Jacques Rivette, Regisseur der Nouvelle Vague, ist gestorben

29.01.2016 - 14:12 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Anna Karina in Die Nonne (1966)
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Anna Karina in Die Nonne (1966)
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Jacques Rivette gehörte neben Francois Truffaut und Jean-Luc Godard zum Kreis der französischen Nouvelle Vague, die das Kino in den späten 50er und 60er Jahren revolutionierte. Nun ist der Regisseur im Alter von 87 Jahren gestorben.

Er hat den "heiligen Gral des Kinos" gedreht. Jahrzehntelang galt der über 12 Stunden lange Out 1, noli me tangere von Regisseur Jacques Rivette als cinephiles Wunder, dessen Zeuge nur wenige glückliche Premieren- oder Festivalbesucher wurden. Im vergangenen Jahr wurde das Mammutwerk restauriert und erschien vor wenigen Tagen in den USA auf Blu-ray. Das in mehreren Episoden erzählte Werk aus dem Jahr 1971 handelte, wie viele Filme von Rivette, lose von Schauspielern und ihren Verschwörungen, verarbeitete Improvisationen und ganz offen den Prozess seiner eigenen Entstehung. Rivette wurde lange Zeit nicht dieselbe Aufmerksamkeit zuteil wie seinen Nouvelle Vague-Kollegen Jean-Luc Godard oder François Truffaut, doch die Veröffentlichung von Out 1 erinnerte wieder einmal daran, was für ein eigensinniger und einzigartiger Filmemacher er war. Wie die französische Zeitung Le Monde  berichtet, ist Jacques Rivette heute im Alter von 87 Jahren gestorben.

Bevor sein erster Spielfilm Paris gehört uns 1961 erschien, war Jacques Rivette bereits rund zehn Jahre fester Bestandteil einer Clique von Cinephilen und Kritikern, die in der Pariser Cinémathèque française unter Programmaufsicht von Henri Langlois ihrer Leidenschaft frönten. Dort entdeckten, diskutierten und sezierten spätere Regisseure wie Truffaut, Godard oder Claude Chabrol das frühe französische und amerikanische Kino. Rivette, der sich bei einer Pariser Filmhochschule erfolglos beworben hatte, durchlief seine Lehre zwischen Cinemathek und örtlichen Cine-Clubs, begann Kurzfilme zu drehen und arbeitete schließlich als Kritiker bei der einflussreichen Zeitschrift Cahiers du Cinéma. 1961, zwei Jahre nach dem Nouvelle Vague-"Startschuss" Sie küßten und sie schlugen ihn von Truffaut, legte Rivette schließlich Paris gehört uns vor, in dessen Mittelpunkt, für Rivette typisch, Schauspieler bei der Probe eines Stücks stehen, die politische und amouröse Verwicklungen zu bewältigen haben.

Nach dem finanziellen Misserfolg seines Debüts arbeitete Jacques Rivette weiter bei den Cahiers, wurde 1963 ihr Chefredakteur und trugt maßgeblich zur Politisierung des Filmmagazins bei. Sein zweiter Spielfilm Die Nonne mit Nouvelle Vague-Star Anna Karina erschien erst 1966 und wurde wegen seiner Kritik an der katholischen Kirche zeitweise verboten. Erst Proteste und ein Eingreifen von Präsident Charles de Gaulle sicherten die Veröffentlichung und einen der wenigen kommerziellen Erfolge in Rivettes Karriere.

Jacques Rivette wechselte im Laufe seiner Karriere zwischen improvisierten Handlungen (etwa bei Out 1) und drehbuchbasierten Filmen wie Céline und Julie fahren Boot von 1974, dessen magische Mysterien unter anderem von Lewis Carrolls Alice im Wunderland beeinflusst wurden. Heute wird Rivette mit dem Slow Cinema assoziiert, das häufig Handlungsstränge streift, ohne Drang, diese auf konventionellem Wege aufzulösen. Sein von Balzac inspirierter Film Die schöne Querulantin von 1991 mit Emmanuelle Béart und Michel Piccoli befasste sich beispielsweise vier Stunden mit einem alternden Künstler, der sich angesichts einer jungen Muse daran macht, sein Meisterwerk zu malen. Bis ins hohe Alter widmete sich der als filmvernarrter Einzelgänger beschriebene Rivette dem Kino und legte 2009 mit dem Zirkusdrama 36 Ansichten des Pic Saint-Loup beim Filmfestival in Venedig seinen letzten Spielfilm vor.

Zur Veröffentlichung von Out 1 in den USA schrieb Ty Burr beim Boston Globe  vergangene Woche:

Das Wunder eines Rivette-Films ist, dass er dich dazu verführt, seine Regeln zu akzeptieren: Die natürliche Ungeduld eines Zuschauers mit dem Slow Cinema wird von der einlullenden und verzückenden Faszination ersetzt.

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