Ich, Elf Uhr nachts und Jean-Luc Godards Liebestanz

12.07.2016 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Elf Uhr NachtsArthaus
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Mein Herz für Klassiker schenke ich heute einem der elementaren Filme über die Liebe. Godards Liebestanz zwischen Euphorie und Ernüchterung, Schönheit und Untergang.

So, wie sich Jean-Paul Belmondos Charakter Ferdinand in einer Welt langweilt und sich von ihr losreißen möchte, in der Emotionen nur noch ausbuchstabiert, aber nicht mehr gefühlt werden, ist Jean-Luc Godard von einem Kino genervt, dass seine Gefühle immer einer oberflächlichen Zugänglichkeit und Rationalität unterordnet. Und so, wie Ferdinand sich seinen Emotionen hingibt, indem er mit Marianne (Anna Karina) durchbrennt, zelebriert Jean-Luc Godard die Irrationalität des Lebens. Elf Uhr nachts beschreibt die Liebe in ihrer unglaublichen Vielschichtigkeit und entfesselt damit einen Emotionssturm, der mehr nachempfunden, als auf einer narrativen Ebene nachvollzogen werden möchte.

Warum ich Elf Uhr Nachts mein Herz schenke

Trotz seiner konfusen Narrative ist Elf Uhr nachts durch seine emotionale Nachvollziehbarkeit so potent. Wenn Ferdinand und Marianne sich auf ihrer Reise losgelöst den Weg freimorden, beschreibt Jean-Luc Godard dies in ungreifbaren, mächtigen Bildern. Dem Paar liegt die Welt zu Füßen, sie fühlen sich frei und werden allein durch ihre Liebe getragen. Mit einem fast schon nihilistischen Freigeist ernähren sich die beiden sozusagen nur von sich selbst. Die Liebe steht über dem Materialismus und den gesellschaftlichen Konventionen, auch über dem Zweifel und der Angst, die immer mitschwingt, den anderen verlieren zu können. In diesen Momenten überwiegt die Schönheit.

Ein Kuss für die Ewigkeit (Elf Uhr nachts)

Doch wie das Kardiogramm eines lebendigen Menschen bewegt sich auch die Stimmung des Films auf und ab. Die Musik sackt schlagartig ab, wenn die Stimmung kippt und sich die Harmonie in den nahezu apokalyptisch anmutenden Bilderwelten von Kameramann Raoul Coutard verliert. In seinen nüchternsten Momenten ist Elf Uhr nachts ausweglos hoffnungslos. Der Gedanke, ohne die Liebe leben zu können, scheint nicht in Reichweite zu sein. Das alles ist nicht greifbar, auf kein offensichtliches Stilmittel zurückzuführen, sondern spürbar. Elf Uhr Nachts lässt einen himmelhoch jauchzen, zu Tode betrübt sein und am Ende in einer nachdenklichen Stille schwelgen.

Elf Uhr nachts

In all dem spiegelt sich auch der visionäre Freigeist des Regisseurs Jean-Luc Godard selbst und seine Auffassung des Mediums wieder. Wo er zwei Jahre zuvor in Die Verachtung noch Kritik am Kino seiner Gegenwart übte, präsentiert er hier in vollen Zügen, was sein Kino ist und was Kino für ihn ausmachen sollte.

Warum auch andere Elf Uhr nachts lieben werden und er die Zeit überdauern wird

Film ist wie ein Schlachtfeld. Liebe, Hass, Action, Gewalt, Tod. In einem Wort: Emotionen.

Und Emotionen ist das Stichwort. Elf Uhr nachts spricht eine universelle, zeitlose Sprache und manifestiert in seiner Ausführung die Auffassung von Film, wie sie auch Godard immer wieder vertritt. Film ist Leben und Leben ist Emotionen. Darüber hinaus ist der Akt des Anschauens auch immer ein Dialog zwischen Film und Zuschauer, der sich bei diesem Werk auf einer immersiven Gefühlsebene abspielt, die jeden, der sich darauf einlässt, erreichen kann.

Das Kino ist für die Charaktere in den Filmen von Jean-Luc Godard immer eine Art lehrreiche (Freizeit)Beschäftigung. So ist es nur im Sinne des Regisseurs, dass wir auch durch Elf Uhr nachts, über 50 Jahre nachdem dieser sich das erste Mal auf der Kinoleinwand präsentierte, immer noch etwas über das Kino und seine Kraft lernen können. Die Nouvelle Vague schlägt ihre Wellen nach wie vor bis in unsere Zeit hinein, inspiriert und erlaubt uns, unseren Blick auf Filme immer wieder zu überdenken.

Was haltet ihr von Elf Uhr nachts und den Filmen des Jean-Luc Godard?

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