlegen ist, auf die Doppelmoral und Privilegien ihrer Familie hinzuweisen. Ihren Zwillingsbruder Jon (Julius Gause) interessiert das nicht. Der flüchtet sich lieber mit VR-Brille in ein Videospiel. Und dann wäre da noch Dio (Elyas Eldridge), Milenas Sohn von einem anderen Mann, der komplett von Bohemian Rhapsody besessen ist.

Früher oder später müssen sie alle durch den Regen, mal in dicker Kleidung verpackt, mal splitterfasernackt – immerhin reden wir hier von einem Film mit Lars Eidinger in der Hauptrolle. So richtig vereint sind die Engels allerdings nicht. Dysfunktionale Familie wäre ein Euphemismus. Das erkennt auch Farrah (Tala Al Deen) sehr schnell. Sie ist die neue Haushälterin und vor fünf Jahren aus Syrien geflüchtet.

Tykwer, der ebenfalls das Drehbuch geschrieben hat, nutzt Farrah auf den ersten Blick, um den anderen Figuren den Spiegel vorzuhalten. Sie hat nichts von dem, was die Engels in ihrer vermeintlich progressiven Lebensweise verschwendet haben – allen voran eine Familie, die in einer großen, gemütlichen Wohnung zusammenkommen kann. Doch diese oberflächliche Ebene des Entlarvens interessiert Tykwer nur am Rande.

In Das Licht entlädt Tykwer alles, was sich in den letzten neun Jahren in ihm angestaut hat

Während Das Licht zügellos zwischen bedeutungsschwangerem Drama und bissiger Satire schwankt, entdeckt Tykwer etwas anderes im Dialog zwischen Farrah und den anderen. Zum ersten Mal entsteht ein aufrichtiges Interesse an den verborgenen und verdrängten Dingen im Hause Engels – und die entladen sich mit einer filmischen Wucht, die selbst die schlimmsten Instinkte des Films nebensächlich wirken lässt.

Nicht nur haben sich bei den Figuren jede Menge unausgesprochene Gefühle angestaut, sondern auch bei Tykwer, dem Filmemacher. Seit dem 2016 erschienenen Ein Hologramm für den König war er nicht mehr auf der großen Leinwand vertreten. Die vergangene Dekade widmete er sich vor allem der Entstehung der Historienserie Babylon Berlin, die inzwischen vier Staffeln mit insgesamt 40 Episoden umfasst.

So beachtlich Babylon Berlin als Großprojekt ist: Das Licht fühlt sich an, als wolle Tykwer alles nachholen, was er über die Jahre nicht im Kino machen konnte. Plötzlich ist sie wieder da, die Energie, die Lola rennt ins Gedächtnis der Filmgeschichte brannte. Mehr noch aber zehrt Das Licht von Tykwers wiederholter Zusammenarbeit mit den Wachowski-Schwestern, allen voran Cloud Atlas und Sense8.

Diese Geschichten werden von einem Gedanken durchdrungen: Dass Menschen über jegliche Art von Grenzen miteinander verbunden sind, selbst über Ort und Zeit hinaus. Mit aufwendigen Montagen, cleveren Schnitten und visueller Vielfalt haben die Wachowskis gemeinsam mit Tykwer ein verblüffendes, neugieriges und unheimlich ehrgeiziges Kino geschaffen, das in jeder Einstellung von Das Licht weiterlebt.

Kommt für den Prestigefilm, bleibt für das unerwartet aufpoppende Fantasy-Musical, das seine Figuren durch urbane Zwischenräume katapultiert und schwerelos über das Wasser gleiten lässt, ehe sich der Regen in die Fluten des Ozeans verwandelt und das Wohnzimmer zuerst zum Verhörraum und danach zum untergehenden Flüchtlingsschiff wird. Nichts davon lässt sich vorhersagen, im Guten wie im Schlechten.

So unerschrocken, hungrig und neugierig wie Das Licht ist deutsches Kino selten

Schauen wir hier einem deutschen Mary Poppins-Update im Jahr 2025 zu, in dem eine geheimnisvolle Haushälterin das zerbrochene Herz einer entfremdeten Familie flickt? Oder schleicht sich Farrah nach dem Vorbild von Parasite in die große Berliner Wohnung der Engels und nimmt nach und nach die Position von Mutter, Vater, Schwester und Bruder ein, bis sie die komplette Kontrolle über die Familie gewonnen hat?

Das Licht könnte jeden Augenblick zum verklärenden Gegenwartscheck mutieren und ein unerträgliches Klischee nach dem anderen bedienen. Tykwers freie Inszenierung, die mit der deutschen Mainstream-Komödie liebäugelt und ebenso Gefallen am kryptischen Horror-Thriller findet, erweitert jede Szene jedoch um mindestens ein irritierendes Detail, dass man es gar nicht erwarten kann, welche Wendung als Nächstes folgt.

Hat Lars Eidinger da gerade etwa seinen persönlichen I'm Just Ken-Moment abgeliefert, wenn sein Monolog in Gesang übergeht und er im Fitnessstudio vor dem Hintergrund gestählter Körper über seine männliche Fragilität sinniert? Und hat Tykwer wirklich den gesamten Film um die einzelnen Passagen von Bohemian Rhapsody konstruiert, die in den unwahrscheinlichsten Momenten das Gezeigte aufsprengen.

Tatsächlich versteht sich Das Licht als filmisches Gegenstück zu Queens Rock-Epos, das über sechs Sektionen hinweg die unterschiedlichsten Musikgenres abdeckt, von der Ballade bis zur Oper, bevor im Hard-Rock-Part alles eskaliert. Das Licht ist ein Film voller Stimmungsschwankungen, die jedoch dermaßen flüssig ineinander übergehen, als würde Tykwer immer noch mit den Wachowskis Cloud Atlas und Sense8 drehen.

Selbst die Musik – Tykwer hat sich wieder mit Johnny Klimek zusammengeschlossen, mit dem er u.a. Matrix Resurrections komponierte – bringt einzelne Harmonien aus dem Wolkenatlas zurück und sorgt mehrmals für Gänsehaut, sodass man gar nicht merkt, wenn der Film über die eigenen Ambitionen stolpert. Doch genau dafür schaut man dieses hungrige Werk, das Kino ohne Rücksicht auf Verluste ausprobieren will.

Wir haben Das Licht im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen. Am 20. März 2025 startet der neue Film von Tom Tykwer offiziell in den deutschen Kinos.

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