Kennt ihr Hurra die Welt geht unter von der deutschen Hip-Hop-Formation K.I.Z.? In dem Deutschrap-Titel wird das unbeschwerte, befreite Leben nach dem Abwurf einer Atombombe besungen, die angenehmerweise das Ende von Kapitalismus und gesellschaftlicher Normen mit sich brachte. An einer Stelle heißt es etwa: "Wir stehen auf wann wir wollen, fahren weg wann wir wollen, sehen aus wie wir wollen, haben Sex wie wir wollen. Und nicht wie die Kirche oder Pornos es uns erzählen."
Klingt nach dem kompletten Gegenteil der halsabschneiderischen, beschwerlichen Endzeitwelt aus The Last of Us? Nicht unbedingt.
The Last of Us steht in der Tradition queerer Utopien in dystopischen Welten
Auch, wenn sich niemand ernsthaft einen nuklearen Holocaust herbeiwünscht, ist es im Bereich von Sci-Fi, Fantasy und speziell Endzeitfiktion wie The Last of Us überhaupt nicht unüblich, sich das Ende der Welt mit ihren soziopolitischen, historisch gewachsenen Konstrukten, Regeln und Tabus auszumalen. Insbesondere, wenn man einer diskriminierten Gruppe angehört, die zumindest vom Ende dieser Strukturen profitieren würde, und innerhalb eines fiktiven Extremszenarios Katharsis erleben darf. Da wirkt der Untergang von Teilen der alten Welt auf einmal gar nicht mehr so unattraktiv. Es muss aber nicht gleich der totale TLOU-Kollaps sein.
Speziell Dystopien mit Cyberpunk-Elementen können für queere Personen schnell zur unverhofften Utopie werden. Was bedeutet schließlich noch der Unterschied zwischen biologischem und sozialem Geschlecht (sex vs. gender) oder Sexualitäten, wenn man ohnehin im fluiden Cyberspace lebt, oder das Augmentieren des Körpers ein allzu täglicher Prozess ist? So einen Post-Gender-Zustand malte sich schon die wegweisende Philosophin Donna Haraway in ihrem einflussreichen Manifest für Cyborgs von 1985 aus. Auch wenn ihr Maschinenmensch im Wandel mehr als Metapher zu lesen war.
Dass Geschlecht und Begehren irgendwann zwangsläufig anders verhandelt werden müssen, thematisierte auch die Netflix-Serie Black Mirror vor wenigen Jahren. In der Folge Striking Vipers kommen sich zwei alte Freunde über ihre virtuellen Videospielkörper näher. Ähnliche Cyber-Geschlechtlichkeit hatten die transgender Schöpferinnen von Matrix, Lana und Lilly Wachowski, mit dem Charakter Switch (Belinda McClory) vor. Der sollte in der realen Welt einen männlichen und in der Matrix einen weiblichen Körper haben.
Literaturgröße Ursula K. Le Guin hingegen fantasierte in ihrem Roman Die linke Hand der Dunkelheit, wie eine außerirdische, ambisexuelle Gesellschaft aufgebaut wäre, in der es keine festgelegten Geschlechterrollen gibt. Und blicken wir kurz Richtung Fantasy und Horror: Es gibt einen Grund, warum die blutdurstigen Unsterblichen aus den Vampir-Chroniken von Anne Rice allesamt pansexuell sind. Nach dem Motto: Ist der Puls erst ruiniert, lebt es sich recht ungeniert. Das Ende des eigenen Lebens als untote Utopie.
Post-Apokalypse = Post-Pride?
In den letzten Jahren kamen immer mehr junge, queere Autor:innen hinzu, die sich (nicht selten im Bereich der Young-Adult-Fiktion) LGBTQ-lastige Endzeiten ausmalten. Andrew Joseph White (Hell Followed with Us) oder Gretchen Felker-Martin (Manhunt) zum Beispiel. Dass selbst nach der Apokalypse inspirierende Befreiung und queere Freude zu finden sind, zeigt aber auch die The Last of Us-Serienadaption mit selten dagewesener Regelmäßigkeit im Genre-TV auf. Und das in bisher nur zwei Staffeln mit insgesamt 16 Episoden.
Prepper-König Bill (Nick Offerman) und sein Partner Frank (Murray Bartlett) schufen sich in der legendären Folge 3 aus Staffel 1 eine eigene Welt nur für sich, in der sie ihre Bestimmung ineinander fanden. Utopische Relationship-Goals für Monogamie-Fans, die sie sich vermutlich nur in der Endzeit erfüllen konnten. Ganz zu schweigen vom perfekten Romeo und Romeo-Ende als Krönung der Romanze. Als Tragödie enden sowieso alle Beziehungen, wenn man darüber nachdenkt.
Ellie (Bella Ramsey) und Riley (Storm Reid), später Ellie und Dina (Isabela Merced), legen hingegen eine fast schon erfrischende Naivität bezüglich ihrer Sexualität und Beziehungen an den Tag. Durch ältere Personen erleben sie zwar immer noch queerfeindliche Situationen, diese wirken aber wie das letzte Aufbäumen einer pre-pandemischen Generation. Cordyceps, du Ally.
Symbole der Gay Liberation, wie die Regenbogenflaggen im bunten Bezirk von Seattle, sind Ellie und Dina in Staffel 2 schon gar kein Begriff mehr. Was gleichzeitig traurig und (pragmatischerweise) erbauend wirkt. Es gibt wohl größere Probleme, als sich um Paarkonstellationen zu scheren. Und ist es nicht nett, sich einen Moment lang dieser "Jetzt ist auch alles egal"-Realität hinzugeben? Es mag nicht der Fully Automated Luxury Gay Space Communism sein, den man sich vielleicht erhofft hatte, aber dafür musste man für diese stille LGBTQ-Revolution überhaupt keinen Finger rühren. Es war nicht nötig, kaputtzumachen, was einen kaputt macht, es passierte einfach.
Im Prinzip sind diese befreienden Sci-Fi- und Endzeitszenarien für Queers das genaue Gegenteil reaktionärer Fantasy-Fantasien. Mit denen wünschen sich manche zurück ins (ganz nebenbei überhaupt nicht historisch korrekte) Mittelalter oder eine äquivalente, rückwärtsgerichtete Welt, um wieder "echte Männer" und "echte Frauen" vorzufinden. Als wäre es nicht immer schon komplizierter gewesen.
Im Angesicht von allgegenwärtigem Rechtsruck, haarsträubendem Anti-Woke-Aktivismus und Krieg können Kollaps-Storys wie The Last of Us uns vielleicht nicht unbedingt auf den Ernstfall vorbereiten. Sie können aber wohltuend aufzeigen, dass weder Zombie-Pilze noch Atombomben jemals die Queerness aus der Welt bekommen.