Ich, Augen der Angst & explodierende Glühbirnen

12.10.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Augen der Angst - Peeping Tom
StudioCanal
Augen der Angst - Peeping Tom
Norman Bates aus Psycho dürfte den meisten ein Begriff sein. Im gleichen Jahr suchte allerdings ein anderer Durchgeknallter in Augen der Angst – Peeping Tom die Leinwände heim. Dem Thriller vom Michael Powell widme ich heute Mein Herz für Klassiker.

Zusammen mit seinem Partner Emeric Pressburger zählt Michael Powell aufgrund von Klassikern wie Die schwarze Narzisse und Die roten Schuhe zu den wichtigsten britischen Filmschaffenden des 20. Jahrhunderts. Nach der Trennung des Erfolgsteams zum Ende der 1950er Jahre hin wandte sich der Regisseur in seinem ersten eigenen abendfüllenden Projekt einem gewagten Thema zu. Wer also bisher der Meinung war, dass Norman Bates aus Psycho von Thriller-Ass Alfred Hitchcock das Nonplusultra in Sachen mörderische Psychopathen auf der Leinwand darstellt, sollte ab sofort umdenken. Er bekommt dank Michael Powell nämlich hochwertige Konkurrenz. Im gleichen Jahr schickte der Engländer in Augen der Angst – Peeping Tom mit dem Kameramann Mark Lewis einen ebenso durchgedrehten Killer in die Kinos. Die Rolle bedeutete auch für den österreichischen Schauspieler Karlheinz Böhm einen krassen Imagewechsel. Bis dato war er dem Publikum gerade hierzulande eher als der Traumprinz aus Sissi bekannt.

Nach seinem Erscheinen ruinierte Augen der Angst – Peeping Tom mehr oder minder die Karriere seines Regisseurs, der danach nie wieder ein Bein auf den Boden bekam. Gleiches galt für den Hauptdarsteller Karlheinz Böhm, der als Kaiser der Donaumonarchie fest im Bewusstsein des Publikums verankert war. Keiner wollte den Schwiegermutterliebling als perversen Spanner und Frauenmörder sehen, so dass auch seine Laufbahn danach zunächst Schiffbruch erlitt. Der Film erhielt von Kritikern wie Zuschauern vernichtende Reaktionen. Er wurde als geschmacklos und krank empfunden. Mittlerweile haben unter anderem Martin Scorsese und Francis Ford Coppola dafür gesorgt, dass sich die Meinungen über den Thriller stark gewandelt haben. Er gilt heutzutage als Meisterwerk. Das ist Grund genug, um ihm diese Woche Mein Herz für Klassiker zu schenken.

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Warum ich Augen der Angst mein Herz schenkte
Augen der Angst – Peeping Tom erzeugt unglaubliche Spannung. Anfangs sieht Mark so aus, als wäre er nichts anderes als ein unscheinbarer Kameramann. Tagsüber arbeitet er in einem Studio und wird von sämtlichen seiner Kollegen respektiert. Keiner kennt jedoch seine düsteren Geheimnisse. Als Kind missbrauchte ihn sein Vater für Experimente in einer Psychiatrie. Jede Nacht weckte er ihn auf, um ihn in Angst und Schrecken zu versetzen und dann minutiös seine Reaktionen festzuhalten. Dieser Horror hat sich fest in Marks Gehirn eingebrannt. Als Erwachsener geht er seinem ganz eigenen, krankhaften Hobby nach. Unter den verschiedensten Vorwänden überzeugt er Frauen, entweder Statistinnen oder Prostituierte, sich von ihm filmen zu lassen. Bei laufender Kamera richtet er ihnen das Objektiv direkt aufs Gesicht und jagt ihnen ein am Stativ befestigtes Messer in den Hals. Anschließend betrachtet er sich im heimischen Projektionsraum diese kurzen Streifen, um sich die Todesangst in den Augen seiner Opfer zu Gemüte zu führen.

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Warum auch andere Augen der Angst lieben werden
Analog zu Achteinhalb von Federico Fellini ist Augen der Angst – Peeping Tom abgesehen von der blanken Horrorgeschichte ein Film über das Filmemachen selbst. Wie selbstverständlich demonstriert uns das Werk von Michael Powell, worauf es dabei ankommt. Durch den Sucher des Objektivs nähert sich Mark seinen Opfern und zeigt uns, wie Kameraarbeit und Beleuchtung funktionieren und wie sich effektvolle Einstellungen erzeugen lassen. Aus jahrelanger Erfahrung weiß der Regisseur, wie er sein Publikum bis ins Mark erschüttern kann. Der besondere Knalleffekt sind die explodierenden Scheinwerfer während der Morde, die Martin Scorsese zu den Kampfszenen in Wie ein wilder Stier inspirierten. Die Ähnlichkeit liegt auch geradezu auf der Hand.

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In beiden Fällen verhalten sich die Hauptfiguren wie gnadenlose Raubtiere. Aus heiterem Himmel stürzen sie sich auf ihre Opfer, um sie eiskalt zu vernichten – der eine im Ring, der andere mit der Kamera in der Hand. Für Mark Lewis wie den Boxweltmeister Jake La Motta stellen Bestrafung und Zerstörung die einzige Möglichkeit dar, ihre Sexualität auszuleben. Keiner von ihnen kann sich seinen Mitmenschen gegenüber anderweitig wirklich öffnen als durch Gewalt und Verderben.

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