Ich, Fitzcarraldo & ein tobsüchtiger Klaus Kinski

21.07.2012 - 06:51 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Klaus Kinski als Fitzcarraldo
Filmverleih der Autoren
Klaus Kinski als Fitzcarraldo
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Seit meinem Vorstellungstext dürfte allgemein bekannt sein, dass Werner Herzog einen Stein bei mir im Brett hat. Die Wahl für meinen ersten Text der Rubrik Mein Herz für Klassiker fällt deswegen auf das Abenteuer-Drama Fitzcarraldo.

Der Dschungel, die Oper und ein furioser Klaus Kinski. Mehr als diese drei Komponenten und der Abenteuergeist von Werner Herzog sind nicht nötig, um den deutschen Autorenfilmer zu Höchstleistungen zu bringen. In Fitzcarraldo von 1982 kommt idealerweise jeder der eben genannten Aspekte zusammen. Das Ergebnis ist ein eindrucksvoller, faszinierender und einmaliger Film, der nicht nur den Mut zum Unmöglichen beweist, sondern auch das Unmögliche möglich macht.

Die Geschichte handelt von Sweeney Fitzgerald – einem Exzentriker und Opernliebhaber. Letztgenannte Leidenschaft stellt gleichzeitig seine größte Inspiration wie auch Motivation dar. Besessen von der Idee, ein Opernhaus mitten im peruanischen Dschungel zu errichten, setzt Fitzcarraldo – wie er von den Einheimischen genannt wird – alles auf eine Karte: Er versucht sein Glück im Kautschukhandel, um die Finanzierung für das geplante Unternehmen auf die Beine zu stellen. Dank monetärer Unterstützung seiner Freundin Molly (Claudia Cardinale), kauft Fitzcarraldo einen maroden Flussdampfer, um das neu erworbene Kautschukgebiet zu erschließen. Als letztes Hindernis zwischen Kautschukplantage und Opernhaus stellen sich unpassierbare Stromschnellen heraus, die Fitzcarraldo geschickt mit einem kühnen Vorhaben umgehen will. Mit Hilfe von brasilianischen Uhreinwohnern soll der Flussdampfer über eine unüberwindbare Berganhöhe zum benachbarten Fluss transportiert werden, um einen effizienten Kautschukhandel vorantreiben zu können.

Warum ich Fitzcarraldo mein Herz schenkte
Der Film beginnt. Die Kamera zoomt langsam in den nebelverhangenen Amazonas-Dschungel. Dazu setzt das Stück Wehe Khorazin der deutschen Krautrockband Popol Vuh mit einen dumpfen, sich später gleichmäßig wiederholenden Paukenschlag ein und der wehleidig, fast schon endzeitliche Gesang eines Chores ertönt. Ein wahrer Gänsehautmoment, der etwas Gewaltiges ahnen lässt. Und tatsächlich: Werner Herzog offenbart schon in dieser ersten Einstellung einen Vorgeschmack der wahren Größe von Fitzcarraldo. Was danach folgt, ist ein waghalsiges Abenteuer, das von Herzog in epischen Bildern auf die Leinwand gebannt wird. Fesselnd bis zum Schluss, stellt er vor allem die Szene der Bergüberquerung mitsamt Flussdampfer dar. Hier macht Werner Herzog, der auch während den Dreharbeiten als einziger von der Machbarkeit dieser Idee überzeugt war, das Unmögliche im wahrsten Sinne des Wortes möglich – gedreht wurde nämlich alles vor Ort. Es braucht schon mehr als eine grobe Vorstellung, wenn ein Regisseur solche Visionen verwirklichen will. Auch wenn ihm während der Dreharbeiten zu Fitzcarraldo mitunter Größenwahn vorgehalten wurde, hat sich Werner Herzog nicht übernommen. Das Ergebnis ist eine packende Reise zwischen peruanischem und brasilianischem Urwald.

