Im Kino gewesen. Geweint.

17.09.2014 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Traurige Chloë Grace Moretz in Wenn ich bleibe
Warner Bros.
Traurige Chloë Grace Moretz in Wenn ich bleibe
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Es gibt viele Gründe ins Kino zu gehen und sei es nur, um seinen Tränen freien Lauf zu lassen. Schon Franz Kafka zeigte sich von den ersten bewegten Bildern gerührt, nicht auszudenken, wie es ihm bei zwei aktuellen Jugendbuchadaptionen ergangen wäre.

Es ist vielleicht etwas verfrüht, um von einem Trend zu sprechen: Aber mit den zeitnahen Jugendbuch-Verfilmungen von Das Schicksal ist ein mieser Verräter und Wenn ich bleibe (deutscher Kinostart am 18.9.) und ihrem beachtlichen kommerziellen Erfolg (1. rund 280 Millionen weltweit bei einem Budget von 12 Millionen Dollar; 2. bis dato 45 Millionen in den USA bei 11 Millionen Dollar Produktionskosten) besteht zumindest ein leiser Verdacht, dass sich Geschichten, in denen die jungen Identifikationsfiguren unheilbar krank sind oder dramatische Nahtod-Erfahrungen erleben, früher oder später als neues Genre neben den jugendfreien Kino-Dystopien etablieren werden.

Allzu überraschend wäre das nicht, stehen solche Schicksalsdramen doch in einer langen Tradition. Mir ist zwar nicht bekannt, ob der französische Stummfilm, der Franz Kafka vor über hundert Jahren die inzwischen gern und viel zitierte Sentenz "Im Kino gewesen. Geweint" in sein Notizbuch schreiben ließ, in ähnlicher Weise auf die Tränendrüse gedrückt hat, wie die zwei US-Produktionen. Höchstwahrscheinlich nicht. Trotzdem spiegelt sich bereits in diesem berühmten Fall aus der Anfangszeit des Kinos wider, dass selbiges (und nicht nur die Oper) schon immer ein "Kraftwerk der Gefühle" (Alexander Kluge) war, das selbst den emotionalen Haushalt eines "verschlossenen" Franz Kafkas erfolgreich zu manipulieren wusste.

Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Schluchzen gehört im Kino zweifellos zum guten Ton, da nur herzlose und versteinerte Kinogänger Bambi, In einem Land vor unserer Zeit oder Free Willy - Ruf der Freiheit ohne feuchte Augen in ihrer Kindheit oder Jugend durchgestanden haben können. Auch die ganz harten Jungs werden zumindest beim Ende von Terminator 2: Judgment Day bis heute ihre zugeschnürten Kehlen in Erinnerung behalten haben. Wenn allerdings bereits vor der Vorführung Taschentücher an das Publikum verteilt werden - so geschehen bei Das Schicksal ist ein mieser Verräter - scheint vollkommen klar, was von einem während und nach dem Film inständig erwartet wird: Sich mal so richtig schön die Augen ausheulen! "Berechnend" ist da fast kein Ausdruck mehr.

Menschen, Bilder, Emotionen

Selbst wenn es in einem Film nicht um solche extremen Gefühls-Ankurbelungen gehen sollte, kostet es zahlreichen Studien zufolge Mühe, im wohligen Dunkel des Kinosaales eine kritische Distanz zum Dargestellten zu wahren und sich nicht vom Geschehen auf der Leinwand affirmativ mitreißen zu lassen. Wenn bei mir zum Beispiel der Funken mal nicht überspringt, handelt es sich entweder um einen schlecht gemachten, ärgerlichen Film, zu viel Pathos oder Sentimentalität oder ich habe mich so sehr um einen kritischen Blick bemüht, dass das Filmerlebnis gänzlich an mir vorbeigegangen ist. Weil es aber kaum Dinge auf der Welt gibt, die ähnlich unbefriedigend sind wie ein verpasstes Leinwanderlebnis, lasse ich mich nur zu gerne entführen und bin am liebsten voll und ganz involviert, obwohl es mir anschließend schwer fällt, eine stichhaltige Analyse zum Besten zu geben.

In diesem Fall bietet der Kafka-Satz jedoch eine wunderbare Möglichkeit, seinen emotionalen Regungen zunächst einmal sehr gezielt Ausdruck zu verleihen. Im Kino gewesen. Geweint (Into the Wild). Im Kino gewesen. Gepöbelt (Fish Tank). Im Kino gewesen. Gestaunt (Boyhood) usw. usf. Es ist nicht leicht, das Ganze in das Partizip Perfekt eines Verbs zu überführen. Trotzdem ist es eine nette Spielerei. Mit der Zeit oder nach wiederholtem Anschauen wird sich womöglich herauskristallisieren, warum wir so und nicht anders empfunden haben und welche Mechanismen hier und dort gewirkt haben. Muss aber auch nicht sein. Reicht ja oft zu wissen, dass es einfach funktioniert.

Ihr seid an der Reihe: Im Kino gewesen. Ge... (Filmtitel). Wer von euch bringt es auf den Punkt?

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