Warum auch andere Fitzcarraldo lieben werden
Selten erlebt man eine Reise, wie sie Fitzcarraldo beschreitet. Geleitet von einem Traum (dem Opernhaus im Dschungel) ist der nicht zwangsläufig sympathische Protagonist bereit, alles was er besitzt, aufzugeben. Auf der einen Seite offenbart sich Fitzcarraldos Charakter somit als Idealist und als Kenner der Oper sowie als begeisterter Anhänger von Sänger Enrico Caruso. Auf der anderen Seite steckt allerdings auch ein naives Kind in dem Besessenen fest, das mit dem Kopf durch die Wand geht, um sein Ziel zu erreichen. Wenn Fitzcarraldo oben auf einem Kirchturm steht und wie verrückt Ich will meine Oper! brüllt, dann braucht es auch mindestens einen Schauspieler vom Kaliber Klaus Kinskis, damit die Figur auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn perfekt angesiedelt werden kann und zu keiner Karikatur verkommt. Werner Herzog holt dank Erfahrung und persönlicher Herangehensweise wirklich jeden Funken Energie aus seinem Hauptdarsteller heraus und erreicht als Resultat, dass die komplexe Figur Fitzcarraldo auch emotional greifbar wird – trotz der Konzeption als exzentrischem Antiheld.

Warum Fitzcarraldo einzigartig ist
Nicht nur die faszinierende und inspirierende Geschichte, die Werner Herzog erzählt macht Fitzcarraldo zu einem einzigartigen Meisterwerk. Auch die schwierigen Produktionsumstände verleihen dem Film einen legendären Status. Neben Vorwürfen wegen Menschenrechtsverletzungen am Set, die allerdings nach einer Überprüfung durch Amnesty International als hinfällig erklärt wurden, waren vor allem die eingeplanten Schauspieler dafür verantwortlich, dass sich die Dreharbeiten über einen Zeitraum von vier Jahren hinzogen. Nachdem Jack Nicholson kein Interesse an der ihm angebotenen Hauptrolle bekundete, wurde für die Dreharbeiten Jason Robards als Fitzcarraldo engagiert, Rolling Stones-Frontmann Mick Jagger als dessen Gehilfe sowie Mario Adorf in einer weiteren Nebenrolle als Schiffskapitän. Der halbe Film war schon fast abgedreht, als plötzlich Jason Robards angesichts einer Erkrankung nicht mehr in der Lage war, seine Arbeit zu vollenden. Werner Herzog, der daraufhin den kompletten Film umstrukturierte und sogar selbst darüber nachdachte, den Fitzcarraldo-Part zu übernehmen, konnte schließlich den Weggefährten Klaus Kinski als Protagonisten gewinnen. Als Ersatz für Mario Adorf kam Paul Hittscher an Bord des Flussdampfers und Mick Jaggers Nebenrolle wurde aufgrund von Terminschwierigkeiten gänzlich aus dem Script gestrichen.

Warum Fitzcarraldo die Jahrzehnte überdauerte
Fitzcarraldo ist nach Aguirre, der Zorn Gottes, Nosferatu – Phantom der Nacht und Woyzeck die vierte von insgesamt fünf (Cobra Verde) gemeinsamen Filmen, die Regisseur Werner Herzog und Schauspieler Klaus Kinski realisiert haben. Beide Filmschaffende verbindet eine ganz besondere Hassliebe, die Werner Herzog unter anderem in seiner 1999 entstanden Dokumentation Mein liebster Feind – Klaus Kinski thematisiert. Bei der Zusammenarbeit mit indianischen Statisten kam es darüber hinaus sogar soweit, dass nach einem von Klaus Kinskis schlagzeilenträchtigen Tobsuchtsanfällen einer der Stammesältesten das Angebot unterbreitete den schlimmen Wüterich um die Ecke zu bringen. Werner Herzog lehnte dieses Angebot aber dankend ab, da ihm langsam die Ideen für einen weiteren Fitzcarraldo-Darsteller ausgingen. Nicht zuletzt wegen solcher Tatsachenberichte wird Fitzcarraldo die Jahrzehnte überdauern. Werner Herzogs Werk lässt sich ebenso als Metapher auf die Krise des deutschen Films in den achtziger Jahren lesen und hat mit dem Dokumentarfilm Die Last der Träume von Les Blank auch schon ein filmisches Denkmal gesetzt bekommen.

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